Aufgeregt
betrat Annegret das Büro. „Das hättest du hören müssen, wie der Chef mit
Angelika Schlitten gefahren ist. Ich
konnte zwar nicht herausfinden, worum es ging, aber neulich fehlte doch Geld in
der Kaffeekasse, die wird doch nicht …“
Wirsch
wurde sie von Mathilde unterbrochen. „Annegret hör auf mit deinen
Verurteilungen und Anschuldigungen. Du weißt doch gar nicht, worum es ging,
hast du gerade gesagt. Und übrigens fehlte gar kein Geld in der Kaffeekasse. Wie
sich inzwischen herausgestellt hat, war es nur ein Irrtum. Also bitte hör auf!“
Annegret
reagierte überrascht auf die
schroffe Reaktion ihrer Kollegin: „Ist ja schon gut!“, maulte sie und setzte
sich an ihren Platz. In Mathilde brodelte es. Immer wieder dasselbe. Ihre
Kollegin hörte überall die Glocken
läuten, wusste aber selten, wo sie bimmelten.
Das konnte man ihr irgendwie nicht austreiben.
Nach
Feierabend schlenderte Mathilde durch die Stadt. Nur noch eine gute Woche, dann
war Heiligabend. Sie erinnerte sich zurück, wie es in Kindertagen war. Damals
konnte man es kaum erwarten, bis es endlich soweit war.
Die
Erwartungen an das Fest waren immer sehr groß – auch heute noch. Jeder hatte
seine eigenen Vorstellungen davon, wie es abzulaufen hatte. Genau das war das
Problem. Selten passten die Wünsche und Vorstellungen der Mitmenschen überein.
Schon seit Jahren wünschte sie sich heimlich, ein paar entspannte Tage mit
ihrer Freundin zu verbringen. Doch das war ganz ausgeschlossen. Was hätten ihre
Eltern dazu gesagt und auch ihre Schwester mit Familie erwartete, dass sie zu
Besuch kam. Das machte sie ja auch gerne. Sie freute sich auf die Kinder, doch
musste dieser Besuch immer zu Weihnachten stattfinden?
Auch
ihre Freundin hatte Familie. Sie putzte, kochte und backte im Vorfeld wie eine
Weltmeisterin. Gerade zu Weihnachten musste es das beste und schönste Essen
sein. Dafür hatte Mathilde kein Verständnis. Wäre es nicht besser, ein
einfaches Gericht zu kochen und stattdessen mehr Zeit zu haben, um mit den
Kindern zu spielen? Und was hatte das alles überhaupt mit dem Sinn von
Weihnachten zu tun?
Es
war sicher ein schöner Brauch, sich an Weihnachten zu beschenken. Gott hatte
uns mit seinem Sohn beschenkt, so war es schön, sich gegenseitig mit einem
Geschenk daran zu erinnern. Aber mussten es solche Berge an Geschenken sein?
Sie hatte alles beisammen, was sie den anderen übergeben wollte. Schon lange im
Vorfeld hatte sie überlegt, wie sie jedem eine echte Freude machen könnte. Sie
verschenkte gerne etwas ganz Persönliches. Das fand sie besser, als einen
Gutschein oder Parfüm zu verschenken.
Ihr
Blick fiel auf ein Ehepaar, das mit mehreren Taschen bepackt sein Auto
ansteuerte. Mathilde schmunzelte: Wenn der Platz im Kofferraum und auf der
Rückbank nicht ausreichte, konnten sie ja noch ein paar Tüten auf dem Dach
verstauen. Die Ladung müsste nur gut gesichert
sein, damit sie nicht unterwegs verloren ging.
Wahnsinn!
Es war einfach ein Wahnsinn, wie viel Geld die Menschen zum Weihnachtsfest und
für Geschenke erübrigten. Und manchmal fiel auch ein kleiner Betrag für die
Flüchtlinge oder andere wohltätige Aktionen dabei ab. Gerade zum Weihnachtsfest
gab es viele Bittbriefe und Wohltätigkeitsveranstaltungen. Sie fragte sich, ob
es nicht sinnvoller war, sich vor Ort einzusetzen und den Menschen direkt zu
helfen, als an Organisationen zu spenden, von denen man nicht wusste, wie viel
von dem Geld wirklich dort ankam, wo es eigentlich gebraucht wurde.
Es
war so viel im Argen auf der Welt. Auch 2000 Jahre nach der Geburt von Jesus,
dem Sohn Gottes, hatten die Menschen nicht wirklich dazu gelernt. Immer noch
gab es Kriege, Menschen schossen auf Menschen. Warum? Hatte er nicht die Liebe
gebracht und gepredigt? War es in seinem Sinn, wie wir uns verhielten?
Betrachtete man die Welt, sah man überall viel Not und großes Leid. Wir in
Europa bilden eine kleine Keimzelle des Friedens. Jeder, der zu uns kam, suchte
genau diesen Frieden.
Warum
machten uns die Menschen Angst, die im Frieden mit uns zusammen leben wollten?
Weil sie eine andere Hautfarbe hatten? Mathilde dachte zurück an ein Spiel aus
Kindertagen: ‚Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? – Niemand! – Und wenn er
kommt? Dann laufen wir!’
War
es diese Angst vor dem ‚schwarzen Mann’ unserer Kindertage, die uns
dunkelhäutigen Menschen gegenüber skeptisch sein ließ?
Wenn
man in diesen Tagen durch die Stadt ging, war es unübersehbar: Viele Menschen
aus anderen Kulturen belebten das Stadtbild. Konnten wir nicht auch von ihnen lernen?
Machten sie unser Land nicht bunter? Warum machte uns die Situation so viel Angst?
Weil es so viele waren oder weil wir Angst hatten, unseren Wohlstand mit ihnen
teilen zu müssen?
Unsere
Eltern hatten dieses Land zum Blühen gebracht und jetzt kamen die Fremden um
die Ernte einzufahren? Waren das die Gedanken einiger? Gott sei Dank waren sie
in der Minderheit, doch genau das waren die Menschen, die ihr persönlich Angst
machten. Das waren die, die Hass streuten und vor Gewalt nicht zurück
schreckten.
Die
Welt war im Umbruch. An allen Ecken und Enden ‚brannte’ es und wir als Deutsche
konnten uns da nicht heraus halten. Wir hatten die verdammte Pflicht und
Schuldigkeit, zu teilen und die Menschen willkommen zu heißen und ihnen zu
zeigen, was es wirklich bedeutete, im Frieden miteinander zu leben. Wir mussten
unser engstirniges Denken ändern. Wir waren Deutsche, ja, aber wir waren auch
Europäer und wir mussten lernen, global zu denken. Daran führte kein Weg
vorbei. War nicht diese Zeit genau die richtige, zu zeigen, was es bedeutete,
ein Christ zu sein? Was es nicht an der Zeit zu zeigen, dass wir Christen
Weihnachten nicht nur mit Stress in Verbindung bringen? War es nicht an der
Zeit, unser Denken zu ändern und nicht nur etwas zu spenden, um unser Gewissen
zu beruhigen, sondern aus tiefstem Herzen und aus Überzeugung zu sagen: Wir
haben so viel, davon geben wir euch gerne etwas ab? War es im Sinne der
Resonanz nicht so, dass man immer belohnt wurde für gute Taten? Wie würde das
aussehen, wenn ein Tages ein ganzes Land für seine guten Taten belohnt würde?
War
die jetzige Zeit nicht genau die richtige, das Licht von Bethlehem
weiterzureichen und die Welt Stück für Stück ein kleines bisschen heller werden
zu lassen? Wäre es nicht schön, wenn dieses Ausbreiten des Lichtes in der Welt
von diesem Land ausginge?
©
Martina Pfannenschmidt, 2015