Mittwoch, 15. Januar 2020

Wünsche an das neue Jahr


Reizwörter: Wünsche, Hoffnungsschimmer, mucksmäuschenstill, butterweich, innehalten

Weitere Geschichten mit diesen Reizwörtern lest ihr bei Regina und Lore!


Das neue Jahr war gerade mal ein paar Tage alt, als ich nach einer kurzen Reise zurück kehrte und meiner Oma einen Besuch abstattete.
Ich ging in ihre Küche, da ich sie dort vermutete, doch dort fand ich sie nicht. Auch in ihrem Wohnzimmer war es mucksmäuschenstill. Nichts war von ihr zu sehen oder zu hören, weshalb ich nach ihr rief.
„Hier bin ich“, kam es aus dem Schlafzimmer und schon kam sie mir freudestrahlend entgegen.
Wir nahmen uns in die Arme und wünschten uns gegenseitig ein glückliches neues Jahr.
Während ich bei einer Tasse Tee von meiner Reise erzählte, fiel mein Blick auf ein kleines Buch, das auf Omas altem Sekretär lag. Ich nahm es an mich und schaute interessiert hinein. Es war ihr Telefon- und Adressenverzeichnis. Obwohl es schon ziemlich abgegriffen und in die Jahre gekommen war, ließ sich doch erahnen, wie butterweich der Ledereinband einst gewesen sein musste.
Sogleich fiel mir auf, dass viele Namen und Adressen durchgestrichen waren und ich erkundigte mich, warum das so war.
„So ist das nun mal im Leben“, antwortete Oma mir in ihrer liebevollen Art. „Ich habe mich schon von vielen Menschen verabschieden müssen. Sie sind aber nicht alle verstorben, sondern einige sind verzogen oder es passte einfach nicht mehr.
Wenn man das erkennt, ist es klüger, eine Freundschaft zu beenden. Das wirst du auch noch merken, dass immer wieder neue Menschen in dein Leben treten, die zu dem Zeitpunkt deines Lebens dann besser zu dir passen.“
„Omi“, fragte ich sie nach einer Weile interessiert, „hast du eigentlich besondere Wünsche an das neue Jahr oder hast du dir etwas ganz Bestimmtes vorgenommen?“
Sie erwiderte: „Ach weißt du, ich denke, dazu benötigt man nicht unbedingt den Jahreswechsel, um Rückschau zu halten, Wünsche zu formulieren oder eine Veränderung zu wagen. Das kann man an jedem Tag des Jahres tun. Allerdings gebe ich zu, dass der Übergang von einem alten zu einem neuen Jahr dafür sehr geeignet scheint. Wer möchte schon Altes und Schweres mit hinüber nehmen in das neue Jahr, nicht wahr?“
Ich dachte über ihre Worte nach. Nein, Altes und Schweres möchte wohl niemand mit hinüber nehmen und doch geschieht es allzu oft.
„Im letzten Jahr habe ich doch in einem Unternehmen bei der Inventur geholfen, um mir ein bisschen Geld dazu zu verdienen“, erzählte ich und fuhr fort: „Weißt du, ich hab mir diesmal am Jahresende vorgestellt, dass ich auch so etwas wie eine Inventur meines Lebens mache. Ich hab geschaut, was im vergangenen Jahr gut und was nicht so gut war. Was möchte ich mitnehmen und was loslassen oder verändern.“
„Das hast du sehr klug gemacht! Es kann nicht schaden, einmal innezuhalten und Vergangenes zu betrachten. Was möchtest du weiterhin mitnehmen und bei dir tragen und wovon möchtest du dich verabschieden? Was hält dich bei deinem Vorankommen auf und was fördert es?
Dabei ist es sicher wichtig zu erkennen, dass alle Erfahrungen, die wir in unserem Leben machen, uns bereichern. Und ich meine wirklich Alle, denn nichts kommt grundlos in unser Leben. Wenn wir schließlich unsere Erkenntnisse aus unseren Erfahrungen gezogen haben, dürfen sie gehen. Wir dürfen sie loslassen.“
Plötzlich musste ich schmunzeln, weil mir durch den Kopf ging, weshalb Oma vorhin aus ihrem Schlafzimmer kam. Sie räumt nämlich immer ihren Kleiderschrank auf und aus, sobald ein neues Jahr da ist. Vielleicht ist das so etwas wie eine Marotte von ihr. Andererseits macht es sehr deutlich, dass wir für Neues zuerst einmal Platz schaffen müssen. Altes raus - Neues rein.
„Omi“, fragte ich, weil es mir gerade in den Sinn kam, „glaubst du, es gibt einen Menschen auf dieser Welt, der rundherum glücklich und zufrieden ist? Immer? Zu jeder Zeit seines Lebens?“
„Vermutlich nicht. Doch ich denke, dass die Kunst darin besteht, wie wir mit unserem sogenannten Schicksal umgehen. Für jeden von uns ist das Leben eine Berg- und Talfahrt. Manchmal sind wir oben, manchmal unten. Nichts währt ewig. Alles ist immer in Bewegung und ändert sich. Und diese Veränderungen können uns zu Boden ziehen oder auch Aufwind geben. Das hängt ganz gewiss maßgeblich von unserem Charakter ab. Und der wird größtenteils durch diese Veränderungen geformt.“
„Du hast recht, im Leben geht es manchmal zu, wie auf einer Achterbahn“, warf ich schmunzelnd ein.
„Das stimmt wohl und dein Vergleich zeigt ja außerdem, dass es nach einer Talfahrt rasch wieder hinauf gehen kann. Und so ist es wohl auch im wahren Leben. Auch die schlechten, schlimmen Zeiten, werden vergehen.“
„Es sei denn“, warf ich ein, „wir halten sie mit unseren Gedanken weiterhin fest.“
„Genauso verhält es sich“, erwiderte Oma und ich sah ihren Augen an, wie stolz sie in diesem Moment auf mich war.
„Man kann das Leben aber ebenso mit einer Fahrt auf einem Fluss vergleichen“, meinte sie. „Es gibt niemals einen Stillstand. Ein Fluss ist immer in Bewegung. Manchmal gibt es unruhige Strecken. Da müssen wir uns in unserem Boot gut festhalten, um nicht herauszufallen oder umzukippen. Doch nach diesen Zeiten wird es auch wieder ruhige Streckenabschnitte geben.“
„Bis die nächste Stromschnelle kommt“, warf ich lachend ein und Oma nickte zustimmend.
Nach einer Weile meinte sie: „Ich habe dir vorhin nur indirekt auf die Frage geantwortet, ob ich Wünsche an das neue Jahr habe. Es war mir bisher vielleicht noch nicht so recht bewusst, doch jetzt kann ich es in Worte fassen. Ich wünsche mir, dass mein Gehör nicht nachlässt. Besonders in Bezug auf die Stimme in mir. Ihr möchte ich meine besondere Aufmerksamkeit schenken. Diese Stimme ist in turbulenten Zeiten wie ein Hoffnungsschimmer für mich, denn sie rät mir: Sei zufrieden mit dem, was du bist, was du tust und was du bereits erreicht hast.“
„Und ich möchte im neuen Jahr wenig zurück schauen“, erwiderte ich Oma daraufhin. „Ganz im Gegenteil. Ich möchte nach vorne schauen und ich möchte lernen, mein Boot sicher zu manövrieren, um den Stromschnellen nach Möglichkeit auszuweichen.“
Oma sah mich liebevoll an und entgegnete: „Wenn dir das gelingt, wirst du ein glückliches Leben führen und du wirst unglaublich stolz auf dich sein.“

© Martina Pfannenschmidt, 2020


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14 Kommentare:

  1. Gute Gedanken zum Jahreswechsel. Nach vorne schauen und Vergangenes hinter sich lassen. Inventur machen und überflüssiges hinter sich lassen und vor allem zufrieden sein,das ist der Weg zum Glück.
    Liebe Martina ich wünsche dir einen schönen Tag. LGLore

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    1. Danke dir liebe Lore, für den Kommentar! - Manchmal muss man zuerst erkennen, wovon man sich besser verabschieden sollte :-). - LG Martina

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  2. Hab ich doch mal wieder Deine Seite zur rechten Zeit angeklickt, liebe Martina.Schön, Deine Geschichten, auch im neuen Jahr wieder zu lesen.Dass mein Gehör nicht nachlässt, besonders in Bezug auf die Stimme in mir,ist auch mein Wunsch. Diese innere Verbindung heilt und leitet uns.
    Sehr schön geschrieben liebe Martina.
    Alles Liebe.
    Helga

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    1. Liebe Helga, immer am 15. eines Monats veröffentlichen wir eine Reizwörtergeschichte. - In diesem Jahr war ich bisher ein bisschen schreibfaul. Es gibt allerdings noch mehr 'Hobbys', als nur das Schreiben. Das muss sich dann manchmal hintenan stellen. Lach - Danke dir für den Kommentar und halt die Ohren offen!
      LG Martina

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  3. eine sehr schöne Geschichte zum Jahresanfang

    für mich ist der Jahreswechsel eigentlich ein Tag wie jeder andere
    ich fasse auch keine "gutenVorsätze2 die sich ja meist doch nicht durchhalten lassen
    und ich bin zufrieden mit dem was mir jeder Tag bringt
    es gibt helle und dunkle
    aber auch wenn man nach vorne schaut..
    eines sollte man nie vergessen
    nämlich wo man her kommt
    leider scheinen so manche Zeitgenossen da ein sehr schlechtes Gedächtnis zu haben ;)

    ich glaube ich habe dir noch keine guten Wünsche für das neue Jahr dagelassen
    das möchte ich hiermit nachholen
    alles Liebe
    Rosi

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    1. Danke für die guten Wünsche, liebe Rosi, ich gebe sie 1 : 1 an dich zurück. Auch dir wünsche ich ein glückliches, helles und zufriedenes neues Jahr.
      Es stimmt schon, dass man seine Wurzeln kennen und schätzen sollte.
      Mir hilft es, mir bezüglich der Familie und des Stammbaumes wirklich einen knorrigen alten Baum vorzustellen. - Ein kleines Ästchen davon bin ich und auch von ihm gehen wieder kleine Äste ab.
      Alles Liebe für dich!
      Martina

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  4. Guten Morgen liebe Martina,
    das sind herrliche Worte und Wünsche in Deiner neuen Geschichte, herzlichen Dank dafür!
    Ich wünsche Dir einen zauberhaften Tag!
    ♥️ Allerliebste Grüße,Claudia ♥️

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    1. Danke dir, liebe Claudia! - Ich wünsche dir auch einen glücklichen Tag und sende dir liebe Grüße! Martina

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  5. Guten Morgen liebe Martina,
    deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen, sie passt zum einen sehr gut zum Jahresanfang, aber eigentlich auch an jedem anderen Tag des Jahres. Innehalten, nachzudenken, was überflüssig oder sogar belastend ist, das sollte man immer mal wieder und sich dann davon befreien so gut wie möglich. In vielen Dingen habe ich mich und mein eigenes Verhalten wiedergefunden!
    Danke für diese Geschichte und herzliche Grüße zu dir
    Regina

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    1. Schau, liebe Regina, wie interessant: Du hast dich in meiner Geschichte wiedergefunden und ich in deiner. - Das ist doch wirklich schön!
      Danke für deinen Kommentar und ganz liebe Grüße!
      Martina

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  6. Vielen lieben Dank für die schöne Geschichte und für den Link in der Linkparty!
    Liebe Grüße
    Elke

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  7. Eine wunderschöne Geschichte liebe Martina,
    gute Rat von der Oma, man sollte immer mal wieder drauf hören was äktere Menschen einen sagen und bei bringen können.
    Ein schöne Lebensweisheit!
    Lieben Gruss Elke

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    1. Liebe Elke, Danke für deinen Besuch und den lieben Kommentar.
      Ich hab schon sehr viele Oma-und-Enkel-Gesprächs-Geschichten :-)
      geschrieben, weil ich das zum einen aus meinem eigenen Leben kenne und
      zum anderen ganz deiner Meinung bin.
      LG Martina

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