Reizwörter: Hut, Schachtel, magisch, ehrfürchtig, knarzen
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Schwerfällig nahm Emma jede einzelne Stufe der schmalen Stiege, die hinauf auf den Dachboden führte. Dorthin wollte sie.
Als
sie die letzte Stufe erreicht hatte, blieb sie stehen und holte tief Luft. Das
Atmen fiel ihr in letzter Zeit zunehmend schwerer. Dennoch war es ihr größter
Wunsch, noch einmal zum Dachboden hinauf zu gehen.
Vorsichtig,
ja fast schon ehrfürchtig,
öffnete sie die alte Holztür. Das Gefühl, das Emma dabei überkam, konnte sie
weder beschreiben, noch konnte sie es sich erklären. Es war irgendwie seltsam,
ja fast schon befremdlich.
‚Eigentlich
dürfte ich gar nicht hier sein’, dachte sie. Ihre Tochter Karin hatte es ihr
strengstens untersagt, weil sie die Treppe als zu gefährlich ansah. Dennoch
hatte sich Emma darüber hinweg gesetzt. Sie wollte – sie musste – noch einmal
hierher. Was sie antrieb? Sie wusste es selbst nicht so genau.
Emma
betätigte den schwarzen Drehschalter und eine an einem Dachbalken befestigte
Lampe beleuchtete den Raum mit fahlem Licht.
Auf
einem ausrangierten Kleiderständer hing eine abgewetzte braune Lederjacke. Sie
hatte einmal ihrem Mann gehört. Emma konnte und wollte sich nicht von ihr
trennen, war es doch das liebste Kleidungsstück, das ihr Mann jemals besessen
hatte.
Oben
auf einem alten Schrank lag noch immer der dazu passende Hut. Prompt sah sie vor ihrem inneren Auge ihren Mann, der
diese Sachen trug. „Ach Friedrich“, seufzte sie, während sie mit einer Hand
über einen Ärmel der Jacke strich.
Als
sie behutsam die Tür des alten Schrankes öffnete, gab diese ein knarzendes Geräusch von sich. Im
Schrank selbst befand sich noch altes Leinen, das sie von ihrer Mutter
geschenkt bekommen hatte und das inzwischen schon vergilbt war.
Im
linken Teil des Schrankes standen Kartons, in denen Emma ihre Weihnachtsdekoration
aufbewahrte. Karin hatte Emmas Haus in der letzten Woche adventlich geschmückt,
weshalb einige Kartons leer waren. Doch ein Karton war noch voll mit roten und
silbernen Kugeln und mit Lametta.
Sie
nahm es an sich und roch daran, so als könne sie über den Geruch vergangene
Zeiten wahrnehmen. Als sie die kleine Schachtel
mit den roten Kugeln öffnete, war ihr, als begännen die Kugeln zu flüstern:
„Weißt du noch, Emma, wie es war, früher, als die Kinder noch klein waren und
du mit so viel Liebe den Weihnachtsbaum geschmückt hast?“
Natürlich
konnte sie sich erinnern. Wie könnte sie jemals diese Tage vergessen; trug sie
doch all die heimeligen Stunden tief in ihrem Herzen. Für immer hatte sie sie
dort verwahrt.
In
der Ecke, dort wo der alte Schaukelstuhl stand, tanzte der Staub im Schein des
Lichtes der antiquarischen Lampe. Emma holte ein Taschentuch aus ihrer Jackentasche
und strich damit über den Sitz des Schaukelstuhles, bevor sie sich darauf
setzte.
Ausgiebig
sah sie sich um. Noch immer wusste sie nicht, was es war, dass sie wie magisch hierher gezogen hatte.
Emma
atmete tief durch. Sie wusste, sie hatte eine Entscheidung zu treffen.
Vielleicht war das ja auch der Grund, weshalb sie noch einmal hierher wollte:
um Abschied zu nehmen.
Wenn
sie ehrlich war, wusste sie, dass ihre Tochter recht hatte, wenn sie sagte,
dass es nicht gut wäre, wenn Emma noch länger alleine im Haus bliebe. Es stimmte
insofern, als es ihr immer schwerer fiel, ihren Alltag alleine zu meistern.
Bald wäre sie nicht mehr in der Lage, sich etwas zum Essen zu kochen. Das
spürte sie. Ihre Kräfte ließen mehr und mehr nach. Und dann war da ja auch noch
das Alleinsein, das oftmals schwer erträglich war.
„Was
meinst du, Friedrich“, sprach sie laut in den Raum hinein, „ob ich in ein
Altenheim umziehen soll?“
Allein
bei der Frage zog sich ihr Magen schon zusammen. Ja, sie wäre dort wieder unter
Menschen und mit ganz viel Glück fände sie vielleicht nette Gesprächspartner.
Aber was, wenn nicht? Was, wenn sie alleine im Zimmer hocken würde - in einem
fremden Zimmer unter fremden Menschen? Dieser Gedanke war schier unerträglich
für sie. Aber welche Alternative gab es für sie?
Emma
schloss ihre Augen und träumte sich in vergangene Zeiten zurück.
Jetzt,
in der Adventszeit, erinnerte sie sich an die roten Wangen ihrer Kinder, wenn
sie in der Küche halfen und gemeinsam Spritzgebäck machten. Das war das liebste
Gebäck von ihnen allen und Emma musste immer eine große Dose davon verstecken,
damit zum Weihnachtsfest überhaupt noch welche übrig blieben.
Es
war ihr in dem Augenblick, als läge ihr der Duft von Bratäpfeln, der das ganze
Haus erfüllte, in der Nase.
Ja,
sie waren wirklich eine glückliche Familie. Nicht reich, aber glücklich.
Nachdem
ihre Kinder das Haus verlassen hatten, war es stiller geworden. Doch damals hatte
es ja immer noch Friedrich, ihren Mann, gegeben. Aber jetzt war er nicht mehr
da und sie wünschte sich tief in ihrem Herzen, bald wieder bei ihm zu sein.
Ohne
es zu bemerken, schlief Emma ein.
Einige
Zeit später betrat ihre Tochter das Haus. Sie rief nach ihrer Mutter und machte
sich große Sorgen, als sie sie nirgendwo entdecken konnte. Irgendwann betrat auch
sie die Stiege und ging mit klopfendem Herzen hinauf zum Dachboden. Ihre Mutter,
sie würde doch nicht alleine dort hinauf gestiegen sein?
Als
sie die Tür öffnete, bemerkte Karin sofort das Licht im Raum und danach sah sie
ihre Mutter. Schlafend saß sie in dem alten Schaukelstuhl. Von diesem Bild ging
ein so großer Frieden aus, dass Karin lächeln musste und jegliche Sorge und
auch jeglicher Unmut gegen ihre Mutter verflogen waren.
Auf Zehenspitzen ging sie zu dem Schaukelstuhl und berührte achtsam den Arm ihrer Mutter.
„Mama“,
flüsterte sie, „wach auf, du bist eingeschlafen.“
Erst
als sie keine Antwort bekam, bemerkte sie das fahle Gesicht ihrer Mutter, auf
dem ein ganz besonderes Lächeln lag. Als ihr bewusst wurde, was geschehen war,
liefen Tränen über Karins Wangen. – Ihre Mutter. Sie war in aller Stille nach
Hause gegangen.
©
Martina Pfannenschmidt, 2021
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Liebe Martina,
AntwortenLöschenich kann gerade nicht viel dazu sagen, so sehr berührt mich deine Geschichte. Du weißt schon, warum...
Großartig geschrieben, sehr empathisch, danke!
Liebe Grüße
Regina
Liebe Regina, was für eine anrührende Aussage! Mehr kann man mit (s)einer Geschichte nicht erreichen, als jemanden damit zu berühren. Ich freue mich, wenn mir das gelungen ist. LG Martina
LöschenWas für ein friedliches Hinübergleiten, so still so sanft...
AntwortenLöschenDas hast du so innig in dieser Geschichte beschrieben liebe Martia.
Von Herzen wünsche ich dir eine gesegnete und friedvolle Adventszeit, möge das Licht der Liebe für dich scheinen.
Von ♡ zu ♡
Oh, jetzt habe ich eine Gänsehaut bekommen, liebe Helga! Hab vielen Dank für deine lichtvollen Worte. Auch dir wünsche ich Licht und Liebe, damit du dich in dieser dunklen Zeit gesegnet fühlst! Liebe Grüße! Martina
Löschenach liebe Martina...zutiefst berührend las ich eben deine wunderschöne Adventsgeschichte, sie passt soo gut in diese Zeit der Rückschau und der Besinnung auf alte Werte und frühere Erinnerungen...du hast mich mit deinem Stil dies so zu beschreiben zutiefstangerührt und ich danke dir...
AntwortenLöschenherzlichst -ein Tränchen abwischend angel
Ganz lieben Dank für deine anrührenden Worte, liebe Angel! Es freut mich sehr, wenn es mir gelungen ist, dich - meine Leser - zu berühren. Das bewegt mich tief im Herzen. Danke dir für deinen Besuch! Ich wünsche dir eine zauberhafte Adventszeit! Martina
Löscheneine anrührende Geschichte
AntwortenLöschenund man wünscht es sich dass der Engel des Lichtes zu jedem von seinen Eltern so kommt
mein Vater war gerade wieder 3 Tage im Krankenhaus
es passiert jetzt öfter
aber ich hoffe dass er doch noch ein paar schöne Tage erleben darf und dann so friedlich gehen darf
auch wenn es uns weh tut
ich wünsche dir noch eine schöne Adventszeit
Rosi
Liebe Rosi, wer wünscht es sich nicht, so gehen zu dürfen! Das braucht denke ich viel Vertrauen und das 'Loslassen' von allem, was uns bis dahin lieb und wichtig war. - Auch wir, die noch bleiben 'müssen', dürfen eines Tages loslassen. - Hab Dank für deinen Besuch und auch für den Kommentar! Alles Liebe für dich und deinen Vater! Ich wünsche euch eine lichtvolle Zeit! LG Martina
LöschenLiebe Martina, ich bin ja schon immer von Deinen Geschichten berührt, aber dieses Mal kommt mir auch eine Träne. So schön kann das Ende des Lebens sein.
AntwortenLöschenManche wünschen sich diesen Frieden, so im Schlaf hinübergleiten in eine andere Welt.
Adventlioche , liebe Grüsse zu Dir , herzlichst Klärchen
Hab Dank, liebes Klärchen, für deinen Besuch und den lieben Kommentar! LG Martina
LöschenGänsehaut schön, Lore
AntwortenLöschenOh wie schön, es hat geklappt!!!
LöschenEin gutes und vor allem gesundes, neues Jahr wünsche ich dir liebe Martina.
AntwortenLöschenHelga
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Dankeschön! Ich wünsche dir ebenfalls ein glückliches neues Jahr! Martina
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