Samstag, 30. Oktober 2021

Hühnersuppe

Reizwörter: Anzug, Schaf, zittern, schnäuzen, blind

Schaut doch bitte auch bei Lore und Regina herein, welche Geschichten ihnen eingefallen sind.


Jana öffnete die Augen und hangelte mit einer Hand nach ihrer Brille, die direkt neben ihr auf dem Nachttisch lag. Ohne diese war sie blind wie ein Maulwurf und konnte nicht einmal die Uhrzeit auf ihrem Wecker erkennen. 5.31 Uhr. Viel zu früh, um aufzustehen. Zumindest an einem Samstag.

Dennoch schälte sie sich aus dem Bett. Sie brauchte dringend eine Kopfschmerztablette und Nasenspray für ihre verstopfte Nase.

Bevor sie dies nutzte, schnäuzte sie ausgiebig und legte anschließend ihren schmerzenden Kopf wieder zurück auf das weiche Kissen. So ein Mist. Sie hatte sich eine fette Erkältung eingefangen.

Als die Turmuhr 10 schlug, wurde Jana erneut wach. Auch wenn die Kopfschmerzen erträglicher waren, fühlte sie sich dennoch etwas zerschlagen.

Früher, als sie noch klein gewesen war, hatte sich ihre Mama in einer solchen Situation an ihr Bett gesetzt und sich um sie gekümmert. Doch erstens war sie inzwischen erwachsen, wohnte zweitens seit ein paar Monaten in ihrer ersten eigenen Wohnung und wusste drittens, dass ihre Eltern über dieses Wochenende verreist waren. Manno! Da brauchte man seine Eltern ein einziges Mal und sie waren nicht da.

Es half nichts. Sie musste alleine klar kommen. Obwohl … Gedankenblitz: Oma! Die würde sie anrufen. Oma käme bestimmt und würde ihr eine Hühnersuppe kochen. Jana liebte Hühnersuppe und ganz besonders die von ihrer Oma mit Blumenkohl, Buchstabennudeln und Eierstich.

Auch wenn Großeltern manchmal ganz schön anstrengend sein können, weil man ihnen zig Mal zeigen muss, wie man die Fernbedienung für den Fernseher richtig nutzt oder das Handy; das von Oma gekochte Essen ist einfach das Beste auf der ganzen Welt.

Die Aussicht darauf ließ Jana zügig aus dem Bett steigen. Noch bevor sie ins Bad ging, griff sie zum Telefon und rief ihre Oma an. Nach dem Gespräch ging es ihr schon deutlich besser. Die Aussicht auf Fürsorge, Unterhaltung und leckeres Essen hatte eine enorm heilende Wirkung auf sie.

Als Jana im Bad vor dem Spiegel stand, um sich die Zähne zu putzen, dachte sie darüber nach, wie sehr ihre Großeltern sie ihre Liebe spüren ließen. Sie dachte dabei nicht nur daran, dass sie ihr als Kind viel mehr erlaubt hatten, als ihre Eltern, sondern daran, dass sie das Gefühl hatte, dass sie von ihnen wirklich bedingungslos geliebt wurde. Das war eine tolle Empfindung.

Auch wenn ihre Großeltern keine Ahnung von Facebook oder TikTok hatten, so hatte Jana längst erkannt, dass diese allein aufgrund ihres Alters eine große Lebenserfahrung und einen enormen Wissensschatz besaßen.

Nachdem es an ihrer Wohnungstür geklingelt hatte, öffnete Jana voller Vorfreude die Tür. Doch es war gar nicht, wie erwartet, ihre Oma, die vor der Tür stand, sondern ihr bester Freund und Nachbar. Er stand etwas steif aber in einem schnieken dunkelblauen Anzug vor ihr.

„Wow, du hast dich aber in Schale geworfen“, meinte Jana mit krächzender Stimme.

„Du weißt doch, heute Abend …“, stammelte er, drehte sich kurz um seine eigene Achse, damit sein Gegenüber sich ein noch besseres Bild von ihm machen konnte und nahm anschließend Janas warme Worte dankbar entgegen: „Na klar, weiß ich. Dein Date. Siehst gut aus. Kannst dich sehen lassen. Nur …“

„Was?“

„Also die Socken, die ich letztens auf deinem Wäscheständer gesehen habe … du weißt schon … die mit den Schäfchen drauf …, die solltest du heute Abend nicht unbedingt tragen“, äußerte Jana augenzwinkernd.

„Also dafür, dass du erkältet bist, bist du ganz schön frech!“, entgegnete ihr Nachbar daraufhin, „und nein, die werde ich definitiv nicht tragen.“

„Dann sollte einem schönen Abend nichts mehr im Wege stehen“, grinste Jana.

„Und du?“

„Meine Oma kommt gleich und kocht mir eine Hühnersuppe. Danach werde ich fit sein wie ein Turnschuh.“

„Na dann, mach es gut …“, sagte er, hob noch kurz die Hand Richtung Oma, die in diesem Moment schwer beladen die Treppe herauf kam, und verschwand wieder in seiner Wohnung.

„Was schleppst du denn da alles an?“, fragte Jana fassungslos, als sie ihre bepackte Oma sah.

„Lass mich mal vorbei“, meinte diese nur und schob Jana liebevoll beiseite. „Du kannst doch nicht einkaufen in deinem Zustand. Da hab ich das für dich gemacht. Schließlich brauchst du jetzt jede Menge Vitamine. Ja und Hühnersuppe habe ich auch mitgebracht. Ich hatte Gott sei Dank noch welche eingefroren.“

„Ach, Omilein, du bist einfach die Beste!“

„Na, das weiß ich doch“, scherzte sie, „und, wie geht es dir?“

„Schon besser!“, erwiderte Jana.

„Hat dein Nachbar mit dieser Wunderheilung zu tun?“, fragte Oma verschmitzt.

„Nein, Omilein. Und falls du mich wieder einmal verkuppeln möchtest, muss ich dich enttäuschen. Mein Nachbar ist stockschwul und heute Abend hat er ein Date mit seinem neuen Freund.“

Das nahm Oma kommentarlos zur Kenntnis, räumte schnell das Eingekaufte in den Kühlschrank und in die Obstschale und kochte anschließend einen Tee für sich und ihre Enkelin, die sich inzwischen mit einer warmen Decke auf das Sofa verkrochen hatte.

„Früher hast du mir immer eine Geschichte erzählt, wenn ich krank war“, stellte Jana fest.

„Ja, ich erinnere mich genau, aber auch daran, wie es war, als ich dich das allererste Mal sah. Du warst nur ein winzig kleiner schwarzer Punkt auf einem Ultraschallbild, aber du hast dich sofort mitten in mein Herz gebeamt. Als ich dich dann als winziges Menschenbündel das erste Mal auf meinen Armen hielt, war ich schockverliebt. Aber wer kann schon einem so süßen Baby, wie du es warst, widerstehen? Und wie stolz wir waren, Opa und ich, als du zum Schuldkind gereift warst. Und dann, in der Pubertät hast du oft unseren Rat gesucht und du hast in schwierigen Situationen eher auf uns gehört, als auf deine Eltern.“

Jana nickte. Sie wusste, dass es genau so gewesen war.

„Weißt du, Liebes, zuerst sind die Kinder klein und brauchen die Hilfe ihrer Eltern und Großeltern, aber irgendwann kommt es zu einem Rollentausch. Dann sind die Kinder zu verantwortungsvollen erwachsenen Menschen geworden und die Großeltern werden gebrechlicher.  Aber solange wir können, werden wir für dich da sein. – So und bevor ich jetzt wehmütig werde“, sagte Oma mit leicht zittriger Stimme, „gehe ich lieber in die Küche und mache die Hühnersuppe für dich warm.“

 

© Martina Pfannenschmidt, 2021

 


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10 Kommentare:

  1. Liebe Martina,
    genauso ist das mit dem Rollentausch. Ich erlebe das gerade mit meiner Mutter und da ist es gut, sich daran zu erinnern, was sie so alles für mich getan hat - nun bin ich dran! Passender kann deine Geschichte gar nicht sein für mich!
    Herzlichen Dank und liebe Grüße
    Regina

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    1. Liebe Regina, dass, was du jetzt erlebst, kenne ich auch. Meine Mutter lebt nur schon lange nicht mehr. Dieser Rollentausch fällt besonders zu Anfang ganz schön schwer. Ich fand auch deshalb, weil man plötzlich für die andere Person Entscheidungen zu treffen hat. - Danke für deinen Kommentar und ganz liebe Grüße hin zu dir! Martina

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  2. wieder eine herzberührende Geschichte
    die ja nicht nur für Enkel sondern auch für Kinder gilt
    ja.. die Entscheidungen
    es ist mir gestern schwer gefallen ja zu sagen dass mein Vater ins KH kommt
    denn das letzt mal ging es ihm dort nicht gut
    aber der Arzt meinte es wäre besser

    ich wünsche dir ein schönes WE
    Rosi

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    1. Oh ja, derartige Entscheidungen sind schwer und können uns das Herz wirklich schwer machen. Alles Liebe für dich und deinen hochbetagten Vater. Hab Dank für deinen Besuch! Martina

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  3. Deine nette Geschichte erinnert mich sehr an meine liebe Oma.
    Sie fehlt einfach, auch wenn man inzwischen erwachsen ist.
    Ein solcher Rollentausch mit meiner Mutti dann schon sehr schwer. Anfang ihrer 80er war sie dafür noch zu fit und zu selbständig und später in ihren 90er kam die Demenz und machte es unmöglich, leider.
    Danke für diese schöne Geschichte

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    1. Liebe Monika, eine der schwierigsten Erfahrungen ist es wohl, seine Eltern oder Großeltern leidend zu sehen. Das weiß ich aus eigener schmerzvoller Erfahrung. Dennoch gilt es, sie eines Tages loszulassen. Die liebevollen Erinnerungen bleiben uns und die kann uns auch niemand nehmen. - Danke für deinen Besuch und auch für deinen Kommentar! - Liebe Grüße schicke ich zu dir! Martina

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  4. Als Kind habe ich leider meine Grosseltern nur kurz erlebt. In meiner Rolle als Grossmutter kann ich mich in die Geschichte gut hinein versetzen. Koche gern mal für meine Enkel, die das zu würdigen wissen und über meine Kochkunst begeistert sind.
    Liebe Grüsse zu Dir, Klärchen

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    1. Hallo, Klärchen, meine Erinnerung an meine Großeltern ist noch recht gut. Wir wohnten zusammen in einem Haus. Allerdings war bei uns meine Mutter für das Kochen zuständig und Oma für den Garten. - Ja, heute bin ich die Oma und das Kochen für die ganze Familie macht mir große Freude. - Danke dir für deinen Besuch. - LG Martina

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  5. Das kommt mir bekannt vor. Meine Mutter ist jetzt die Uromi, die für alle Hühnersuppe kocht. Als sie kürzlich bei uns einige Tage zu Besuch war, wollte sie das auch, aber ich habe mir "Pickert" gewünscht. Der wurde dann auch gebacken. Ich habe eine Pickertplatte von zu Hause.
    LG Elke

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    1. Hallo, Elke, Hühnersuppe ist bei meiner Tochter auch sehr beliebt - die hat sie sich früher immer von ihrer Oma (meiner Mutter) gewünscht. Von daher hat sie so ein kleines bisschen 'Pate gestanden' für diese Geschichte.
      Nun bin ich ja auch schon die Oma und meine Enkelkinder wünschen sich in der Tat immer Pickert. - Der kommt bei mir auch weit vor Hühnersuppe! ;-) LG Martina

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