Reizwörter: Angeber, Buch, radieren, wundern, braun
Nachdem Lisa den letzten Löffel Kaffeepulver in den Filter der Kaffeemaschine gefüllt hatte, klingelte es an der Wohnungstür.
„Nanu“,
sagte sie mit einem Blick auf die Küchenuhr, „wer mag das sein zu dieser
Uhrzeit?“
Eduard,
ihr Mann, schaute kurz von dem Buch
auf, in dem er las, und antwortete brummig: „Mach halt auf, dann weißt
du’s.“
„Alter
Knurrhahn!“, sagte Lisa in seine Richtung, meinte das aber gar nicht so böse,
wie es vielleicht klang. Sie kannte ihren Mann ja lange genug und wusste nur zu
gut, dass hinter dieser manchmal knurrigen Fassade ein lieber Karl steckte. Nur
zeigen konnte er das halt nicht so gut.
„Hi,
Oma, kann ich reinkommen?“, fragte Manuel, ihr Enkel, der mit einer gefütterten
Winterjacke und einem dicken braunen
Schal, den er sich wie eine Python um den Hals geschlungen hatte, vor der Tür
stand.
„Na
klar, meine Junge, komm rein!“, erwiderte Oma und öffnete die Tür weit, damit er
eintreten konnte.
„Wie
kommt es“, fragte Opa, während er sein Buch zur Seite legte, „dass du uns mit
deinem Besuch beehrst?“
Manuel
warf Jacke und Schal achtlos auf einen Stuhl, setzte sich auf einen anderen und
maulte: „Mama wollte mich eigentlich mit in die Stadt schleifen, aber ich hab
keinen Bock.“
„Dann
schon lieber bei den Großeltern abhängen, was?!“, amüsierte sich Opa.
„Ich
koch uns gerade einen Kaffee, soll ich dir eine heiße Schokolade machen?“,
erkundigte sich Oma.
Manuel
zögerte kurz. Eigentlich war er ja zu alt für einen Kakao, aber es sah ja
keiner und lecker war er allemal, weshalb Manuel kurz nickte.
Oma
schmunzelte, weil sie die Gedanken ihres Enkels erahnen konnte.
„Und,
alles klar bei dir?“, wollte sie wissen.
Manuel
nickte abermals.
So
schnell gab Oma aber nicht auf: „Was macht die Schule, gab es vielleicht eine
Arbeit zurück?“
„Ja,
Mathe!“
Lisa
kannte ihren einsilbigen Enkel und hakte nach: „Verrätst du uns auch deine
Note?“
Plötzlich
blitzte so etwas wie Wut in seinen Augen auf: „Voll unfair von der alten Meise.
Ein Punkt mehr und ich hätte eine eins geschrieben. Nur weil ich aus Versehen
einen Rechenweg ausradiert
habe, hat sie mir einen Punkt abgezogen. Aber Patrick, dieser blöde Angeber, der hat natürlich eine
eins bekommen.“
Oma
und Opa wechselten einen Blick, bevor Opa fragte: „Welche alte Meise?“
„Na
die Meise, meine Mathelehrerin!“
Jetzt
war ihm alles klar.
„Aber
ne zwei ist doch wirklich eine gute Note“, meinte Oma versöhnlich.
„Ne
eins wäre aber besser!“
Ja,
was sollte sie daraufhin antworten. Dieser Logik war einfach nichts entgegenzusetzen.
Es war wohl besser, das Gesprächsthema zu wechseln und ihn nicht noch zu
reizen, indem sie darauf hinwies, dass der Fehler nicht bei der Lehrerin,
sondern bei ihm selber lag.
„Möchtest
du meine Kekse probieren, die ich heute morgen gebacken habe?“, fragte sie einlenkend.
Jetzt
leuchteten Manuels Augen und Oma freute sich, dass in diesem Moment der kleine
Junge aufblitzte, den sie am liebsten immer noch auf den Schoß nehmen und
knuddeln würde.
Lisa
stellte die Kekse, den Kaffee und den Kakao auf den Tisch und zündete eine
Kerze an. Doch gerade, als es so richtig gemütlich werden wollte, erkundigte
sich Manuel, ob er mit seinem Kakao und den Keksen ins Wohnzimmer gehen und etwas
im Fernsehen schauen dürfte.
Lisa
nickte und verbarg ihre winzige Enttäuschung. Sie hätte halt gerne ein bisschen
mehr von ihrem Enkel und seinen Sorgen, aber auch von seinen Freuden, erfahren.
Aber so war es auch okay!
Eduard
sah seiner Frau ihre Enttäuschung an der Nasenspitze an: „Du hast es schon
nicht leicht mit deinen Männern, aber irgendwie stimmt wohl das bekannte
Sprichwort, dass wir alle nicht aus unserer Haut können.“
Anstatt
dem zuzustimmen, äußerte Lisa Bedenken.
„Weißt
du“, begann sie, „es ist ganz schön einfach, zu sagen: Ich bin halt so, wie ich
bin, oder - wie du sagst - man kann halt nicht aus seiner Haut. Manchmal
schieben wir es auch auf die Gene. Ist halt vererbt. Aber ist es wirklich so
einfach?“
„Wie
meinst du das?“
„Ich
meine, dass all diese Aussagen einerseits zwar logisch und nachvollziehbar klingen,
aber dass es andererseits natürlich so ist, dass man sich gar nicht darum bemühen
muss, etwas zu ändern, weil man halt nichts dagegen unternehmen kann, nicht
wahr?“
Eduard
schaute in seine Kaffeetasse und Lisa huschte ein Lächeln über das Gesicht.
Ertappt, könnte man sagen!
„Wenn
man mal darüber nachdenkt“, sprach sie weiter, „könnte man zu der Erkenntnis
kommen, dass dies alles nur Ausreden sind, die die Menschen vielleicht sogar an
ihrer Weiterentwicklung hindern.“
Nach
einer Pause fuhr sie fort: „Ich denke, dass wir unseren Eigenarten nicht ausgeliefert sind. Klar haben wir
durch unsere Kindheit und Erziehung und vielleicht auch über unsere Gene etwas
von unseren Eltern mitbekommen oder übernommen, aber ….“
„…
sag ich doch“, unterbrach Eduard sie trotzig, „man kann nicht aus seiner Haut.“
Lisa
wurde ein bisschen sauer, als sie weiter sprach, „… aber ist das nicht eine
perfekte Ausrede? Wenn ‚man’ es nicht
ändern kann, steht es ja fest, dass es niemand kann. Was für ein Glück! Die
perfekte Ausrede ist gefunden und ‚man’
muss sich gar nicht erst um eine Veränderung oder Verbesserung bemühen. Aber dann
muss ‚man’ sich auch nicht wundern, dass ‚man’ zeitlebens in einer Art ‚Opferrolle’
verharrt.“
Wieder
schwieg Lisa eine Weile, um ihrem Mann Gelegenheit zu geben, über das Gesagte
nachzudenken. Erst dann sprach sie weiter.
„Weißt
du, womit die erste Veränderung beginnen würde?“
Eduard
sah sie fragend an.
„Damit,
dass man das Wort ‚man’ durch das
Wort ‚ICH’ ersetzt. Und ICH kann sehr wohl an mir arbeiten und dadurch
Veränderungen herbeiführen.“
„Ach
weißt du, Lisa“, meinte Eduard daraufhin etwas bedröppelt, „ich glaube, bei mir
ist in dieser Hinsicht der Zug abgefahren. Ich bin zu alt, um mich und meine Eigenheiten
noch zu ändern und du kommst doch auch so wie ich bin ganz wunderbar mit mir
aus!“
„Ach,
mein alter Brummelbär, bei dir scheint wirklich Hopfen und Malz verloren!“,
lachte Lisa und rutschte etwas dichter an ihren Mann heran, um ihm einen Kuss
zu geben.
In
dem Moment erschien ihr Enkel im Türrahmen und konnte es nicht fassen. Oma
küsste Opa! Wie peinlich war das denn?!
©
Martina Pfannenschmidt, 2021
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Hihi, peinlich!, denkt der Enkel und findet es vielleicht doch ganz gut. Kann ich mir auch gut bei Lukas vorstellen, dass er so reagieren könnte. Werde ich doch gleich mal probieren am Wochenende. Ich bin nämlich ein Schelm und kann nicht aus meiner Haut! Deine Geschichte macht nachdenklich, aber im positiven Sinne, liebe Martina!
AntwortenLöschenHerzliche Grüße
Regina
Oberpeinlich! :-) - Da spreche ich aus Erfahrung! Lach! - Ich danke dir für den liebenswerten Kommentar und ebenso für deinen Besuch! LG Martina
LöschenAch ja, wieder eine Geschichte aus dem wahren Leben, herrlich. Eines meiner Wahlsprüche ist," Man nur etwas verändern kann, fängt man bei sich selber an." Es stimmt!
AntwortenLöschenLiebste Grüsse, Klärchen
Liebes Klärchen, das war der Lieblingsspruch meines früheren Chefs: "Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden." Danke für deinen Besuch und LG! Martina
Löschenach ja..
AntwortenLöschengenau so ist es..
die meisten ruhen sich sehr bequem darauf aus
oft mit dem trotzigen Unterton..
wem´s nicht gefällt der muss halt weg bleiben :(
ja nicht bei sich selber schauen
manchmal gehts aber nicht anders da "fahre" ich nämlich aus meiner Haut ..
;)
frohe und besinnliche Weihnachtstage
Rosi
Liebe Rosi, wir Menschen kennen wohl beides. Das 'nicht aus seiner Haut können' ebenso wie das 'aus der Haut fahren'. :-) Aber wie du schon sagst, wir dürfen alle an uns arbeiten. Nur durch die 'Arbeit' IN uns verändern wir etwas. - Danke für deinen Besuch und den lieben Kommentar. - Hab ein ganz schönes und gesegnetes Weihnachtsfest! LG Martina
AntwortenLöschenLiebe Martina, wieder herrlich aus dem Leben gegriffen deine Geschichte.
AntwortenLöschenIch wünsche dir frohe Weihnachtsfeiertage.
Alles Liebe.
Gruß Helga
Dankeschön, liebe Helga! Hab auch du ein frohes und gesegnetes Fest! LG Martina
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