Reizwörter: Clematis, Couch, clever, campen, chauffieren
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Es
ist Samstagmorgen und mein Herz klopft wie wild, als ich wach werde. Mit noch
geschlossenen Augen fühle ich in meinen Körper hinein und mir wird klar, was
mit ihm los ist. Ich hatte einen gruseligen Traum und bin der Situation nur
durch das Aufwachen entkommen.
Als
ich schließlich meine Augen öffne, stelle ich fest, dass die Sonne scheint –
und wie sie scheint. Die Vögel machen einen unglaublichen Lärm – aber so
empfinde ich es eigentlich gar nicht. Es ist einfach nur herrlich und ein
wunderschöner Gesang.
Es
scheint ein bezaubernder Tag zu werden und so schwinge ich meine Beine aus dem
Bett, werfe mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht, putze mir die Zähne, ziehe
meine Kuschelklamotten an und mache mir einen Kaffee.
In
dem Moment scheint auch mein Verstand zu erwachen und mir weiß machen zu
wollen, dass ich nicht trödeln, sondern an all die Termine denken soll, die
heute noch anstehen.
‚Ruhe
da oben’, denke ich empört, ‚du kannst gerne noch ein Weilchen weiter schlafen.
Vielleicht hast du es ja vergessen, aber heute ist mein freier Tag und ich
entscheide, wie er abläuft. Und um 7 Uhr morgens passiert erstmal noch gar
nichts. Verstanden!’
Ich
schlurfe mit meinem Kaffee ins Wohnzimmer. Von der tief stehenden Sonne
beleuchtet sind die warmen Farben dieses Raumes so intensiv, dass mein Herz vor
Freude aufgeht. Womit habe ich mein heimeliges Zuhause nur verdient, denke ich,
und bedanke mich im Stillen, dass ich hier leben darf.
Anstatt
mich mitsamt meinem Kaffee auf der einladenden Couch niederzulassen, trete ich hinaus auf die Terrasse.
Die
Clematis, die sich üppig am
Haus empor rangt, und deren Lavendelfarbe durch die Sonne noch intensiviert
wird, begrüßt mich mit ihrem süßen Duft.
Ich
setze mich auf die oberste der vier Stufen, die hinunter in den Garten führen,
der wiederum an einen schmalen Fluss grenzt, über den ein Steg auf die andere
Seite führt.
Schon
als Kind habe ich oft hier gesessen. Immer dann, wenn ich zu Besuch bei meinen
Großeltern war oder meine Ferien bei ihnen verbringen durfte. Heute leben sie leider
nicht mehr, aber ich bin ihnen unendlich dankbar, dass sie mir dieses
wunderschöne Fleckchen Erde mit dem bezaubernden Häuschen darauf vererbt haben.
Wann
immer ich auf dieser Stufe sitze, wandern meine Gedanken zu ihnen und in meine
Kindheit.
Mir
kommt in den Sinn, dass mich meine Eltern früher nicht durch die Gegend chauffiert haben, so wie es
heute häufig der Fall ist, sondern ich war oft auf mich selbst gestellt und so nahm
ich häufig mein Rad und fuhr zu meinen Großeltern.
Ich
weiß noch genau, dass ich im Sommer mein Zelt hier im Garten aufgestellt habe,
damit ich später in der Schule erzählen konnte, dass ich in den Ferien campen war.
Heute
muss ich darüber schmunzeln, weil ich mir damals ungeheuer clever vorkam. Aber eigentlich wollte ich nur nicht zugeben,
dass sich meine Eltern einen Urlaub einfach nicht leisten konnten; obwohl es
mir echt egal war, weil ich es hier an diesem für mich verwunschenen Ort schon
immer wunderschön fand.
Meine
Großmutter kochte mir mein Lieblinsessen und ich durfte ihr oder meinem Opa
hier und da zur Hand gehen.
Ja
und die kleine Brücke und der Fluss waren natürlich ein ganz besonderer
Anziehungspunkt für mich. Ich watete barfuß oder in Gummistiefeln hindurch,
habe kleine, von meinem Opa selbst gebaute Holz-Boote darauf treiben lassen oder
mir mit den Nachbarkindern die Zeit mit Federballspielen vertrieben. Schön
war’s – und das nicht nur in der Erinnerung!
Als
mein Blick noch einmal auf den kleinen Steg fällt, denke ich darüber nach, wie
wertvoll Brücken in unserem Leben sind. Wenn wir über Brücken gehen, können wir
Menschen erreichen, die auf der anderen Seite einer Schlucht oder eben eines
Flusses leben.
Doch
was, wenn der Mensch auf der anderen Seite nicht mehr erreichbar ist oder man
ihn nicht mehr besuchen darf? So, wie es vielen in der Zeit der Pandemie ergangen
ist. Da kann schon ein Telefonat zu seinen Liebsten zu einer Brücke werden.
Doch
wie ist das überhaupt mit Brücken? Es macht wenig Sinn, sie nur von einer Seite
zu bauen und ich denke darüber nach, dass die Menschheit dringend Brückenbauer
benötigt, die von beiden Seiten aufeinander zu gehen und keine Menschen, die
bestehende Brücken leichtfertig einreißen.
Von
beiden Seiten her Brücken zu schlagen bedeutet: einander zu vertrauen und
zusammen zu arbeiten. Trotz aller Unterschiede.
Wem
wird es gelingen, Brücken zu bauen zwischen alt und jung, zwischen arm und reich?
Wer baut Brücken zu einsamen Menschen und denen, die in Not geraten sind? Und
wer baut Brücken zwischen verfeindeten Ländern oder unterschiedlichen Kulturen?
Sollten
wir nicht alle wieder beginnen, Brücken zu bauen, damit wir einander ‚grenzenlos’
begegnen können? Hinweg über Unfrieden, Vorurteile und Missverständnisse?
Vielleicht
brauchen wir auch Brücken, damit wir neue Ufer erreichen können oder um Neuland
zu betreten.
Vielleicht
braucht die Welt weise Visionäre, die auch mal über den Tellerrand hinaus
blicken.
Ich
zucke zusammen, als meine Frau mich liebevoll mit ihren Armen umfängt.
„Habe
ich dich geweckt?“, frage ich schuldbewusst.
„Nein,
dafür haben die Vögel schon gesorgt - und als ich bemerkt habe, dass du nicht
mehr neben mir liegst, habe ich dich gesucht und hier draußen gefunden!“
Sie
strahlt mich mit ihren intensiv blauen Augen fürsorglich an und ich bin so froh
und dankbar, dass wir uns gefunden haben.
Vor
einem Jahr erst ist sie zu mir gezogen. Inzwischen sind wir sogar verheiratet
und sie hat meinen Familiennamen angenommen. Und so heißen wir dank der Vornamenswahl
unserer Eltern nun beide Judith Papst. Ich muss gestehen, dass diese Tatsache
hier und da schon für Verwirrung gesorgt hat.
Da fällt mir gerade ein, dass ein Papst doch auch als ‚Pontifex’ bezeichnet wird. Und das wiederum bedeutet ‚Brückenbauer’.
Möge es so sein!
© Martina Pfannenschmidt, 2022
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Guten Morgen, liebe Martina, ja, wir sollten Brücken bauen, wir alle sollten das tun, ohne wenn und aber! Eine schöne nachdenkliche Geschichte, der Schluss hat mich überrascht obwohl ... das möchte ich hier gerade nicht äußern, weil ich den anderen Lesern das AHA-Erlebnis nicht vorenthalten möchte. Also erzähle ich dir das mal an anderer Stelle.
AntwortenLöschenEinen schönen Sonntag und liebe Grüße zu dir
Regina
Guten Morgen! Das sollte er auch - überraschen! :-) Denn auch an der Stelle sollten wir Brücken bauen und uns neuen 'Lebensmodellen' gegenüber öffnen und vor allen Dingen nicht (ver-)urteilen. - Sonnige Grüße und Danke! Martina
Löschenja .. Brücken bauen
AntwortenLöschenauch zu den Erinnerungen,,
zu anderen Menschen .. anderen Lebensweise
hihi.. über den Schluß musste ich auch erst kurz nachdenken
schöne Geschichte ..
liebe Grüße
Rosi
Liebe Rosi, der Schluss irritierte? Dann hab ich es richtig gemacht. Genau so sollte es sein! - Ich hab mir gedacht, dass der Leser zuerst denkt, dass von einer Frau die Rede ist, aber dann irritiert ist ... dieser 'ICH' war ein Mann? Nee, eben nicht! - Ich hatte meinen Spaß beim Ausmalen dessen, was der Leser sich so denkt! - Danke für deinen Besuch - und über eine Brücke kommt mein lieber Gruß zu dir! Martina
LöschenHallo liebe Martina, so schön deine Beschreibung von der Morgenstimmung im heimeligen Zuhause.Hab mich glatt neben dich auf die Stufe gesetzt und deinen Kindheitserinnerungen gelauscht. Das Ende deiner Geschichte rundet meinen Besuch bei dir wunderbar ab, das passt zu dir Brückenbauerin. :)
AntwortenLöschenAlles Liebe,♡
deine Helga
So schön, liebe Helga, dass du dir die Zeit genommen hast, um eine Weile neben mir auf der Stufe zu sitzen. Danke dafür!! - Ja, ich würde gerne Brücken bauen. Weiß aber auch, dass es mir nur sehr bedingt gelingt. :-( - Liegt vielleicht daran, dass ich nicht 'Papst' heiße. ;-) - Ganz liebe Grüße schicke ich dir und ein weiteres Dankeschön dafür, dass du immer wieder bei mir liest und so liebevoll kommentierst! Martina
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