Sonntag, 20. Oktober 2019

Raus aus dem Jammertal!


Heute geht die nächste
Reizwörtergeschichte
an den Start.
Das waren diesmal die vorgegebenen Wörter: 

Zitteraal, Klagelied, ungerecht, zufrieden, vergiften

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„Bruno, was ist los mit dir? Du zitterst ja am ganzen Körper. Fürchtest du dich?“
„Nein, mir ist soooo kalt!“
Seine Mutter lachte kurz auf: „Das ist nicht dein Ernst, Bruno? Du bist ein Eisbär. Eisbären frieren nicht.“
„Ich aber, Mama, mir ist wirklich kalt!“
„Na dann komm her, mein kleiner Zitteraal, damit ich dich wärmen kann.“
Das musste sie nicht zweimal sagen. Bruno kuschelte sich dicht an seine Mama und die legte ihre große Pranke beschützend auf seinen kleinen Körper.
Bruno sah gen Himmel und beobachtete dort die Vögel.
„Mama!“
„Ja!“
„Warum können wir nicht fliegen?“
Wieder musste sich Mama Eisbär das Lachen verkneifen.
„Na, weil wir viel zu schwer sind, um fliegen zu können. Denk nur, wie groß unsere Flügel sein müssten, um uns zu tragen.“
Bruno dachte über die Antwort der Mama nach, gab jedoch so schnell nicht auf: „Aber die Menschen können doch auch fliegen und die sind oft ganz schön dick.“
„Aber Bruno, die Menschen können auch nicht fliegen.“
„Doch!“, protestierte er, „Jochen, der Pfleger, hat es erzählt. Er will bald in den Süden fliegen, weil es ihm genau wie mir hier viel zu kalt ist.“
„Ach mein kleiner Bruno, das muss ich dir wohl genauer erklären. Also, pass auf, das ist so ….“.
Während Mama Eisbär von Menschen und Flugzeugen erzählte, schlief ihr Jüngster zufrieden ein.
Die Eisbärenmutter betrachtete ihr schlafendes Kind voller Liebe und fragte sich in diesem Augenblick, ob der Mensch wohl auch in der Lage ist, seine Nachkommen zu lieben.
Schon oft hatte sie Menscheneltern mit ihren Kindern beobachtet. Manche schienen sehr nett zu ihren Nachkommen zu sein, doch viele ließen ein wahres Donnerwetter über ihre Kinder ergehen.
Es stimmt schon, dachte sie, dass man seine Kinder anleiten muss, damit sie ihr Leben verstehen und es meistern. Doch ist das mit Liebe nicht sinnvoller, als durch strafende Worte?
Ihre Gedanken gingen zurück zu ihrer eigenen Kindheit und zu ihrer Mutter, die noch in Freiheit geboren worden war und ihr deshalb davon erzählen konnte.
Obwohl sie das selbst nie kennen lernen durfte, weil sie in diesem Zoo geboren worden war - so wie jetzt ihr kleiner Bruno -, wollte sie ihm doch vom Nordpol erzählen: Von Küsten, Meereseis und von Robben, die dort durch die in Freiheit lebenden Eisbären gejagt werden, damit sie in dieser kargen Region überleben können.
Sie konnte sich die Größe der Fläche, von der ihre Mutter erzählt hatte, gar nicht vorstellen. Ihr Raum war sehr begrenzt. Es war ihr nur möglich, jeweils ein paar Schritte in die eine oder andere Richtung zu gehen.
Da auch die in Freiheit lebenden Bären eher Einzelgänger sind, vermisste sie ihre Artgenossen nur bedingt. Dennoch fühlte sie sich manchmal traurig, weil sie ahnte, dass es da noch viel mehr gab, als diesen Ort, der ihre kleine Welt ausmachte.
Sie bekam zu fressen, musste nicht verhungern, wie vielleicht einige ihrer Artgenossen in der Freiheit. Doch sie wusste nicht, was es bedeutet, zu jagen und auf einer Eisscholle zu liegen und sich die Mittagssonne auf den Pelz scheinen zu lassen.
Aber sie wollte nicht jammern und sie wollte sich auch nicht als Opfer sehen, das ein schweres und ungerechtes Leben führen muss. Das brachte gar nichts, außer noch mehr Traurigkeit.
Ja, die Welt müsste anders sein – besser. Doch sie konnte dafür nicht mehr tun, als ihre eigenen Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Sie wusste von ihrer Mutter, dass man ein friedlicheres Leben führt, wenn man aufhört, sich zu beklagen. Die hatte einmal gesagt: „Wer immer nur jammert, vergiftet sich schließlich selbst.“
Und so hatte der Eisbär gelernt, den Blick auf das zu richten, was gut läuft und nicht auf das, was fehlt oder stört.
Durch Jochen, den Pfleger, der sich oft mit seinem Kollegen unterhielt, wusste sie, dass es den Menschen in dieser Beziehung nicht anders ergeht.
„Wer das Jammern aus seinem Leben verbannt, ist zufriedener und glücklicher!“ Das hatte Jochen vor einiger Zeit gesagt.
Die Eisbärenmutter wurde aus ihren Gedanken gerissen, als zwei ältere Damen vor dem Gehege stehen blieben und sie und ihr schlafendes Kind betrachteten.
Es dauerte nicht lange, da kamen sie auf ihre eigenen Kinder zu sprechen und schon bald begann die eine, über ihre Nachkommen zu schimpfen und die andere stimmte in das Klagelied mit ein.
„Interessant“, dachte der Eisbär, „die eine möchte die andere noch übertrumpfen. Dadurch hat sie quasi die volle Aufmerksamkeit der anderen.
Vielleicht ist das etwas, was man sich als Kind von seinen Eltern abschaut. Und ist es nicht so, dass man sich dann der Aufmerksamkeit und des Mitleids der Eltern sicher ist, wenn man ihnen sein Leid klagt?
Vielleicht ist das so eine Art Strategie der Menschen, dachte sie weiter: Wenn sie die Aufmerksamkeit und das Mitleid anderer wollen, beginnen sie zu jammern.
Doch ist es nicht so, dass man so seinen Fokus genau auf das richtet, was man eigentlich nicht haben möchte und dabei all das Gute übersieht? Verharrt man so nicht in einem Zustand, der belastet, schmerzt oder verärgert?“
Die Eisbärenmutter nahm sich vor, es besser zu machen. Sie wollte zufrieden sein mit ihrem Leben. Sie wollte dankbar sein dafür, dass sie Bruno hatte und auch dafür, dass man ihr das Essen quasi auf dem Silberteller servierte. Und sie wollte nicht darüber jammern, dass sie ihr Essen nicht selbst jagen konnte.
Während sie so da lag und über all das nachdachte, begann ihr Magen zu knurren. Bruno, der kleine Eisbär, vernahm das Geräusch und öffnete seine Augen.
„Gut geschlafen, kleiner Bruno?“, fragte Mama Eisbär.
„Ja, gut geschlafen, Mama! Und jetzt hab ich Hunger!“
„Ich auch. Aber komm nur. Zuerst bist du dran.“
Dann säugte sie ihren Kleinen und genoss diesen Glücksmoment ihres zufriedenen Lebens.

© Martina Pfannenschmidt, 2019

Früher nahmen meine Geschichten an Elkes froher und kreativer Linkparty teil. - Und nun hat sie mich wieder dazu eingeladen. Bei Elke und ihrem 'Kleinen Blog' seht ihr, wer sich noch daran beteiligt. KLICK!

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12 Kommentare:

  1. Liebe Martina,
    da ist dir wieder eine wunderbare Geschichte gelungen. Eine Geschichte, die man nicht so schnell vergisst, weil sie viel Raum zum Nachdenken bietet!
    Herzliche Grüße und einen schönen Sonntag dir
    Regina

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    1. Dankeschön, liebe Regina! Mir läuft heute irgendwie die Zeit davon, aber gleich werde ich eure Geschichten lesen und freue mich schon darauf.
      Auch dir einen schönen Restsonntag!
      Martina

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  2. Ja mein kleiner Philosoph, da hast du aus dem Zitteraal, der mir so viel Kopfzerbrechen bescherte eine schöne Erzählung mit viel Weisheit geschaffen. Jammern und Klagen macht jedes Problem noch schwerer und vor allem unzufrieden.
    War schön zu lesen und nun wünsche ich dir ein schönes Wochenende und viele fröhliche Gedanken, Lore

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    1. Danke, liebe Lore! Gleich werde ich schauen, wie du den Zitteraal verarbeitest hast. - Ich freue mich auf deine Geschichte!
      Einen schönen Sonntagabend!
      Martina

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  3. Liebe Martina,
    danek für eine wieder sehr schöne Geschichte! Ich bin momentan immer nur ganz kurz am PC und hänge wieder hinterher mit lesen und kommentieren ;O)
    Ich wünsche Dir einen guten Start in eine schöne neue Herbstwoche!
    ♥️ Allerliebste Grüße, Claudia ♥️

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    1. Danke, dass du trotz deiner begrenzten Zeit bei mir gelesen und einen Kommentar hinterlassen hast. LG Martina

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  4. Juhuu, eine neue Geschichte von Dir liebe Martina, noch dazu so eine herzige. Lese immer so gern bei Dir und staune, wie Du die vorgegebenen Wörter eingebaut hast.
    Sende Dir einen kuscheligen Gruß,
    Deine zufriedene Helga
    https://s17.directupload.net/images/191022/v484dxvo.jpg
    Ich flitze gerade den bunten Blättern in meinem Garten hinterher....:)

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    1. Na, dass du gut drauf bist, merkt man - und es freut mich sehr. :-)
      Ja, die neue Geschichte hat etwas auf sich warten lassen, aber manchmal muss man auch Urlaub machen. Lach!
      Die bunten Blätter, denen du hinterher flitzt, machen meinen Augen momentan ein bisschen zu schaffen. - Einer Allergie sei Dank! -
      Danke für deinen Besuch und ganz liebe Grüße zurück zu dir! Martina

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  5. Liebe Martina, ich hänge auch hinterher, aber lese wenn ich Zeit habe. Nun war es soweit, Deine schöne Geschichte zu lesen in Ruhe. In jeder Geschichte liegt immer ein Fünktchen Wahrheit und das habe ich mir rausgepickt.Ich melde mich!
    Liebe Grüsse, Klärchen

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    1. Ich freue mich, dass du die Zeit gefunden hast, um meine Geschichten zu lesen, einen Kommentar zu hinterlassen und auch darüber, dass du etwas zum 'Herauspicken' gefunden hast! LG Martina

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  6. Liebe Martina,
    das ist eine sehr schöne Geschichte. Ich freue mich, dass ihr die Reizwörter wieder aufgenommen habt. Vielleicht möchtest du auch wieder eine Geschichte verlinken? Ich bin sicher, dir fällt auch ein passendes Foto zur Geschichte ein. Denn die Linkparty zeigt jetzt Bilder an. https://ein-kleiner-blog.blogspot.com/2019/11/linkparty-froh-und-kreativ-jeden-monat.html
    LG Elke

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    1. Liebe Elke, danke, dass du einen Kommentar hinterlassen hast. - Ich hab vor einiger Zeit mal bei dir 'gespickert' und gesehen, dass es zum einen deine Linkparty noch gibt, dass sich andererseits aber etwas verändert hat. - Ich schau noch mal, ob ich es hin bekomme. LG Martina

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