Ameise, Ankunft, alt, angeben, angeln - das waren diesmal unsere Vorgaben.
Bei Lore und Regina gibt es natürlich auch wieder eine Geschichte zu lesen.
Amelie kramte nach einem Taschentuch, das sie frisch gebügelt aus ihrem Nachtschränkchen angelte. Anschließend packte sie all ihre Habseligkeiten in das Tüchlein, suchte nach einem kleinen Stöckchen, band den Stoff daran, schulterte es, und verließ erhobenen Hauptes den Ameisenhügel.
Amelie
war es einfach leid, tagein und tagaus zu schuften. Und wozu das alles? Nicht
einmal einen Urlaub hatte man ihr genehmigt. Jetzt reichte es ihr. Sie zog aus.
Hinaus in die Welt. Sie wollte unbedingt wissen, wie andere Arten ihr Leben
gestalten. Das, was sie als Ameise
zu erledigen hatte, schien ihr einfach viel zu anstrengend und sinnlos. Und so
nahm sie ihre Beine in die Hand und verschwand, ohne sich zu verabschieden und
ohne dass es ein Mitbewohner hätte mitbekommen können. Wie auch: sie waren ja
alle viel zu beschäftigt.
Schnellen
Fußes und mit einem Liedchen auf den Lippen durchschritt sie den Wald.
Irgendwann würde sie bestimmt einem Waldbewohner begegnen, der ein anderes
Leben führte, als sie es kannte. Sie war schon sehr gespannt darauf.
Und
so dauerte es nicht lange, bis ein schwarzer Käfer ihren Weg kreuzte. Aber was
machte er da und weshalb lief er rückwärts?
Amelie
beobachtete ihn eine Weile, bevor sie ihn auf sein merkwürdiges Tun ansprach: „Entschuldigung,
darf ich dich fragen, was du da machst?“
Der
Käfer schreckte zusammen. Er hatte Amelie gar nicht gesehen. Wie auch. Er hatte
ja keine Augen auf dem Rücken.
Schnaufend
blieb er stehen und lehnte sich an die Kugel, die er mit seinen Hinterbeinen
vorangetrieben hatte und die seinen eigenen Körper um ein Vielfaches überragte.
Etwas
kurzatmig von der Anstrengung erzählte er ihr bereitwillig, dass seine Frau
schwanger sei und er nun dafür sorgen müsse, dass der Nachwuchs nach dem
Schlüpfen auch Nahrung fände.
„Und
du, was machst du so?“, fragte er anschließend interessiert.
„Ich?
Ich bin auf Wanderschaft.“
„Auf
Wanderschaft? Hast du keine anderen Aufgaben in deinem Leben?“
„Ich
nehme mir eine Auszeit!“, antwortete Amelie selbstbewusst.
„Sag,
könntest du mir dann vielleicht helfen? Ich muss diese riesige Kugel
einbuddeln. Und mit deiner Hilfe würde alles viel schneller und leichter gehen.“
„Ach
nee, lass mal“, entgegnete die Ameise. Schließlich wollte sie nicht mehr
arbeiten und das, was der Käfer da vorhatte, hörte sich nach sehr viel Arbeit
an.
Etwas
knurrig zog der Käfer weiter.
Amelie
ließ sich nicht davon beirren. Schließlich hatte sie eine Mission. Sie wollte
solange suchen, bis sie jemanden fand, der ein wunderbar leichtes Leben führte.
Ein Leben so ganz ohne Arbeit.
Irgendwann
wurden ihr die Beine schwer und die Füße schmerzten, weshalb sie sich unter
eine alte Buche setzte, um eine
Rast zu machen. Amelie kramte etwas Essbares aus ihrem Tuch, verspeiste es
hungrig und hielt anschließend ein Nickerchen, das jedoch recht bald und
ziemlich abrupt beendet wurde, als man sie verärgert ansprach: „He du, was
machst du hier? Kannst du da mal weggehen!“
Amelie
schaute etwas betroffen. Vor ihr saß ein verärgertes Eichhörnchen, das grantig
fort fuhr: „Du sitzt auf meinem Vorratsschrank! Also verschwinde!“
Vor
lauter Schreck sprang die Ameise auf und trat einige Schritte zur Seite. Schon
begann das Hörnchen, mit den Vorderpfoten eifrig an der Wurzel der Buche zu scharren.
Es dauerte auch gar nicht lange, da kam ein beachtlicher Vorrat an Nüssen und
Eicheln zum Vorschein. Hastig bediente sich der Nager und bedeckte den Rest
wieder mit der Erde.
Geschickt
öffnete er die harte Schale der Nuss und ließ sich das köstliche Innenleben
schmecken.
„Bist
du immer so gnatzig?“, fragte Amelie ihn.
„Nur
wenn ich hungrig bin!“
„Sag“,
forschte sie weiter, „hast du eine besondere Aufgabe in deinem Leben?“
Das
Hörnchen schaute Amelie verwundert an. Eine besondere Aufgabe?
„Natürlich
habe ich eine Aufgabe. Was denkst du, wie diese Nüsse unter die Erde gekommen
sind und wer sie gesammelt und dort vergraben hat? Na, was denkst du, wer das
war? Ich war das! Wer sonst! Ich muss doch für mein Überleben sorgen! Du etwa
nicht?“
Irgendwie
fühlte sich Amelie von dem Hörnchen provoziert: „Ich muss nicht wie du alleine
für mein Überleben sorgen“, hörte sie sich plötzlich sagen. „Ich lebe in einem
großen Staat mit all meinen Freunden und meiner Familie zusammen. Und jeder von
uns hat seine Aufgabe. Vom Bauplan, über die Hygiene bis hin zur Kommunikation
ist alles ganz wunderbar geregelt.“
„Keine
Ahnung, warum du damit jetzt so angeben
musst“, entgegnete das Hörnchen. „Wenn alles so ist, wie du sagst, hättest du auch eine wichtige Aufgabe in eurem
Staat. Was machst du dann hier so alleine?“
Ohne
auf Amelies Antwort darauf zu warten, flitzte das Eichhörnchen am Stamm der
Buche hoch und verschwand in dessen Krone auf Nimmerwiedersehen.
Amelie
blieb alleine zurück und ein Gefühl stieg in ihr auf, das ihr völlig unbekannt
war: Heimweh! Nun war sie kaum einen halben Tag von zuhause entfernt und schon
wurde ihr bewusst, dass sie nicht für das Alleinsein gemacht war. Sie fühlte
sich von jetzt auf gleich völlig alleine und hilflos. Wo war es hin, das Selbstbewusstsein,
das sie bis eben noch ausgezeichnet hatte?
Die
Ameise sah sich um, entdeckte ein in der Nähe stehendes Blümchen, lief hin, nahm
einen kräftigen Schluck vom süßen Nektar und wusste, was nun zu tun war. Sie
musste, nein, sie wollte so schnell
es ging wieder zu ihrem Staat zurück.
Ein
Igel, der die Unterhaltung der beiden unbeobachtet verfolgt hatte, kroch aus
seinem Versteck heraus und fragte, als er Tränen in Amelies Augen schimmern
sah: „Soll ich dich wieder nachhause bringen? Wenn du magst, kannst du dich an
meinen Stacheln festhalten und ab geht die wilde Fahrt!“
Amelie
ließ sich nicht zweimal bitten. Sie wollte so schnell es ging wieder dorthin,
wo sie ihren Platz hatte. Und so krabbelte sie vorsichtig zwischen den Stacheln
des Igels hindurch auf dessen Rücken und ließ sich nach Hause tragen.
Niemals
hätte sie es für möglich gehalten, dass man ihr Verschwinden sehr wohl bemerkt
hatte und so hielten alle bei ihrer Ankunft
kurz inne, um die Ausreißerin willkommen zu heißen. Bald darauf gingen sie
wieder ihrer Arbeit nach. Auch Amelie. Und sie ging ihr leichter von der Hand,
als jemals zuvor.
© Martina Pfannenschmidt, 2022
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Liebe Martina,
AntwortenLöschenAmelies Geschichte hat mir sehr gefallen, besonders die Botschaft, die darin zu lesen ist! Wie schön ist es doch, wenn man weiß, wohin man gehört! Vielen Dank dafür und ein schönes Osterfest dir und deinen Lieben,
Regina
Danke, liebe Regina! - Auch dir wünsche ich ein frohes Osterfest! Martina
Löschenwelch eine wunderbare Geschichte liebe Martina...jaha...ich komm schon wieder um bei dir zu lesen, was ich die letzten Tage doch so zemlich vernachlässigt hatte!...mea culpa...
AntwortenLöschenumsomehr hat sie mich gefangengenommen da du die Gabe hast lehrreiches mit vergnüglicher Feder aufzuschreiben und eine Geschichte aus den Wörtern gebastelt hast die gut nachvollziehbar ist.
Die Gemeinschjaft miteinander verbindet das eigene Gefühl etwas an bestehendem zu ver/ändern um etwas anderes zu suchen, weil dies - in diesem Kopfkinofilm die Ameise ist...
durchaus übertragbar auf Mensch und jedes andere Tier...
eine bemerkenswerte Vorlesegeschchte...
die mir sehr gefallen hat...
herzlichst ein Gruß zu dir
angelface
Ich danke dir von Herzen für deinen Besuch und den liebevollen Kommentar. Es gibt so viele Dinge in meinem Kopf, die ich gerne weitergeben möchte. Auf diese Art und Weise - in Schriftform - ist das eine gute Möglichkeit - und wenn der Leser dann noch erkennt, was mein Ziel hinter dieser Erzählung ist, beglückt mich das umso mehr! - Stürmische - aber auch sonnige - Grüße schicke ich dir (der Nordwind bläst über meinen Balkon und es ist einfach zu kalt, um dort - trotz Sonne - zu sitzen)! Martina
Löscheneine herrliche Geschichte ..
AntwortenLöschenja.. so mancher der sich wie in einer Tretmühle fühlt fragt sich
wozu sein Leben noch taugt
könnte er es nicht leichter haben
haben die anderen nicht mehr Spaß?
Sicher .. es gibt das.. aber wenn man genau hin schaut haben auch die Müßiggänger ihre Probleme ..
man kann überall für mehr Freude sorgen
liebe Grüße
Rosi
Dankeschön! - Es ist schon eigenartig, dass wir oft glauben, andere hätten es besser als wir. Aber wenn man genau hinschaut, dann sieht man, was du auch schreibst, dass auch sie ihre Probleme haben. - Hab einen schönen Restsonntag! Martina
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