Mit
großem Appetit mümmelte Lieselotte ihren Pfannkuchen.
Sie liebte Pfannkuchen. Schon als Kind gehörte er zu ihren Lieblingsspeisen.
Wie viele sie in ihrem Leben wohl schon verputzt hatte, fragte sie sich,
während sie die nächste Gabel voll mit der süßen Leckerei in den Mund stopfte.
Ihr Blick fiel dabei aus dem Küchenfenster in den Garten. Es war kalt draußen
und es fielen auch vereinzelte Schneeflocken. Doch die würden sie nicht von
ihrem Spaziergang abhalten, den sie immer nach dem Mittagessen machte. Andere
Senioren hielten ihr Mittagsschläfchen, sie zog es eher in die Innenstadt.
Gerne trank sie in einem Café ihren geliebten Cappuccino und schaute dem
quirligen Treiben zu.
Satt
und zufrieden machte sich Lieselotte zurecht. Sie hatte sich zu ihrem Mantel
letztens einen neuen Schal und Handschuhe gekauft – in lila. ‚Ja, ich traue mich was’, dachte Lieselotte und schmunzelte.
Sie wollte einfach noch nicht zum alten Eisen gehören und auch modische Kleidung
tragen. Sie hatte keine Lust auf immer nur schwarz oder gar graue Haare. Klar
wäre sie grau, wie tausend andere in ihrem Alter auch. Aber sie färbte sich
ihre Haare in einem warmen Rot-Ton. Mahagoni hieß sie, ihre Haarfarbe. Während
sie ihr keckes Hütchen auf dem Kopf platzierte, betrachtete sie sich ausgiebig
im Spiegel. „Siehst noch gut aus für dein Alter“, meinte sie wohlwollend,
während sie einen Lippenstift auftrug, der krass im Gegensatz zum lilafarbenen
Schal stand.
Vor
kurzem war sie 79 Jahre alt geworden. Na und. Nur eine Zahl, die sie nicht aus
der Ruhe brachte. Lieselotte befand sich im Herbst ihres Lebens. Der Winter kam
noch früh genug. Es hatte aber wirklich keine Eile.
Lieselotte
blieb vor dem einen oder anderen Schaufenster stehen. Einige Auslagen kannte
sie schon, doch andere waren neu. Das erfreute sie. Wie immer blieb sie vor
einem Schuhgeschäft stehen. „Nein, Lieselotte, du gehst da jetzt nicht hinein“,
sprach sie sich zu. Sie benötigte wirklich keine neuen Schuhen und auch keine
Stiefel. Sie war wirklich mit allem gut ausgestattet. Gerade als sie ihren
Blick von all den schönen und teuren Schuhen abwenden wollte, kam ihr in den
Sinn, dass sie schwarze Schuhcreme
benötigte. Die war ihr ausgegangen. Da konnte man nichts machen. Sie musste das
Geschäft doch betreten, ob sie wollte oder nicht. Obwohl sie mit einem Schuh
liebäugelte, blieb Lieselotte diesmal standhaft. Dafür würde sie sich gleich
mit einem leckeren Stückchen Moccatorte belohnen. „Schon wieder etwas Süßes?“,
fragte ihr Gewissen. „Musst du nicht auf deine Figur achten und denk an den
Cholesterinspiegel!“ Ne, daran wollte sie gar nicht denken. Ihr Leben lang
hatte sie mit den Pfunden gekämpft.
Damit war jetzt endgültig Schluss. Sie wollte sich nicht mehr kasteien, sondern
ihr Leben genießen. Dazu gehörte auch hin und wieder ein Stückchen Torte oder
ein Hamburger, wenn ihr Enkel sie besuchte. Ansonsten achtete sie schon auf
ihre Ernährung und hielt so ihr Gewicht und abnehmen, dass wollte und musste
sie nicht, wie sie fand.
Wohlwollend
betrachtete sie die Auslagen in der Parfümerieabteilung. So viele herrlich
anzusehende Tiegel und Töpfen. Doch kein einziges würde jemals in ihrem Bad
stehen. Sie benutzte seit Jahren dieselbe Creme und das war keine ‚Anti-Creme’,
sondern eine selbst hergestellte reichhaltige Creme, die ihr und ihrer Haut gut
tat. Diese ganze Chemie brauchte sie nicht. Außerdem neigte sie nicht so sehr
zu Falten und wenn, wäre es auch nicht tragisch. Man musste nur zu seinem Alter
stehen, schon war alles gut.
Zielstrebig
ging Lieselotte einem Café entgegen. Vielleicht ergatterte sie zu dieser
Tageszeit noch einen Fensterplatz. Das wäre ihr am liebsten. Das Beobachten
anderer Menschen machte ihr einfach Freude. Lieselotte hatte Glück und
erwischte einen herrlichen Platz. Außerdem tat die Wärme ihr gut und der Duft
von frisch gebrühtem Kaffee war einfach herrlich.
Draußen
zog eine Horde junger Menschen lachend
am Café vorüber. Sie waren alle dick eingepackt und ließen sich von der Kälte
nicht die gute Laune verderben. Wenn sie in das Gesicht älterer Menschen
schaute, erschrak sie oft. Wie griesgrämig sie schauten. Warum nur? Manche
hatten sicher ein schweres Schicksal erlitten oder sie waren krank. Doch auch
in ihrem Leben hatte es nicht nur helle Stunden gegeben. Vielleicht war es eine
Gabe Gottes, die sie erhalten hatte, dass sie auch den dunklen und schweren
Zeiten in ihrem Leben noch etwas Gutes abgewinnen konnte. Sie war auch alleine,
hatte ihren Mann vor Jahren verloren, doch das Leben ging für sie weiter. Man
musste einfach das Beste daraus machen.
„Lieselotte?“
Sie
drehte sich um und schaute in zwei braune und sehr warmherzig drein blickende Augen.
„Hermann?“,
fragte sie nach einer kleinen Weile. Aber dann war sie sich sehr sicher. Diese
braunen Augen kannte sie. Sie gehörten zu Hermann, ihrer ersten großen Liebe.
Meine Güte, wie lange hatten sie sich nicht gesehen.
Es
gab so vieles, was sie sich zu erzählen hatten. Da reichte ein Nachmittag
mitnichten aus. Sie trafen sich fortan regelmäßig. Sie gingen sogar gemeinsam
zum Tanztee und wenn sie, sich an den Händen haltend, durch die Stadt
flanierten, wurden ihnen viele wohlwollende Blicke geschenkt. Liebe im Alter,
wer hätte das für möglich gehalten.
©
Martina Pfannenschmidt, 2016