Samstag, 30. April 2022

Würmer baden

Reizwörter: Bibliothek, Buch, betreten, begeistert, beheben

Bitte lest auch die Geschichten, die sich Lore und Regina erdacht haben.


Klara brütete über ihren Hausaufgaben. Das heißt, eigentlich brütete sie nicht, sondern sie schrieb sehr emsig an einem Aufsatz. Dass sie dabei voll konzentriert arbeitete, erkannte man daran, dass ihre Zungenspitze vorwitzig zwischen ihren Lippen hervorlugte.

„Brauchst du noch lange?“, fragte Hannes, ihr Opa, als er das Zimmer betrat.

Doch anstatt darauf zu antworten stellte Klara eine Gegenfrage: „Du Opa, kannst du mir sagen, wie man das Wort Bibliothek richtig schreibt?“

Hannes kratzte sich kurz hinter einem Ohr, weshalb seine Prinz-Heinrich-Mütze, die er tagein und tagaus zu tragen schien, ein bisschen verrutschte. „Schreib doch einfach: ‚ein Ort, an dem es viele Bücher gibt’!“, schlug er vor.

„Mensch, Opa, sag doch gleich, dass du es auch nicht weißt!“, schimpfte Klara ein bisschen, weil Opa ihr nun wirklich keine Hilfe war.

„Und, was ist nun, wie lange brauchst du noch?“, fragte er ungeduldig.

„Wenn du mich nicht noch länger störst, nicht mehr lange!“, erwiderte Klara forsch. „Aber warum fragst du eigentlich?“

„Na, weil ich doch Würmer baden gehen will. Und ich dachte, dass du bestimmt mitkommen möchtest.“

Und ob sie wollte. Sie war total begeistert vom Angeln, saß oft stundenlang neben ihrem Opa. Und meistens erzählte er ihr währenddessen aus seiner Kindheit. Von Streichen, die er den Mädchen gemeinsam mit seinem besten Freund gespielt hatte. Oder er erzählte von Abenteuern, die er beim Angeln erlebt hatte.

Nun könnten manche denken, dass angeln langweilig ist. Das mag vielleicht für einige so scheinen. Aber nicht, wenn man Hannes Glauben schenken mag.

Nachdem Opa wieder gegangen war, entschied Klara spontan, dass sie ihren Aufsatz auch später zu Ende schreiben könnte. Dann wäre auch Mama wieder da und die wusste bestimmt, wie man dieses verflixte Wort schrieb.

Klara schraubte die Kappe auf ihren Füllfederhalter und klappte ihr Heft vorerst zu.

Rasch lief sie zum Schuppen, in dem sie Opa vermutete und auch fand. Schließlich bewahrte er dort seine Angelausrüstung auf.

„Opa, wir können los!“, verkündete sie, zog ihre bunten Gummistiefel an und schnappte sich zwei Sitzgelegenheiten. Eine für sich und eine für ihren Opa.

Der griff nach dem Behältnis, das seine Angelutensilien enthielt und ebenso nach seiner Angelrute, so dass die zwei sich auf den Weg zum nahe gelegenen Fluss machen konnten. Kurz darauf badete der erste Wurm im Wasser.

„Du Opa!“

„Ja!“

„Bist du früher eigentlich gerne zur Schule gegangen?“

Wieder kratzte sich Opa hinter einem Ohr und räusperte sich, bevor er ausweichend antwortete: „Ja, was soll ich sagen, mal mehr und mal weniger!“

„Wann weniger?“, wollte Klara wissen.

„Nun, immer dann, wenn ein Diktat geschrieben wurde.“

Alles klar. Jetzt wusste sie auch, weshalb Opa ihr die Frage bezüglich der Bibliothek nicht hatte beantworten können.

„Und wann mehr?“, hakte sie nach.

„Ich war immer ganz gut im Rechnen“, antwortete Hannes ausweichend.

Bei Klara war es gerade anders herum. Sie mochte die Buchstaben lieber, als die Zahlen. Aber noch lieber mochte sie es, mit ihrem Opa am Fluss zu sitzen und seinen Geschichten zu lauschen.

„Habe ich dir eigentlich schon mal von dem Fisch erzählt, der das Wasser gesucht hat?“, fragte er diesmal.

Klara lachte: „Das ist ja witzig. Ein Fisch, der das Wasser sucht. Nee, die Geschichte kenne ich noch nicht!“

„Also, pass auf“, begann Opa bedeutungsvoll, „es war einmal ein kleiner Fisch, der ständig etwas von ‚Wasser’ hörte und dass es sehr wichtig für ihn sei. Aber er fragte sich immer, wo er denn dieses Wasser finden könnte. Er hatte es noch niemals gesehen. Ja und so befragte er zunächst eine Kaulquappe. Doch die antwortete ihm, dass es dort, wo sie lebte, nur Steine, Muscheln und Algen gäbe. Und so schwamm der kleine Fisch weiter,  bis er bei seiner Suche einen Wels traf. Sein breites Maul, der dicke Kopf und der Schnurrbart ängstigten den kleinen Fisch zunächst, doch dann sah er in die gutmütigen Fischaugen und beschloss, sich zu trauen und den Wels nach dem Wasser zu fragen. Doch auch der kannte die Antwort nicht, war aber ebenso daran interessiert. Und so beschlossen sie, gemeinsam zum weisen alten Fisch zu schwimmen und ihn zu befragen, wo dieses Wasser, von dem sie gehört hatten, eigentlich zu finden sei. Und tatsächlich. Der weise Fisch kannte die Antwort: ‚Wasser ist vor euch und hinter euch’, erklärte er ihnen. ‚Wasser ist euer Element. Es trägt euch. Ihr lebt, weil ihr im Wasser seid. Ihr atmet Wasser. Wasser ist euer Leben. Ihr könnt ohne Wasser gar nicht existieren. Wasser ist überall, wo ihr seid.’

Die beiden Fische bedankten sich und machten sich wieder auf den Weg nach Hause. Nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander her geschwommen waren, sagte der kleine Fisch: ‚Ich fand das total toll, wie der das erklärt hat.’ Und der Wels entgegnete: ‚Ja, ich auch. Ich fand das einfach großartig. Aber sag ehrlich: hast du das wirklich verstanden? Weißt du jetzt, wo das Wasser ist?’“

„Und“, fragte Klara gespannt, „wusste es der kleine Fisch?“

„Ich vermute nicht“, antwortete Opa. „Aber weißt du, warum ich diese Geschichte so mag? Weil es uns Menschen genau so ergeht wie dem kleinen Fisch, der das Wasser suchte, obwohl er von ihm umgeben war. Wir Menschen suchen genauso nach dem Beweis für Gott und merken nicht, dass wir von ihm umgeben sind und dass wir von ihm und durch ihn leben.“

Als sich die beiden später auf den Heimweg machten, wusste Opa nicht, ob Klara verstanden hatte, was er ihr mit dieser Geschichte hatte erklären wollen. Doch er wusste sicher, dass es für ihn an diesem Nachmittag nichts Wichtigeres hatte geben können, als Zeit mit seiner Enkelin zu verbringen. - Und den Schaden am Dach des alten Schuppens, den konnte er ja immer noch beheben.

 

© Martina Pfannenschmidt, 2022


Diese Geschichte nimmt an Elkes 'froher und kreativer Linkparty' teil.

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6 Kommentare:

  1. Guten Morgen, liebe Martina,
    was für eine schöne Geschichte! Gedacht habe ich es schon öfter, jetzt sage ich es mal: Du hättest gut Pastorin werden können, deine Texte sind wunderbar lebhaft bunt und vor allem gut verständlich! (Ja, auch für mich)
    Danke schön für diesen schönen Tagesauftakt und liebe Grüße
    Regina

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    1. Guten Morgen, liebe Regina, jetzt hab ich aber laut lachen müssen. Auf der Kanzel habe ich bisher noch nicht gestanden (jedenfalls nicht in diesem Leben ;-). Aber 25 Jahre war ich ziemlich 'nah dran'. Das hat wohl abgefärbt.
      Ich danke dir für deine lieben Worte und überlege gerade, ob ich meine Geschichten nicht besser sonntags morgens um 10 veröffentlichen sollte. :-) Lach!!! Hab einen einen schönen Tag!
      Martina

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  2. Wow, was für eine schöne und weise Geschichte liebe Martina.
    Wünsche dir eine wundervolle, lichtvolle Frühlingszeit und lass uns Gotte Liebe atmen.
    Gruß Helga

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    1. Guten Morgen, liebe Helga! - Du findest immer so zauberhafte Worte! Danke dir! Ich schicke dir ebenfalls frühlingshafte und lichtvolle Grüße! Martina

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  3. eine herzerwärmende Geschichte ..
    ja.. das was man immer um sich hat nimmt man oft gar nicht wahr
    es ist wie mit der Luft zum Atmen
    ohne geht es nicht auch wenn man sie nicht sieht
    genau so wenig sieht man Gottes Liebe
    man kann sie aber spüren

    einen schönen Sonntag noch
    Rosi

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    1. Dankeschön, liebe Rosi! - Ja, Gottes Liebe ist spürbar, wenn man sie spüren möchte! - Liebe Grüße zum 1. Mai! Martina

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