Freitag, 30. Juli 2021

Fingerspitzengefühl

 

Reizwörter: Praline, Glas, zittern, kunterbunt, beliebt

Auch bei Regina könnt ihr eine Geschichte mit den obigen Reizwörter lesen. Lore pausiert noch einmal.

 

Bevor die Praline, die Hannah gerade aus der Schachtel geangelt hatte, in ihrem Mund verschwand, legte sie diese auf ihren Finger und betrachtete sie.

„Entzückend, diese kleinen Pralinchen. Wie kriegen die das nur hin?“, fragte sie verschmitzt.

Oma ging sofort darauf ein und erwiderte schmunzelnd: „Na, mit ganz viel Fingerspitzen…gefühl!“

„Ist das nicht krass“, meinte Hannah, „wie sehr uns die Werbung beeinflusst.

„Ja, das ist so. Man kann sich dem ja kaum entziehen. Überall begegnet sie uns und lenkt unser Kaufverhalten. Oft ist uns das nicht einmal bewusst.“

„Stimmt!“

„Ich glaube, wer am Freitagabend einkaufen geht, wird unbewusst zu einer ganz bestimmten Joghurtmarke greifen, nur um genau so harmonisch ins Wochenende zu starten, wie die Familie aus der Werbung.“

„Ja, das kann ich mir auch gut vorstellen. Vielleicht ist die Marke ja auch nur aufgrund der Werbung so beliebt.“

„Es gibt ja wirklich Werbesprüche, die sehr einprägsam sind. Und wer zum Beispiel so bleiben will, wie er ist, ja der greift zu dem Produkt, das er damit assoziiert“, meinte Oma.

„Genau! Und wer einen netten Nachbarn hat, so wie ich, der möchte natürlich auch, dass es mit ihm klappt“, flachste Hannah.

„Und wer möchte kein Auto“, fiel Oma ein, „das läuft und läuft und läuft.“

„Ja, ja, nichts ist unmöglich“, erwiderte Hannah. „Außerdem war es ja schon immer etwas teurer, einen guten Geschmack zu haben.“

„Das ist wirklich erschreckend, wie viele Werbesprüche wir sofort abrufen können“, sagte Oma bestürzt. „Aber wir werden ja noch auf andere Art und Weise manipuliert. Nicht nur durch Bilder und Worte, sondern auch durch Gerüche und Farben, die gezielt eingesetzt werden …“

„… und in jedem Fall auch durch Musik“, fiel Hannah Oma ins Wort und sang sogleich los: „Ich mag das Schöne dieser Welt, mag den Wind im Roggenfeld, mag es, wenn der Tag erwacht und die Sonne dazu lacht.“

„Allerorten heile Welt“, entgegnete Oma und erinnerte sich an die Zigarettenwerbung aus früheren Tagen, die auch eine heile Welt vorgaukelte.

„Entsinnst du dich noch an den Satz ‚Wer wird denn gleich in die Luft gehen?‘“, fragte Oma, „und an das Werbe-Männchen, das alle Aufgaben erfolgreich löste, nachdem es zu einer bestimmten Zigarettenmarke gegriffen hatte?"

Hannah schüttelte den Kopf. „Nee, daran habe ich keine Erinnerung mehr.“

„Ja, die kunterbunte und intakte Welt, die uns die Werbung da vortäuscht. Wer möchte nicht darin leben und ein Teil davon sein?“

„Also ich möchte in jedem Fall keine Marionette der Werbeindustrie sein“, ereiferte sich Hannah.

Oma freute sich: „Das ist ein gutes Ziel. Und es ist ja nicht nur die Werbung, die manipuliert, oft begegnen uns in unserem Alltag ja auch manipulative Menschen und wir merken es nicht einmal, wenn sie geschickt genug vorgehen.“

„Ich möchte meine Entscheidungen aber frei treffen können und ich möchte nicht, dass jemand auf mich Einfluss nimmt. Und schon gar nicht verdeckt“, ereiferte sich Hannah.

„Glaub mir, das ist oft gar nicht so einfach, das aufzudecken“, wusste Oma. „Auch in meinem Leben gab es Menschen, die versucht haben, mich zu manipulieren. Das waren oftmals Personen, die mir Geschichten erzählt haben, die sich im Nachhinein als falsch herausstellten.“

„Ich glaube auch, dass manipulative Menschen im Lügen geübt sind“, erwiderte Hannah. „Aber ich muss sagen, ich erkenne Lügen ziemlich schnell. Und wenn sich jemand lange rechtfertigt, fahre ich sofort meine Antennen aus.“

Oma schmunzelte über ihre Enkelin. Auch sie schien schon einige Lebenserfahrungen gesammelt zu haben.

„Und du musst auf Menschen mit übertriebenem Charme aufpassen“, riet Oma. „Wenn dir jemand zum Beispiel ein Kompliment macht und dich anschließend um etwas bittet, sollten deine Alarmglocken ebenfalls läuten, und wenn du merkst, dass du ständig um einen Gefallen gebeten wirst, solltest du auch mal mit einem ‚Nein‘ reagieren.“

Hannah nahm sich vor, Omas Ratschläge zu beherzigen.

Anschließend griff Hannah nach ihrem Glas. Auch wenn es nur Mineralwasser enthielt, hielt sie es ihrer Oma entgegen: „Prost Omilein!“

„Mit Gänsewein? Das können wir doch besser, oder?“

Schon verschwand sie im Haus und kam bald darauf mit zwei Sektgläsern, in denen köstlicher Schaumwein perlte, zurück auf die Terrasse. Über ihrem Arm lag eine kuschelige Wolldecke, die sie Hannah überreichte.

 „Ich kenne doch meinen kleinen Frostköttel“, meinte sie dabei liebevoll, „und bevor du anfängst zu zittern und den guten Sekt verschüttest, dachte ich mir, versorge ich dich mit einer wärmenden Decke. - Und um nochmal auf die Werbung zu sprechen zu kommen: ‚Omas wissen halt, was ihre Enkeltöchter wünschen.“

„Genau!“, erwiderte Hannah, „und Enkeltöchter wissen, was sie an ihren Omas haben.“

In dem Moment schaute Opa aus der Terrassentür und fragte erstaunt: „Ihr trinkt Sekt?“

„Nicht immer, aber immer öfter!“, antwortete Hannah ihm daraufhin und Oma fügte an: „Weil der so herrlich hat geprickelt in meinem Bauchnabel.“

Anschließend mussten beide laut lachen. Über ihre Sprüche und über Opas dummes Gesicht.

© Martina Pfannenschmidt, 2021


Diese Geschichte nimmt an Elkes 'froher und kreativer Linkparty' teil.

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2 Kommentare:

  1. Eine herrliche Geschichte, liebe Martina,
    und ja, ich kannte all diese Werbeaussagen, einschließlich des Männchens, das in die Luft ging!
    Es ist gut, wenn wir uns nicht manipulieren lassen und unsere eigenen Entscheidungen treffen, was Vorlieben betrifft, aber gefeit sind wir davor nicht, dass es uns passieren kann!

    Herzliche Grüße zum Wochenende
    Regina

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    1. Auf keinen Fall sind wir davor gefeit, liebe Regina! Bei mir war es das kleine Wörtchen 'neu', das mich eine ganze Weile lang sehr zum Kaufen animiert hat. - Heute passe ich mehr darauf auf, dass ich nicht zu diesen Produkten greife. - Danke für deinen Besuch und die 'Hinterlassenschaft'. Lach! LG Martina

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