Dienstag, 25. Juni 2019

Kinkerlitzchen


Maximilian kam in die Küche.
„Schau mal, Uropa, was mir die Uroma gekauft hat!“
Stolz hielt er zwei kleine Figuren hoch, damit sein Uropa sie bewundern konnte.
Der schüttelte den Kopf: „Deine Uroma! Hat wieder für Kinkerlitzchen unsere schwer verdiente Rente auf den Kopf gehauen.“
Das Wort fand Max witzig: „Was ist Kinkerlitzchen?“
„Kinkerlitzchen ist irgendein Blödsinn, unnützes Zeug. Aber ich weiß ja, dass deine Uroma weich wird, sobald du sie um etwas bittest. Bist halt ein kleiner Schlawiner!“
Dabei kniff er seinem Urenkel liebevoll in die Wange.
„Das hat er dann wohl von dir!“, unkte Uroma, als sie zu den beiden in die Küche kam.
„Uropa“, begann Max, „kannst du mir noch mal eine Geschichte erzählen? So eine wie beim letzten Mal, mit den alten Wörtern von früher drin?“
Da musste er seinen Uropa nicht zweimal bitten.
„Nichts lieber als das!“, freute sich dieser.
„Hab ich dir eigentlich schon mal erzählt, wie das war, damals, als ich mit deiner Uroma zusammen kam?“
„Ne, die Geschichte kenne ich noch gar nicht“, antwortete Maximilian erwartungsvoll.
„Also das war so: Deine Uroma und ich, wir kannten uns ja schon aus der Schulzeit. Damals trug sie noch Zöpfe, musst du wissen. Ich glaube, man nannte sie ‚Affenschaukeln’.“
„Und du“, warf diese belustigt ein, „du hattest einen Pisspottschnitt und warst eine echte Trantüte.“
Max begann laut zu lachen, als Uropa eine Drohgebärde machte: „Pass nur auf“, krakeelte er, „sonst wird es hier gleich zappenduster und ich erzähle deinem Urenkel, dass du ein Fräulein Rührmichnichtan warst. Und überhaupt“, Uropa tat beleidigt, „ich war gar keine Trantüte. Ich war eher ein Hans Dampf in allen Gassen.“
„Genau das warst du eben nicht. Aber gut, wenn du meinst, dann warst du eben keine Trantüte, dann warst du eine Tranfunzel.
Uropa kniff ein Auge zu und sagte leise an Max gerichtet: „Sie kennt halt ihre Pappenheimer!“
Maximilian fand den Schlagabtausch zwischen seinen Urgroßeltern echt lustig.
„Nicht“, meinte Uropa, „dass wir jetzt von Höcksken auf Stöcksken kommen und ich vergesse, dir zu erzählen, wie das damals war.  Also, pass auf, mein Junge, immer am 1. Mai gab es bei uns im Dorf ein großes Fest: Den Tanz in den Mai. Dahin ging man zum Feiern und zur Brautschau. Ich also im Sonntagsstaat per pedes da hin. Den Leukoplastbomber meines Vaters durfte ich damals noch nicht fahren. Außerdem wusste ich ja auch, dass ich ein paar Bierchen zischen würde.“
„Was ist ein Sonntagsstaat und was ist ein Leukoplastbomber?“, wollte Max wissen.
„Ein Leukoplastbomber war ein ziemlich kleines Auto“, antwortete Uroma, „und mit Sonntagsstaat meint Uropa die schicksten Klamotten, die er in seinem Schrank finden konnte. Er war aber gar nicht zu Fuß da, wie er meint, sondern mit seinem Drahtesel. Das hat er wohl ganz vergessen.“
„Mit dem Drahtesel, du hast Recht. Du musst wissen, Max, ich war zu der Zeit beim Kommiss und hatte deshalb meinen Freund ausbaldowern lassen, ob deine Uroma auch wirklich zu dem Fest kommt.“
„Und ich hatte mich immer schon gefragt, warum dieser Kerl mich ausfragt und ständig um mich herum scharwenzelt“, erinnerte sich Uroma.
„Ich wusste also, dass sie kommen würde. Deshalb war ich ganz schön aufgeregt.“
„Aufgeregt?!“, lachte Uroma. „Gib es ruhig zu. Du hattest regelrecht Fracksausen.“ Und an Max gerichtet sagte sie: „Er hatte nämlich Angst, dass ich ihn abblitzen ließ und deshalb hätte er sich fast in die Hose gemacht.“
Seine Urgroßeltern waren echt der Knaller.
„Ja, es stimmt. Mir war die Aufregung auf den Darm geschlagen und deshalb suchte ich zuhause lieber noch mal den Donnerbalken auf, bevor mir auf dem Fest noch ein Malheur passierte“, gab Uropa unumwunden zu.
„Donnerbalken kenne ich“, freute sich Max. „Das ist eine Toilette.“
„Mein lieber Scholli, du bist ein kluger Kerl.“
„Ich gebe es ja zu“, fuhr nun Uroma fort, „dass ich auch ein Auge auf deinen Uropa geworfen hatte. Deshalb hielt ich heimlich nach ihm Ausschau. Als er in das Festzelt kam, dachte ich: Mein lieber Herr Gesangsverein, der hat sich aber schick gemacht.“
„Ich fühlte mich eher wie Graf Koks von der Gasanstalt“, lachte er. „Zuerst hab ich mich ja nicht getraut, deine Uroma anzusprechen“, fuhr er fort, „sie war ja inzwischen ein Tippfräulein beim Amt geworden und wenn sie mir einen Korb gegeben hätte, wäre ich der Gelackmeierte gewesen. Deshalb habe ich mir zuerst mit ein paar Körnchen Mut angetrunken.“
„Und während er sich Mut antrank“, fuhr Uroma fort, „kam ein anderer junger Mann auf mich zu.“
Uropa nickte. „Ich kann dir sagen, dass war ein Schrank von einem Mann, so ein richtiger Kaventsmann war das. Der hätte mich kurzerhand am Schlafittchen gepackt und vor die Tür gesetzt, wenn ich dem gesagt hätte, dass er von Uroma Abstand nehmen soll.“
„Und ich fand es unter aller Kanone, das dein Uropa an der Theke stand, anstatt mit mir zu tanzen“, erinnerte sich Uroma. „Eigentlich hab ich nur mit dem anderen getanzt, um ihn eifersüchtig zu machen. Doch das musste ich teuer bezahlen, denn bald hatte ich blaue Zehen, weil mir der Riese mit seinen Quadratlatschen ständig auf meine Füße trat. Da hatte ich echt die Nase voll und wollte nach Hause.“
„Gerade noch rechtzeitig hab ich all meinen Mut zusammen genommen, bin zu deiner Uroma gegangen und hab sie zum Tanzen aufgefordert.“
„Der Kaventsmann war darüber so ärgerlich“, erzählte nun wiederum Uroma, „dass er einen Stuhl nahm und damit auf deinen Uropa eindreschen wollte. Gott sei Dank haben andere ihn davon abgehalten.“
„Und kurze Zeit später fuhr dann die Polizei mit ihrer grünen Minna vor und nahm den Riesen mit zum Tüten kleben“, feixte Uropa.
Daraufhin meinte Uroma spitzbübisch: „Seit diesem Abend sind wir ein Paar, dein Uropa und ich, obwohl ich mich manchmal frage, weshalb ich diesen alten Pfennigfuchser überhaupt geheiratet habe.“

© Martina Pfannenschmidt, 2019