Reizwörter: Anzug, Schaf, zittern, schnäuzen, blind
Schaut doch bitte auch bei Lore und Regina herein, welche Geschichten ihnen eingefallen sind.
Jana öffnete die Augen und hangelte mit einer Hand nach ihrer Brille, die direkt neben ihr auf dem Nachttisch lag. Ohne diese war sie blind wie ein Maulwurf und konnte nicht einmal die Uhrzeit auf ihrem Wecker erkennen. 5.31 Uhr. Viel zu früh, um aufzustehen. Zumindest an einem Samstag.
Dennoch schälte sie sich aus dem
Bett. Sie brauchte dringend eine Kopfschmerztablette und Nasenspray für ihre
verstopfte Nase.
Bevor sie dies nutzte, schnäuzte sie ausgiebig und legte anschließend
ihren schmerzenden Kopf wieder zurück auf das weiche Kissen. So ein Mist. Sie
hatte sich eine fette Erkältung eingefangen.
Als die Turmuhr 10 schlug, wurde
Jana erneut wach. Auch wenn die Kopfschmerzen erträglicher waren, fühlte sie
sich dennoch etwas zerschlagen.
Früher, als sie noch klein
gewesen war, hatte sich ihre Mama in einer solchen Situation an ihr Bett
gesetzt und sich um sie gekümmert. Doch erstens war sie inzwischen erwachsen,
wohnte zweitens seit ein paar Monaten in ihrer ersten eigenen Wohnung und
wusste drittens, dass ihre Eltern über dieses Wochenende verreist waren. Manno!
Da brauchte man seine Eltern ein einziges Mal und sie waren nicht da.
Es half nichts. Sie musste
alleine klar kommen. Obwohl … Gedankenblitz: Oma! Die würde sie anrufen. Oma
käme bestimmt und würde ihr eine Hühnersuppe kochen. Jana liebte Hühnersuppe
und ganz besonders die von ihrer Oma mit Blumenkohl, Buchstabennudeln und
Eierstich.
Auch wenn Großeltern manchmal
ganz schön anstrengend sein können, weil man ihnen zig Mal zeigen muss, wie man
die Fernbedienung für den Fernseher richtig nutzt oder das Handy; das von Oma
gekochte Essen ist einfach das Beste auf der ganzen Welt.
Die Aussicht darauf ließ Jana
zügig aus dem Bett steigen. Noch bevor sie ins Bad ging, griff sie zum Telefon
und rief ihre Oma an. Nach dem Gespräch ging es ihr schon deutlich besser. Die
Aussicht auf Fürsorge, Unterhaltung und leckeres Essen hatte eine enorm
heilende Wirkung auf sie.
Als Jana im Bad vor dem Spiegel
stand, um sich die Zähne zu putzen, dachte sie darüber nach, wie sehr ihre
Großeltern sie ihre Liebe spüren ließen. Sie dachte dabei nicht nur daran, dass
sie ihr als Kind viel mehr erlaubt hatten, als ihre Eltern, sondern daran, dass
sie das Gefühl hatte, dass sie von ihnen wirklich bedingungslos geliebt wurde.
Das war eine tolle Empfindung.
Auch wenn ihre Großeltern keine
Ahnung von Facebook oder TikTok hatten, so hatte Jana längst erkannt, dass
diese allein aufgrund ihres Alters eine große Lebenserfahrung und einen enormen
Wissensschatz besaßen.
Nachdem es an ihrer Wohnungstür
geklingelt hatte, öffnete Jana voller Vorfreude die Tür. Doch es war gar nicht,
wie erwartet, ihre Oma, die vor der Tür stand, sondern ihr bester Freund und
Nachbar. Er stand etwas steif aber in einem schnieken dunkelblauen Anzug vor ihr.
„Wow, du hast dich aber in Schale
geworfen“, meinte Jana mit krächzender Stimme.
„Du weißt doch, heute Abend …“,
stammelte er, drehte sich kurz um seine eigene Achse, damit sein Gegenüber sich
ein noch besseres Bild von ihm machen konnte und nahm anschließend Janas warme
Worte dankbar entgegen: „Na klar, weiß ich. Dein Date. Siehst gut aus. Kannst
dich sehen lassen. Nur …“
„Was?“
„Also die Socken, die ich
letztens auf deinem Wäscheständer gesehen habe … du weißt schon … die mit den Schäfchen drauf …, die solltest du heute
Abend nicht unbedingt tragen“, äußerte Jana augenzwinkernd.
„Also dafür, dass du erkältet
bist, bist du ganz schön frech!“, entgegnete ihr Nachbar daraufhin, „und nein,
die werde ich definitiv nicht tragen.“
„Dann sollte einem schönen Abend
nichts mehr im Wege stehen“, grinste Jana.
„Und du?“
„Meine Oma kommt gleich und kocht
mir eine Hühnersuppe. Danach werde ich fit sein wie ein Turnschuh.“
„Na dann, mach es gut …“, sagte
er, hob noch kurz die Hand Richtung Oma, die in diesem Moment schwer beladen
die Treppe herauf kam, und verschwand wieder in seiner Wohnung.
„Was schleppst du denn da alles
an?“, fragte Jana fassungslos, als sie ihre bepackte Oma sah.
„Lass mich mal vorbei“, meinte
diese nur und schob Jana liebevoll beiseite. „Du kannst doch nicht einkaufen in
deinem Zustand. Da hab ich das für dich gemacht. Schließlich brauchst du jetzt
jede Menge Vitamine. Ja und Hühnersuppe habe ich auch mitgebracht. Ich hatte
Gott sei Dank noch welche eingefroren.“
„Ach, Omilein, du bist einfach
die Beste!“
„Na, das weiß ich doch“, scherzte
sie, „und, wie geht es dir?“
„Schon besser!“, erwiderte Jana.
„Hat dein Nachbar mit dieser
Wunderheilung zu tun?“, fragte Oma verschmitzt.
„Nein, Omilein. Und falls du mich
wieder einmal verkuppeln möchtest, muss ich dich enttäuschen. Mein Nachbar ist
stockschwul und heute Abend hat er ein Date mit seinem neuen Freund.“
Das nahm Oma kommentarlos zur
Kenntnis, räumte schnell das Eingekaufte in den Kühlschrank und in die Obstschale
und kochte anschließend einen Tee für sich und ihre Enkelin, die sich
inzwischen mit einer warmen Decke auf das Sofa verkrochen hatte.
„Früher hast du mir immer eine
Geschichte erzählt, wenn ich krank war“, stellte Jana fest.
„Ja, ich erinnere mich genau, aber
auch daran, wie es war, als ich dich das allererste Mal sah. Du warst nur ein
winzig kleiner schwarzer Punkt auf einem Ultraschallbild, aber du hast dich
sofort mitten in mein Herz gebeamt. Als ich dich dann als winziges
Menschenbündel das erste Mal auf meinen Armen hielt, war ich schockverliebt.
Aber wer kann schon einem so süßen Baby, wie du es warst, widerstehen? Und wie
stolz wir waren, Opa und ich, als du zum Schuldkind gereift warst. Und dann, in
der Pubertät hast du oft unseren Rat gesucht und du hast in schwierigen
Situationen eher auf uns gehört, als auf deine Eltern.“
Jana nickte. Sie wusste, dass es
genau so gewesen war.
„Weißt du, Liebes, zuerst sind
die Kinder klein und brauchen die Hilfe ihrer Eltern und Großeltern, aber
irgendwann kommt es zu einem Rollentausch. Dann sind die Kinder zu
verantwortungsvollen erwachsenen Menschen geworden und die Großeltern werden
gebrechlicher. Aber solange wir können,
werden wir für dich da sein. – So und bevor ich jetzt wehmütig werde“, sagte
Oma mit leicht zittriger Stimme, „gehe ich lieber in die Küche und mache die Hühnersuppe für dich
warm.“
© Martina Pfannenschmidt, 2021
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Liebe Martina,
AntwortenLöschengenauso ist das mit dem Rollentausch. Ich erlebe das gerade mit meiner Mutter und da ist es gut, sich daran zu erinnern, was sie so alles für mich getan hat - nun bin ich dran! Passender kann deine Geschichte gar nicht sein für mich!
Herzlichen Dank und liebe Grüße
Regina
Liebe Regina, dass, was du jetzt erlebst, kenne ich auch. Meine Mutter lebt nur schon lange nicht mehr. Dieser Rollentausch fällt besonders zu Anfang ganz schön schwer. Ich fand auch deshalb, weil man plötzlich für die andere Person Entscheidungen zu treffen hat. - Danke für deinen Kommentar und ganz liebe Grüße hin zu dir! Martina
Löschenwieder eine herzberührende Geschichte
AntwortenLöschendie ja nicht nur für Enkel sondern auch für Kinder gilt
ja.. die Entscheidungen
es ist mir gestern schwer gefallen ja zu sagen dass mein Vater ins KH kommt
denn das letzt mal ging es ihm dort nicht gut
aber der Arzt meinte es wäre besser
ich wünsche dir ein schönes WE
Rosi
Oh ja, derartige Entscheidungen sind schwer und können uns das Herz wirklich schwer machen. Alles Liebe für dich und deinen hochbetagten Vater. Hab Dank für deinen Besuch! Martina
LöschenDeine nette Geschichte erinnert mich sehr an meine liebe Oma.
AntwortenLöschenSie fehlt einfach, auch wenn man inzwischen erwachsen ist.
Ein solcher Rollentausch mit meiner Mutti dann schon sehr schwer. Anfang ihrer 80er war sie dafür noch zu fit und zu selbständig und später in ihren 90er kam die Demenz und machte es unmöglich, leider.
Danke für diese schöne Geschichte
Liebe Monika, eine der schwierigsten Erfahrungen ist es wohl, seine Eltern oder Großeltern leidend zu sehen. Das weiß ich aus eigener schmerzvoller Erfahrung. Dennoch gilt es, sie eines Tages loszulassen. Die liebevollen Erinnerungen bleiben uns und die kann uns auch niemand nehmen. - Danke für deinen Besuch und auch für deinen Kommentar! - Liebe Grüße schicke ich zu dir! Martina
LöschenAls Kind habe ich leider meine Grosseltern nur kurz erlebt. In meiner Rolle als Grossmutter kann ich mich in die Geschichte gut hinein versetzen. Koche gern mal für meine Enkel, die das zu würdigen wissen und über meine Kochkunst begeistert sind.
AntwortenLöschenLiebe Grüsse zu Dir, Klärchen
Hallo, Klärchen, meine Erinnerung an meine Großeltern ist noch recht gut. Wir wohnten zusammen in einem Haus. Allerdings war bei uns meine Mutter für das Kochen zuständig und Oma für den Garten. - Ja, heute bin ich die Oma und das Kochen für die ganze Familie macht mir große Freude. - Danke dir für deinen Besuch. - LG Martina
LöschenDas kommt mir bekannt vor. Meine Mutter ist jetzt die Uromi, die für alle Hühnersuppe kocht. Als sie kürzlich bei uns einige Tage zu Besuch war, wollte sie das auch, aber ich habe mir "Pickert" gewünscht. Der wurde dann auch gebacken. Ich habe eine Pickertplatte von zu Hause.
AntwortenLöschenLG Elke
Hallo, Elke, Hühnersuppe ist bei meiner Tochter auch sehr beliebt - die hat sie sich früher immer von ihrer Oma (meiner Mutter) gewünscht. Von daher hat sie so ein kleines bisschen 'Pate gestanden' für diese Geschichte.
LöschenNun bin ich ja auch schon die Oma und meine Enkelkinder wünschen sich in der Tat immer Pickert. - Der kommt bei mir auch weit vor Hühnersuppe! ;-) LG Martina