Es
war schon dunkel und sternenklar,
als sich Karla auf den Weg machte. Im Hinausgehen schnappte sie sich noch
schnell eine Taschenlampe. Man
konnte ja nie wissen. Zielstrebig ging sie Richtung Polizeirevier. Sie hatte
dort etwas vorzutragen oder besser gesagt: Ihr war etwas abhanden gekommen.
Soweit sie informiert war, fiel dies in die Zuständigkeit der Polizei. - Upps,
fast wäre sie ausgerutscht.
Es
war bitterkalt an diesem Abend und Karla bibberte,
obwohl sie eine dicke Jacke, Handschuhe, Schal, Mütze und sogar Stulpen trug. Gut, dass sie das
zuständige Polizeirevier bald erreicht haben würde. Kurz darauf betrat Karla
den spärlich eingerichteten aber wohlig-warmen Raum.
„Guten
Abend“, sagte sie freundlich.
„Nabend“,
brummte es zurück.
Der
Polizist schien nicht sonderlich begeistert über ihren abendlichen Besuch zu
sein.
„Sagen
Sie“, begann Karla dennoch mutig, „es ist doch richtig, dass Sie dafür zuständig
sind, wenn jemandem etwas abhanden gekommen ist.“
„Kann
man so sagen“, knurrte der Hüter des Gesetzes. „Ich nehme mal an, man hat Sie bestohlen,
gute Frau!“
„Bestohlen?
Ja, vielleicht! Vielleicht könnte man es so ausdrücken, obwohl …“
„Ja,
was nun, fehlt Ihnen was oder nicht?“ Der Polizist schien ungehalten, dabei
hatte sie doch nur ganz freundlich … „Es ist nämlich schon vorgekommen“, fuhr
er ungnädig fort, „dass jemand etwas nur verliehen hatte und dann kam er
hierher und wollte eine Anzeige erstatten. Deshalb überlegen Sie bitte genau.
Vielleicht haben Sie das, was Sie vermissen, ja auch verliehen!“
Erwartungsvoll
schaute er sie an.
Wirkte
sie so zerstreut? Darüber würde sie nachdenken müssen. Obwohl sie sich ein
klein wenig über den Herrn ärgerte, blieb Karla freundlich, als sie erwiderte:
„Ich bin sogar sehr sicher, dass ich es nicht verliehen habe. Das, was mir
abhanden gekommen ist, kann man nämlich nicht verleihen.“
„Man
kann es nicht verleihen? Das wird ja immer mysteriöser! Da stimmt doch etwas
nicht!“
„Meine
Rede. Da stimmt etwas nicht und deshalb bin ich hier.“
„Liebe
Frau, beschreiben Sie mir doch bitte etwas genauer, um was es sich handelt, was
Ihnen fehlt.“
Na,
geht doch, dachte Karla. Es hatte den Anschein, als würde der Polizist etwas
umgänglicher und vor allen Dingen: Er schien sie und ihr Problem jetzt doch
ernst zu nehmen.
„Also,
dass was mir fehlt, das nagt an allem.“
„Na,
dann seien Sie doch froh, dass Sie es los sind!“, unterbrach der Polizist sie
unwirsch.
„Guter
Mann, jetzt hören Sie mir doch bitte weiterhin zu. Wenn Sie mich ständig
unterbrechen, kommen wir ja gar nicht voran. Also, dass, was ich vermisse,
bleibt einfach niemals stehen.“
„Ja,
das ist doch des Rätsels Lösung. Wenn es nie stehen bleibt und ständig voran
schreitet, was sie vermissen, kann es ja nicht bei Ihnen bleiben. Liebe Frau, ich
will Ihnen ja nichts unterstellen, aber so langsam habe ich den Verdacht, dass
sie mir einen Bären aufbinden.“
„Nein,
nein, bitte, Sie müssen mir glauben. Es ist genau so, wie ich gesagt habe und
noch etwas: Das, was mir fehlt, frisst sogar Eisen und es zermalmt den
härtesten Stein.“
„Und
das alles, obwohl das, was sie vermissen, niemals stehen bleibt?“, erkundigte
sich der Polizist misstrauisch.
„Genau,
jetzt haben Sie es erfasst! Es schreitet unaufhaltsam voran. Ach, wissen sie, es
ist wirklich nicht so einfach zu beschreiben“, äußerte Karla. „Was denken Sie,
werden Sie das, was mir fehlt, wirklich finden?“
„Wir werden sehen, wir werden
sehen!“, antwortete der Polizist geheimnisumwittert.
Martina Pfannenschmidt, 2016