Reizwörter: Luftballon, Zwiebel, rosa, allein, kichern
Lest bitte auch die Geschichten von Lore und Regina!
Beschwingt
und voller Vorfreude drapiere ich ein paar Narzissen in einer Vase, um sie auf
den bereits gedeckten Kaffeetisch zu stellen. Obwohl im Hintergrund das Radio
leise läuft, vernehme ich von draußen Laute, die ich sofort als den Ruf von
Kranichen erkenne.
Flugs
öffne ich das Dachfenster und sehe einen großen Schwarm direkt über mir kreisen.
Die majestätischen Vögel kommen aus dem Süden zurück und es scheint mir, als
riefen sie uns zu: „Wir bringen euch den Frühling mit. Ihr werdet sehen. Es
dauert nicht mehr lange!“
Auch
wenn der Winter im natürlichen Kreislauf der Jahreszeiten seine Berechtigung
hat, freue ich mich doch in jedem Jahr auf die ersten wärmenden Sonnenstrahlen,
die den Frühling ankündigen.
Beim
Blick auf meine Armbanduhr seufze ich. Ich erwarte meine Freundin zum
Kaffeetrinken, doch sie kommt zu spät. Sie kommt eigentlich immer zu spät.
Schon als Baby im Bauch ihrer Mutter hat sie sich bis zur Geburt länger Zeit
gelassen, als erwartet und irgendwie zieht sich das wie ein roter Faden durch
ihr gesamtes Leben.
Allerdings
muss ich sagen, dass es am Tag unserer gemeinsamen Einschulung anders war. Da
war sie pünktlich und sie fiel mir sofort auf, weil wir beide dieselbe weiße
Bluse mit rosa Luftballons darauf trugen. Unsere
Mütter hatten uns tatsächlich aus demselben Stoff fast identische Blusen
genäht. Das war wohl so etwas wie ein Wink des Schicksals, denn seither sind
wir unzertrennlich.
Ich
erinnere mich noch genau daran, wie einsam und allein ich mich fühlte, als ich mich von meiner Mutter auf
dem Schulhof verabschieden musste, um mich mit meinen neuen und mir bis dahin
noch völlig unbekannten Mitschülern in unser Klassenzimmer zu begeben.
Unser
Klassenlehrer, dem wir wenig später wegen seines Mundgeruchs den wenig
schmeichelhaften Spitznamen ‚Zwiebel’
gaben, bat uns, an den Zweiertischen Platz zu nehmen.
Ich
weiß noch genau, dass ich verlegen nach dem Mädchen mit der hübschen Bluse
schaute, doch da kam sie schon auf mich zu und fragte mich, ob wir
zusammensitzen wollten.
Ja,
so war das damals und unsere Freundschaft hält bis heute an und aus den kichernden kleinen Mädchen sind
inzwischen vom Leben geprägte erwachsene Frauen geworden, die bisher ähnliche,
wenn auch nicht gleiche, Lebenswege gegangen sind.
Ich
denke daran, dass wir uns früher gar keine Gedanken über unsere Zukunft gemacht
haben. Wir ließen das Leben einfach fließen und die Zukunft auf uns zukommen. Klar
hatten wir auch Pläne. Wir planten, irgendwann zu heiraten, Kinder zu bekommen,
ein Haus zu bauen.
Doch
jetzt, wo wir älter geworden sind, fragen wir uns des Öfteren, was es denn für
uns eigentlich noch zu erreichen gibt? Und mal ehrlich, oft geht es dabei
darum, noch mehr Besitz anzuhäufen, oder nicht? Doch woher kommt dieser oftmals
überzogene Besitzanspruch der Menschen eigentlich?
Mir
kommt in den Sinn, dass dieses Besitzdenken sich ja nicht nur im ‚Kleinen’ und
Zwischenmenschlichen zeigt, sondern auch im ‚Großen’ zwischen Ländern und
Völkern. Wir müssen dazu nur unseren Blick Richtung Osten lenken. Da geht es
deutlich um einen Länderkampf. Und diese immer wieder äußerst bedrohlichen
Situationen beschäftigen die Menschheit seit Jahrtausenden und ich frage mich,
ob wir aus unserer Vergangenheit und Geschichte wirklich gar nichts gelernt
haben?
Nichts
scheint uns Menschen wichtiger zu sein, als das, was uns gehört. Wir möchten so
vieles haben und unser Eigen nennen und dabei fechten Länder bis heute aus, was
dem einen und was dem anderen gehört.
Wieder
sehe ich auf meine Uhr. Die akademische Viertelstunde hat meine Freundin
bereits überschritten, weshalb ich erneut das Fenster öffne und nach ihr
Ausschau halte. Doch weit und breit ist nichts von ihr zu sehen und so nehmen
meine Gedanken weiter ihren Lauf.
Es
gibt Zeiten, die wirklich herausfordert sind. Und von meinem Gefühl her würde
ich sagen, dass wir Menschen uns in einer durchaus herausfordernden Zeit befinden.
Wir machen uns Sorgen: Was wird als Nächstes kommen? Kann ich morgen noch einkaufen,
die Miete, den Strom und das Benzin bezahlen?
Doch
sind es nicht gerade diese Sorgen und die Ungewissheit, die Ängsten Nährboden
bieten?
Klar
gäbe es uns ein Gefühl von Sicherheit, wenn wir wüssten, was die Zukunft
bringt. Doch was, wenn die Zukunft gar nicht in Stein gemeißelt ist, sondern
wir alle, jeder Mensch auf diesem Planeten, jeden Tag an unserer gemeinsamen
Zukunft mitschreibt? Hat nicht unser heutiges Verhalten einen großen Einfluss
auf unsere Zukunft? Und wie würde eine Zukunft aussehen, wenn du sie schreiben
könntest? Gäbe es in dieser Welt Menschen, die mit einem Schweineherz leben könnten?
Würden sich die Menschen in der Zukunft, die du schreibst, vielleicht von Algen
und Insekten ernähren, oder soll es in deiner Zukunft lieber gentechnisch
hergestellte Lebensmittel geben? Vielleicht angereichert mit Krankheiten
vorbeugenden pharmazeutischen Mitteln?
Sitzt
du in deiner Zukunft noch am Steuer deines Autos oder hat das längst die
künstliche Intelligenz übernommen und du sitzt nur noch auf dem Beifahrersitz
und lässt dich fahren? Vielleicht wäre die künstliche Intelligenz in deiner
Zukunft auch in der Lage, alte und kranke Menschen zu pflegen. Wäre das eine
Lösung, die du für dich und deine Zukunft anstrebst? Und wie möchtest du wohnen?
In untereinander und miteinander vernetzten Hochhäusern, in dem der Kühlschrank
eine Bestellung aufgibt, wenn Lebensmittel fehlen und ein Saugroboter den
Hausputz macht, während du 10 Stunden am Tag vor deinem Computer hockst? Und
wie wäre das Klima, wenn es in deiner Hand läge, weil du ja heute deine und
meine und unser aller Zukunft schreibst? Hast du darüber schon einmal
nachgedacht?
Als
es an der Haustür klingelt, nehme ich gedanklich den Stift vom Blatt Papier
meiner Zukunft und ich weiß genau, dass all dies nicht die von mir gewünschte
Zukunft wäre und mir wird bewusst, wie groß die Verantwortung jedes einzelnen
von uns für unsere eigene, aber auch für unsere gemeinsame Zukunft und die
unserer Nachkommen ist.
Als
ich die Tür öffne und meine Freundin mit Sturmfrisur vor mir steht und den Satz
sagt: „Entschuldige meine kleine Verspätung, aber ich habe es einfach nicht
früher geschafft!“, ahne ich, dass es Dinge gibt, die sich auch in Zukunft wohl
nicht ändern werden.
©
Martina Pfannenschmidt, 2022
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Liebe Martina,
AntwortenLöschendeine Gedanken kann ich so gut nachvollziehen. Sie sind (und waren) aktuell und jetzt ganz besonders, da wir gleich von mehreren Angelegenheiten ausgebremst werden und uns noch mehr Gedanken machen als ohnehin schon.
Ich versuche, mich von den besorgten Gedanken nicht zu sehr einnehmen zu lassen, was mir aber nur schwer gelingt momentan. Da kommt eben einiges zusammen ...
Und du hast natürlich recht, wenn du feststellst, dass sich einige Dinge niemals ändern werden.
Herzliche Grüße
Regina (Ich hatte auch mal eine Bluse mit rosa Luftballons, die hatte ich doch tatsächlich vergessen)
Liebe Regina, ich hatte nie eine Bluse mit Luftballons darauf. Zumindest kann ich mich an keine erinnern. ;-) - Vielleicht war ja deine Bluse meine Inspiration! Lach! - Danke und LG! Martina
Löscheneine schöne Geschichte ;)
AntwortenLöschenes ist ganz gut dass wir nicht in die Zukunft schauen können
und wohl noch besser dass wir sie nicht oder nur bedingt selber schreiben können
denn jeder würde etwas Anderes wollen
so müssen wir es einfach auf uns zukommen lassen
und uns so verhalten dass wir möglichts wenig Schaden anrichten
leider sehen dass nicht alle so
liebe Grüße
Rosi
Liebe Rosi, 'sich so zu verhalten, dass wir möglichst wenig Schaden anrichten' ist für unser aller Zukunft schon sehr positiv. Aber bewusst das zu erschaffen, was wir möchten, ist oder wäre noch viel wertvoller. Wer Frieden möchte, sollte Frieden säen. Und das fängt schon in unserem Alltag und in unserem Miteinander an. - Hoffen wir, dass in nächster Zeit guter Samen aufgeht. Hab einen ganz schönen und sonnigen Tag - und Danke für deinen lieben Besuch in meinem Bloghaus! Martina
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