Montag, 30. August 2021

Wolkenschloss

 

Reizwörter: Schatz, Kutsche, kratzen, maulen, steinreich

Auch bei Lore und Regina könnt ihr Geschichten mit diesen Reizwörtern lesen.


„Du, Opa …“, begann ich meine Frage, während ich bäuchlings auf dem Rasen lag und Ameisen bei ihrer Arbeit beobachtete.

„Jepp!“, kam bald darauf von Opa aus Richtung Hollywoodschaukelä<<<<<<<<<hähÄ, in der er saß und in einer Fußballzeitschrift las.

Ich mag meinen Opa sehr und ich glaube, er mag mich auch sehr, denn für niemand anderen hätte er in diesem Augenblick seine Zeitschrift aus der Hand gelegt. Nicht einmal für Oma.

„Du Opa“, wiederholte ich, „warum arbeiten Ameisen eigentlich den ganzen Tag?“

Opa kratzte sich hinter dem rechten Ohr und antwortete: „Du, frag sie doch?“

Was war das denn für ein Vorschlag?

„Opa“, rief ich, „das sind Ameisen!“

„Na und?“

„Nee, das ist mir zu blöd. Außerdem verstehen die mich doch sowieso nicht.“

„So, und woher willst du das wissen, du Schlaumeier, wenn du es nicht einmal versuchst?“

„Ich kann es mir einfach nicht vorstellen“, antwortete ich etwas genervt.

„Siehst du, genau das ist das Problem. Stell es dir doch einfach mal vor. Dann ist nämlich so einiges möglich“, meinte Opa und erzählte gleich darauf weiter: „Weißt du, als ich so jung war wie du jetzt, lag ich auch oft auf der Wiese. Aber anders herum.“ Opa machte mit der rechten Hand eine kreisende Bewegung. „Also ich lag auf dem Rücken und schaute Richtung Himmel. Ich habe es geliebt, in den Himmel zu schauen. Das mache ich heute übrigens auch noch gerne. Ja und da kann man sich so allerhand Spannendes ausmalen.“

„Und was soll das Spannendes sein?“, maulte ich ein bisschen herum, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, was dort oben Interessantes zu sehen sein sollte, außer vielleicht einer Wolke oder einem Flugzeug – und das sagte ich Opa auch.

„Wie, dort oben ist nichts Interessantes zu sehen?“, fragte Opa daraufhin entsetzt zurück.

Dann erhob er sich und kam zu mir auf den Rasen. Wir legten uns beide auf den Rücken und sahen in den Himmel.

„Aber schau dir doch nur diese Wolke dort oben an“, bat er mich, „die hat doch einen Rüssel und vier dicke Beine, einen großen Kopf und einen riesigen Körper. Das ist doch eindeutig ein Elefant. Das sieht man doch ganz deutlich.“

„Hm“, machte ich, „mit ganz viel Fantasie ist es vielleicht ein Elefant.“

„Die Jugend von heute“, schmunzelte Opa, „euch fehlt es wirklich an Vorstellungsvermögen. Dabei ist es doch so aufregend, was man alles mithilfe der Fantasie erleben kann.“

„Und was soll das bitte Aufregendes sein?“, fragte ich, während ich gelangweilt die dicke Wolke betrachtete.

„Pass auf, wir stellen uns jetzt einfach mal vor, dass wir beide uns auf diesen Elefanten setzen und mit ihm weiterziehen. Wo möchtest du denn mal hin?“

Ich antwortete nicht sogleich, sondern überlegte zuerst. Schließlich hatte Opa mir gerade vorgeworfen, keine Fantasie zu haben. Das wollte ich auf keinen Fall auf mir sitzen lassen.

„Wir könnten zu meiner Schule fliegen“, antwortete ich verschmitzt, „und dann setzt sich der dicke Elefant aufs Dach und macht die ganze Schule platt.“

Ich grinste breit und war auf Opas Reaktion gespannt.

„Mensch Junge, du hast ja doch Fantasie“, lachte er, „aber wie wäre es, wenn wir stattdessen in den Orient reisen und Ali Baba beim Holzfällen beobachten oder zuschauen, wie es ihm gelingt, eine vierzigköpfige Räuberbande zu bezwingen …“

Ich fiel Opa ins Wort: „… oh ja, und dann holen wir uns den Schatz aus der Felsenhöhle und kommen steinreich zurück.“

„Siehste, mein Junge, geht doch!“ Opa freute sich. „Du hast ja doch Fantasie. Aber schau nur, unser Elefant ist gar nicht mehr da. Er hat sich in der Zwischenzeit verwandelt.“

Ich sah es auch ganz deutlich. Die Wolke hatte sich zu einer prächtigen Kutsche gewandelt.

„Komm, Junge, wir ziehen uns goldene Kleider an und schauen, wohin uns die Kutsche bringt.“

„Bestimmt bringt sie uns zu einem Wolkenschloss“, rief ich eifrig.

Es dauerte auch nur eine Sekunde und ich saß neben Opa in unserer prächtigen Wolkenkutsche. Wir rasten nur so dahin, denn unsere Kutsche wurde von tausend Pferden gezogen. Die konnte natürlich niemand sehen, außer mir. Nun, vielleicht mein Opa noch, aber sonst niemand.

Wir waren so schnell unterwegs, wie ein Überschallflugzeug und ich hielt mich auf der einen Seite an meinem Opa und auf der anderen an einem goldenen Griff fest. Doch dann passierte es dennoch. Ich konnte mich nicht mehr halten und fiel aus der Kutsche direkt auf eine dicke weiße Wattewolke unter mir, die mich behutsam zurück nach Hause brachte.

Ich sah von dort oben, dass Oma aus dem Haus kam und leckere Himbeertorte auf den Tisch stellte. Deshalb bat ich die Wolke, mich in Opas Garten abzusetzen. Schließlich ist es noch viel besser, als in der Fantasie mit einer Kutsche zu reisen oder einen Schatz zu heben, in der Wirklichkeit mit Oma und Opa zusammen Himbeertorte mit ganz viel Schlagsahne zu essen.

Aber Moment einmal, Opa war ja noch gar nicht zurück! Und dann sah ich ihn. Er saß immer noch hoch oben in der Wolkenkutsche und winkte mir zu.  

© Martina Pfannenschmidt, 2021

 

Diese Geschichte nimmt an Elkes 'froher und kreativer Linkparty' teil.

Hier geht es zu Elke und ihrem 'Kleinen Blog'. KLICK!

 

Ein kleiner Hinweis: 

Mit der Nutzung des Kommentar- Formulars erklärst du dich mit der Speicherung und Verarbeitung deiner Daten durch diese Website einverstanden.

9 Kommentare:

  1. Liebe Martina,

    hoffentlich fällt Opa nicht aus allen Wolken... So eine schöne Geschichte, ich mache das auch, lege mich ins Gras und schaue die Wolken an und meine Enkel gesellen sich gern dazu und fantasieren mit mir um die Wette. Schön ist das!
    Deine Geschichte hat mir wieder total gut gefallen, danke schön und liebe Grüße
    Regina

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Puh, da bin ich aber ganz schön froh, dass du mir die Geschichte nicht 'vor der Nase weggeschnappt hast'. Lach! - Hab vielen Dank für deinen Kommentar, liebe Regina!

      Löschen
  2. Das ist eine hübsche Geschichte. Danke für den Link! Mit Fantasie können sich Kinder auch ohne Spielzeug beschäftigen.
    LG Elke

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Und in den allermeisten Fällen kommen sie mit einer Menge Fantasie im Gepäck hier auf der Erde an. :-) - Danke für deinen Besuch! LG Martina

      Löschen
  3. hihi..
    ich schau auch so gerne in die Wolken
    und sehe da allerlei Gestalten ;)
    wie schön..

    liebe Grüße
    Rosi

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das ist ein schönes 'Spiel' nicht wahr - und nicht nur für Kinder - lach!

      Löschen
  4. Oh, das mit dem Wolkengucken mache ich auch gern auf dem Balkon im Liegestuhl.
    Ja , sogar mein schwarz/weisfarbener Marmor lässt mich so einiges entdecken, wenn ich dort verweilen muss.lach.
    Übrigens sogar dieses Regenbogenbild in Lores Geschichte, schon bevor ich die Geschichte kannte.
    Ich lese gern bei Dir, gefällt mir sehr gut, auch wenn ich nicht immer kommentiere. Herzliche Grüße von Monika

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Vielen Dank, liebe Monika! Es ist schön zu wissen, dass du gerne bei mir liest - ich kenne das auch, man hat nicht immer Lust zu kommentieren - aber es erfreut immer. ;-) LG Martina

      Löschen