Freitag, 30. April 2021

Mir doch egal!

Hallo, Ihr Lieben, ich steige wieder mit ein ins Reizwortgeschichten-Boot und so findet ihr nicht nur bei mir, sondern auch bei Lore und Regina eine Geschichte zu diesen Reizwörtern:

Gänse, Brot, süß, meckern, stehlen


Nur mit einer leichten Jacke bekleidet trete ich aus meiner Haustür. Endlich, endlich ist es wärmer geworden. Die Sonne strahlt und lockt mich damit nach draußen. Sämtliche Knospen scheinen über Nacht aufgebrochen zu sein; es ist fast so, als hätte jemand dazu den Startschuss gegeben. Alles grünt und blüht; es summt und brummt und zwitschert allerorten.

Die Luft ist angenehm warm und duftet süß wie ein Marshmallow. Tief und bewusst atme ich ein und wieder aus.

Nach ein paar Schritten komme ich zu einer Wiese, auf der genügsam ein paar Schafe grasen und auf der einige Gänse im bekannten Marsch hintereinander her watscheln.

Als sie mich sehen, kommen sie schnatternd zum Zaun gelaufen. Sie wissen genau, dass ich altes Brot für sie dabei habe.

„Na, ihr Süßen“, spreche ich sie an, „freut ihr euch auch über den Sonnenschein?“

Im Moment scheinen sie sich mehr über die Brotbrocken zu freuen, die ich ihnen eifrig zuwerfe.

Ein Vogel, dessen Schnabel voller Nistmaterial ist, fliegt im Tiefflug über meinen Kopf hinweg. Er hat es anscheinend ziemlich eilig. Doch woher weiß er eigentlich, wie man ein Nest baut, denke ich? Von wem hat er nur den Bauplan dafür erhalten?

Durch das Öffnen eines Fensters im Haus nebenan werde ich aus meinen Gedanken geholt.

„Na du“, werde ich von Hiltrud angesprochen, „machst du einen Spaziergang?“

Ich weiß nicht, aber ihrem Tonfall könnte man entnehmen, dass sie denkt: hat sie nichts Besseres zu tun?

„Das schöne Wetter sollte man doch nutzen, nicht wahr?“, entgegne ich freundlich, aber distanziert.

„Ja, ja. Das muss man. Ich nutze es zum Putzen, bin mitten im Frühjahrsputz. Man muss ja sehen, dass man sein Haus in Ordnung hält.“

Dann lass dir von mir nicht die Zeit stehlen, denke ich, antworte aber etwas gemäßigter: „Dann lass dich nicht aufhalten, Hiltrud“, und gehe schnellen Schrittes weiter. Zum Abschied hebe ich noch kurz meine Hand.

Hiltrud hat eine Art, mit der ich nicht so gut zurecht komme. Sie gehört zu den Menschen, die an allen anderen etwas auszusetzen haben. Mal sind es ihre Kinder, mal ist es der Ehemann, mit dem sie meckert und manchmal trifft es auch einen Nachbarn.

Doch Stopp, bevor ich Hiltrud als Meckerliese darstelle, sollte ich mich lieber daran erinnern, dass ich mir fest vorgenommen habe, nicht mehr über andere Menschen zu urteilen. Stattdessen sollte ich mich lieber fragen, warum sie mich mit ihrer Art derart triggert. Außerdem weiß ich gar nicht, ob sie wirklich gedacht hat, was ich ihr in den Mund gelegt habe. Deshalb Schluss mit irgendwelchen negativen Gedanken oder Emotionen. Ich möchte einfach nur diesen wunderbar sonnigen Tag genießen.

Huch, wer oder was flattert mir denn jetzt gerade um die Ohren? Es ist ein Zitronenfalter. So herrlich schaut er aus in seinem frischen Gelb. Federleicht lässt er sich auf einer Löwenzahnblüte nieder. Auch sie trägt einen wunderbar satten Gelbton.

Ist es nicht einfach nur herrlich, dass uns der Mai mit so vielen gigantischen Farben berauscht? Die Natur ist das reinste Wunderwerk. Wir sagen das zwar häufig, doch wenn man all die vielen kleinen Lebewesen mal genauer unter die Lupe nimmt oder einfach nur beobachtet, kann man doch echt nur staunen.

Oh, hoppla, fast hätte ich mit meinem Fuß eine Bänderschnecke zertreten. Gerade noch rechtzeitig entdecke ich sie.

Ich gehe in die Hocke und betrachte, wie sie gemütlich ihren Weg geht. Aber Moment mal, da stimmt doch etwas nicht. Die Schnecke scheint ‚falsch gewickelt‘ zu sein. Ich bekomme vor Rührung eine Gänsehaut, weil mir bewusst wird, dass ich gerade etwas ganz Besonderes erlebe. Bei der Schnecke vor mir handelt es sich um einen Schneckenkönig. Die Gehäuse der allermeisten Schnecken sind in die gleiche Richtung gedreht. Nur bei einem Schneckenkönig ist sie anders herum gedreht. Vorsichtig hebe ich das besondere Exemplar von der Straße und setze es im Gras ab.

Wenn ich wüsste, dass mich niemand beobachtet, würde ich mich glatt mit weit ausgebreiteten Armen mitten auf diesem Feldweg im Kreis drehen, so sehr freue ich mich gerade. Aber ich traue mich nicht, was ich im tiefsten Inneren bedauere. Wer oder was verbietet es mir denn? Mein Alter? Oder ist es ein Satz, der mir tief eingepflanzt wurde und der lautet: Das tut man nicht!

Schade! Ich sollte … vorsichtig schaue ich mich um … ich sollte … es einfach tun. Doch es geht nicht. Ich kann nicht. Wie angewurzelt stehe ich da. Das ist doch verrückt.

Ein bisschen betrübt gehe ich weiter. Mir wird bewusst, dass ich mich davon befreien sollte. Niemand sollte sein Verhalten davon abhängig mache, was andere darüber denken. Zumindest solange nicht, wie man anderen mit seinem Verhalten keinen Schaden zufügt.

Doch Stopp! Ein weiteres Mal rufe ich meinen Geist zur Ruhe. Ich will jetzt nicht über irgendetwas nachdenken. Nein! Stopp! Keine negativen Gedanken, nur das Schöne im Hier und Jetzt sehen und genießen. Warum ist das manchmal nur so entsetzlich schwierig?

Ich lege eine Hand über meine Augen und schaue in den blauen Himmel. Lautlos schwebt ein Rotmilan-Pärchen über mich hinweg. Ob sie es zu schätzen wissen, dass sie, wann immer sie es möchten, die Welt von oben betrachten können?

Meinen Blick auf den Wegesrand mit all seinen zum Teil heilenden Kräutern gerichtet, setze ich meinen Weg fort. Vielleicht entdecke ich an diesem Tag ja noch weitere kleine oder große Wunder der Natur.

Aber Moment einmal, denke ich ein weiteres Mal an diesem Tag und bleibe erneut stehen. Ist es nicht ein ganz besonderes Wunder, dass es mich gibt? Das ich jetzt hier stehe inmitten all dieser Schönheit?

Und dann geschieht es. Ich breite einfach meine Arme weit aus und drehe mich im Kreis. Ob mich jemand dabei beobachtet?

Mir doch egal!

© Martina Pfannenschmidt, 2021


Diese Geschichte nimmt an Elkes 'froher und kreativer Linkparty' teil.

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14 Kommentare:

  1. Genau, liebe Martina,
    es sollte dir egal sein, dreh dich wo und wann immer du magst. Ich versuche das auch mal, habe richtig Lust darauf bekommen bei deiner schönen Geschichte. Ja, und ich freue mich, dass du wieder da bist!
    Ganz herzliche Grüße zu dir
    Regina

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    1. Ja, drehen wir uns doch einfach mal im Kreis. Gerade in dieser Zeit.
      Aber du weißt ja, dass ICH nicht ICH bin - es ist 'nur' eine Geschichte! :-)
      LG Martina

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  2. Hallo Martina, Deine Geschichte hat sowas Beruhigendes, ja, sogar Lust auf einen Spaziergang gemacht, hat mir gut gefallen, danke.
    Ich bin neu hier ,an der Seite von Lore, sie inspiriert mich zum malen.
    Eure Geschichten tun unsrer Seele gut, auch hoch interessant durch die unterschiedlichen Sichtweisen.
    Liebe Grüße aus Dresden von Monika

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    1. Hallo Monika, wie schön, dass du durch Lore auch zu mir gefunden hast. Ich muss sagen, dass ich auch immer wieder darüber staune, wie unterschiedlich unsere Geschichten sind trotz der gleichen Wortvorgaben. - Aber das ist ja gerade das Tolle daran. - Wie gut, dass Lore dich zum Malen inspiriert hat. Wäre doch wirklich schade, wenn dieses Talent brach läge! - Danke für deinen Besuch und Kommentar und ganz liebe Grüße hin zu dir und in die wunderschöne Stadt Dresden! Martina

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  3. Das ist eine sehr schöne Geschichte, liebe Martina. Danke für den Link und schön, dass Du bei den Reizwortgeschichten wieder dabei bist.
    LG Elke

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    1. Liebe Elke, ich freue mich auch darüber, dass ich wieder mitschreiben kann und über deinen Besuch samt Kommentar noch mehr! - LG Martina

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  4. So ein schöner Spaziergang durch die Natur, Emotionen bei all der Schönheit im Kleinen und auch Großen. Darüber schrieb ich auch grad in meinem Blog.
    Die Lebensfreude mit einem Tanz ausdrücken, sich drehen im Kreis, wunderbar, das würde ich auch tun. Ist doch egal, es steckt sogar an, gleiches zu tun.
    Eine Geschichte , die mir gut gefallen hat. Liebe Grüsse zu Dir, Klärchen

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    1. Dankeschön, Klärchen! Wenn wir eine Geschichte schreiben, dann liegt das 'Schicksal' unserer Protagonisten ja quasi in unseren Händen. Das ist durchaus eine große Verantwortung. ;-) - Und deshalb lasse ich Geschichten gerne 'gut' ausgehen, weil es doch auch im 'echten' Leben einfach nur schön ist, wenn etwas gut ausgeht. - Ich schau gleich mal, welche Bilder und Gedanken zur Natur es bei dir zu bestaunen gibt. - Danke für deinen Besuch und Kommentar und liebe Grüße hin zu dir! Martina

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  5. hach jaa..
    mir doch egal was andere über mich denken ;)
    eine sehr schöne Geschichte
    ja.. die Wunder liegen vor unseren Füßen
    man muss sich oft nur etwas bücken ;)
    und vor allem Herz und Augen aufmachen

    liebe Grüße
    Rosi

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    1. Ach wie schön, liebe Rosi, dass du mich auf meinem Spaziergang begleitet hast. - Sich davon frei zu machen, was andere über uns denken, ist oft gar nicht so einfach. - Danke für deinen Besuch und den lieben Kommentar! Martina

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  6. Liebe Martina..diese Geschichte in der Ich - Form in so einer wunderschönen geradezu beruhigenden Schreibweise voller eigener Fragen und Antworten zu schreiben ist fast schon Kunst.
    Erzählen und andere damit mitfühlen und empfinden zu lassen ist nicht sehr häufig zu lesen und nicht jeder Autor beherrscht diese Wortspiele.
    Zwischen den geschickt eingestreuten Worten eine Geschichte voller Empfindungen zu basteln gelingt ganz sicher nicht jedem.
    beim lesen war ich mittendrin...
    toll geschrieben und ausgedrückt die Zweifel der Protagonistin in der Ich - Form...
    herzlichst meine Grüße zum bevorstehenden Wochenende..
    Angel

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    1. Was soll ich nur antworten, liebe Angel, ich bin so sehr berührt von deinen Worten - und vielleicht ahnst du nicht einmal, wieviel sie mir bedeuten. Sie sind Balsam für meine Seele. Ich danke dir sehr für deinen Besuch und die liebevollen Worte! LG Martina

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  7. Wundervoll hast du wieder deine Begegnungen beschrieben liebe Martina.Ein Schneckenhehäuse links gedreht ist etwas ganz Besonderes.:)
    Genieße diese herrliche Frühlingszeit weiterhin mit allen Sinnnen.
    Gruß Helga

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    1. Dank dir, liebe Helga! Auch wenn die Sonne sich momentan nicht zeigen mag, so haben wir doch die Gewissheit, dass sie da ist. Ihre Strahlen treffen uns immer - auch wenn wir sie nicht sehen können. - Frühlingshafte Grüße schickt dir
      Martina

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