Reizwörter: Baumstumpf, Gartenzaun, erdig, flimmern,
eigenartig
Wie immer, so findet ihr zu diesen Wörtern auch diesmal wieder weitere Geschichten bei Regina und Lore!
Leise schließe ich die Tür
hinter mir, um meine Familie nicht zu wecken. Sie schläft im Urlaub gerne aus,
während ich diese stille Zeit früh am Morgen genieße und als sehr wertvoll
empfinde.
In der Nacht hat es geregnet,
so dass ein erdiger Geruch in
der Luft liegt. Ich nehme ein paar tiefe Atemzüge und lasse dabei meinen Blick
über das Meer gleiten.
In der noch tief stehenden
Sonne flimmert es silbrig und
zaubert mir damit ein Lächeln ins Gesicht.
Im nahe gelegenen
Fischereihafen wiegen Wellen die buntbemalten Kutter.
Mein Weg führt mich an einem
alten Friesenhaus vorbei. Der grün gestrichene Gartenzaun hat schon bessere Zeiten gesehen, doch das tut
seinem Charme keinen Abbruch.
Auf einem Baumstumpf dahinter steht ein
verwitterter Gartenzwerg, der eine Laterne in seiner Hand hält. Vielleicht soll
sie seinem Besitzer die Dunkelheit erhellen.
Nur noch wenige Schritte,
dann bin ich direkt am Meer angekommen. Kein Mensch ist hier, nur ein paar
Möwen kreisen am Himmel und so kommen und gehen meine Gedanken während meines morgendlichen
Spaziergangs, wie die Wellen, die den Strand berühren und sich dann schnell wieder
zurückziehen.
In diesem Moment kommt eine
Frage in mir hoch, die ich schon seit Kindertagen in mir trage: Warum bin ich eigentlich
hier? Gibt es dafür einen Grund? Gibt es eine Aufgabe? MEINE Aufgabe auf diesem
Planeten?
Menschliche Aufgaben sind vielfältig,
denke ich und sie beginnen wohl für jeden an jedem Morgen mit den alltäglichen
Dingen des Lebens, die wir mal mehr, mal weniger gerne erledigen. Aber ist das
Abarbeiten irgendwelcher Aufgaben der Grund, weshalb ich hier bin? Und wie
wichtig ist mein kleines Leben überhaupt, verglichen mit dem ganzen Universum, dessen
Ausmaße ich mir nicht einmal vorstellen kann?
Bin ich, verglichen mit all
dem, nicht nur winzig wie ein kleines Staubkorn?
Doch was ist, wenn ich doch
nicht bedeutungslos bin? Wenn es einen Grund dafür gibt, dass ich genau jetzt
an diesem Ort bin?
„Guten Morgen“, ruft mir unerwartet
jemand zu und ich schrecke aus meinen Gedanken hoch.
„Guten Morgen“, erwidere ich
verdutzt, während ich eine Hand zum Schutz vor der Sonne über meine Augen lege
und eine Frau meines Alters auf mich zukommen sehe. „Ich habe Sie gar nicht
kommen hören.“
„Das glaube ich gerne. Sie
waren ganz in ihren Gedanken versunken. Außerdem erwartet man zu dieser Zeit ja
auch niemanden hier, nicht wahr?“
„Ja, so ist es. Sie haben Recht.
Mit dem Einen und mit dem Anderen. Ich wähnte mich wirklich alleine hier und meine
Gedanken waren gerade bei meinem Leben und der Frage, weshalb ich eigentlich
hier bin. – Also, nicht jetzt hier am Strand, sondern überhaupt, hier auf der
Welt. Haben Sie sich das auch schon mal gefragt?“
Ich staune über mich selbst.
Weshalb teile ich diese tiefgründige Frage ausgerechnet mit der mir fremden
Person?
„Wollen wir uns nicht einen
Augenblick setzen?“, fragt sie daraufhin und hockt sich auch schon in den
hellen Sand.
Es ist eigenartig, obwohl wir uns gar nicht kennen, scheint eine bemerkenswerte
Nähe zwischen uns zu sein. Wortlos setze ich mich neben sie.
„Eine solch philosophische
Frage an einem so wundervollen Morgen“, sagt sie lächelnd. „Aber ich kenne das.
Es sind genau dieses Alleinsein und diese Stille, die uns zu diesen elementaren Fragen
führt, die ich mir ebenso wie Sie schon gestellt habe.“
„Und“, erkundige ich mich erwartungsvoll,
„haben Sie für sich eine Antwort darauf gefunden?“
Die Frau schaut auf das Meer
hinaus, nimmt anschließend ein wenig von dem weißen Sand in ihre Hand und lässt
ihn durch ihre Finger gleiten, während sie mir antwortet: „Ich glaube, ich bin
hier, um meinen Mann zu lieben und meine Kinder. Ich glaube, ich bin hier, um ihnen
meine Liebe zu geben, für sie da zu sein und ihr Fels in der Brandung zu sein,
wenn die Wellen mal wieder hoch schlagen und auch, um während meiner
ehrenamtlichen Tätigkeit in einem Hospiz ein wenig Licht in so manche dunkle
Stunde meiner Mitmenschen zu bringen.“
Ich schaue die Frau an und
sie lächelt zurück. „Das genügt Ihnen nicht, nicht wahr? Sie denken, das kann
doch nicht alles sein? Kann man denn da wirklich von einer Aufgabe sprechen?“
Ich fühle mich ertappt und
schaue verlegen nach unten.
„Haben Sie schon einmal
versucht, ALLES zu lieben? JEDE Situation in Ihrem Leben?“, fragt sie mich und
spricht weiter, ohne auf meine Antwort zu warten: „Das ist eine echte Aufgabe,
wie ich finde. Es ist gar nicht so einfach, nicht nur die guten Zeiten und
glücklichen Momente, zu lieben, sondern sein Licht auch und gerade in dunklen
Stunden scheinen zu lassen und zu erkennen, dass auch diese ihren Sinn haben
und manche Schätze dahinter verborgen liegen. Diese Schätze zu finden und zu
heben, sehe ich als eine meiner Aufgaben, denn das, was der Dunkelheit fehlt,
ist doch nur das helle Licht der Liebe. Licht und Liebe in diese Welt zu tragen
und sei es auch nur in meine kleine Welt, darin sehe ich meine Aufgabe.“
Wir sitzen eine Weile
schweigend nebeneinander und schauen gemeinsam hinaus aufs Meer. Obwohl wir uns
fremd sind, hat dieser Moment etwas von Vertrautheit, ja fast schon etwas
Magisches.
„Ich glaube“, spricht die
Frau wie aus dem Nichts weiter, „es geht nicht darum, eine Spitzenmanagerin zu
sein, die viel Geld verdient, aber jeden Abend matt ins Bett fällt. Das mag
durchaus ihre Aufgabe sein, aber es ist nicht meine. Das weiß ich ziemlich
sicher. Das würde mich einfach nicht glücklich machen und darum geht es doch.
Mir reicht es, mein kleines ‚Familienunternehmen‘ zu managen. Das macht mich
wirklich rundum glücklich. Diese kleinen Momente zu genießen, wenn mein Kind
mich umarmt. Das sind für mich wahre Glücksmomente. Diese vielen kleinen
Momente zu sammeln und im Herzen zu bewahren sind für mich wertvoll und man
kann sie mit keinem Geld der Welt aufwiegen.
Wissen Sie, ich habe oftmals den
Eindruck, dass es in unserer Gesellschaft die Neigung gibt, wertvolle Zeit mit
allen möglichen Dingen zu verbringen. In meinen Augen sollte die Zeit, die wir
mit den Menschen verbringen, die uns am meisten bedeuten, die Zeit sein, in der
wir eben nicht erschöpft und müde sind und kaum noch Energie haben.“
Die Frau, deren Namen ich
nicht einmal kenne, springt auf, entledigt sich ihrer Kleidung und läuft ins
Meer. Von weitem ruft sie mir noch zu: „Und denken Sie immer daran, was der
Grund dafür ist, dass SIE hier sind, das entscheiden SIE selbst und kein
anderer!“
© Martina Pfannenschmidt,
2020
Danke, dass du mich auf deinem Spaziergang mitgenommen hast, ich spüre jetzt noch die kühle Brise des Meeres, Und auch dass ich an deinen Gedanken teilnehmen durfte, mit derrn ich in vielen Dingen übereinstimme.
AntwortenLöschenWünsche dir ein schönes Wochenende, Lore
Eine kühle Brise tut wirklich gut in diesen Tagen. - Danke, dass du mich begleitet hast. - Auch dir ein schönes Wochenende! Martina
LöschenLiebe Martina,
AntwortenLöschenich war auch mit dir am Meer und hatte das Gefühl, dass ich neben euch beiden im Sand saß und zuhörte, was es zu erzählen gab. Ich musste gar nicht eingreifen, einfach nur zustimmend nicken und mich freuen, dass ich dort auch gut hingepasst hätte!
Wunderbar hast du erzählt, vielen Dank1
Herzliche Grüße
Regina
Nach 3 Tagen Internet-Abstinenz, weil unser Router aufgrund eines Blitzeinschlages in der Nähe defekt war, finde ich deinen lieben Kommentar vor und freue mich sehr darüber. - Wie schön, dass du (heimlich) das Gespräch belauscht hast. ;-) LG Martina
Löschenhach ja..
AntwortenLöschenschön es sich in Gedanken vorzustellen
ich bin gerne mit dir gekommen
am Meer zu sein.. das wäre jetzt schön..
und den Sinn des Lebens?? Einfach zu leben ;)
liebe Grüße
Rosi
Guten Morgen, Rosi! Ich bin auch gerne am Meer und am liebsten dann, wenn dort nicht soviel Trubel herrscht. - Einfach leben! - Ja, so einfach kann es sein! - Hab einen schönen Sonntag und Danke für deinen Besuch und Kommentar! Martina
LöschenSo viele Philosophen haben sich schon die Zähne ausgebissen an dieser Frage des Seins. Ich habe sie mir auch schon gestellt, gerade am Meer, mit dem Kommen und Gehen der Wellen. So wie die fremde Frau geantwortet hat, so ist es. Die Frage kann man nur für sich beantworten, alles hat einen Sinn und den finden wir in uns.Wunderbar geschrieben, Martina, eine Seinfrage nach dem Sinn!
AntwortenLöschenLiebste Grüsse, Klärchen
Liebes Klärchen, vielen Dank für deinen lieben Kommentar. - Ja, es ist eine Frage, an der man sich die Zähne ausbeißt und für die jeder für sich seine Antwort finden muss. - Hab einen schönen Tag und halt dich gut fest, damit du nicht weggeweht wirst. :-) - LG hin zu dir! Martina
LöschenHallo liebe Martina, ich erinnere mich gern an unser Gespräch.:)
AntwortenLöschenAlles Liebe.
Helga
Ach, DU warst das??? Das freut mich aber sehr!!!!
LöschenAuch für dich alles Liebe!
Martina