Mittwoch, 15. April 2020

Die K-Frage


Reizwörter: Osterfest, Ergebnis, rostig, zufrieden, fangen

Wie immer, so findet ihr auch diesmal bei Regina und Lore eine Geschichte (bzw. ein Gedicht) mit diesen Reizwörtern.


Ich sitze am Frühstückstisch – alleine. Ich sitze oft alleine am Frühstückstisch. Das ist so, wenn man Single ist. Und doch ist es in den letzten Wochen irgendwie anders.
Ich schlürfe meinen heißen Kaffee und mein Blick fällt auf die letzten bunten Eier, die vom vergangenen Osterfest übrig geblieben sind. Unweigerlich gehen meine Gedanken zurück in meine Kindheit. Meine Oma machte die schönsten bunten Eier und sie färbte sie mit Naturfarben. Bei den Roten war Rote Beete im Spiel. Aber sie färbte auch mit Zwiebelschalen und einer Farbe legte sie sogar zwei rostige Nägel bei. Das weiß ich noch genau. Das waren nämlich die Blauen. Aber woher nahm sie die blaue Farbe? Es will mir einfach nicht mehr einfallen. Schade eigentlich. Ich habe noch gute Erinnerungen an meine Oma, doch manches habe ich doch vergessen.
Ich nehme einen Schluck Kaffee und denke nach. Ja, ich gehöre auch zu denen, die plötzlich viel Zeit haben; die nicht über Ostern verreisen konnten und die vielen Aktivitäten nicht mehr nachgehen können. Wo fange ich an, wenn ich aufzählen möchte, was sich für mich alles verändert hat? Aber das ergeht ja allen anderen auch so und es führt ja zu nichts, wenn man ständig darüber nachdenkt.
Was sich bei mir in jedem Fall verändert hat, ist die Tatsache, dass ich jetzt jeden Tag mit meiner Mutter telefoniere. Sie ist schon über 90 und lebt in einem Seniorenheim. Eigentlich ist sie noch recht rüstig, doch jetzt verbringt sie die meiste Zeit des Tages in ihrem Zimmer – alleine. Genau wie ich. Doch ich denke, das ist doch noch etwas anderes. Ihr wird ein Tablett mit dem Essen vor die Tür gestellt und sie hat keinerlei Kontakt mehr zu den anderen Bewohnern des Hauses. Das finde ich irgendwie ganz grausam und ich darf sie ja auch nicht besuchen. Aber das Telefonieren geht wenigstens.
Früher, zu Kriegszeiten, hörten die Menschen oft über Monate nichts von ihren Lieben. Daran mag ich gar nicht denken. Doch zurück zu meiner Mutter. Als ich sie fragte, wie es ihr geht, antwortete sie, was sie immer antwortet: Ich bin zufrieden. Das ist so ihr Naturell. Sie fügt sich schnell in neue Situationen ein und ist kein Mensch, der ständig jammert oder klagt. Auch jetzt nicht. Und darüber bin ich wirklich froh.
Ich gieße mir Kaffee nach und schaue dem aufsteigenden Dampf zu. Wahnsinn, wofür ich plötzlich Zeit habe.
Aufgeräumt hab ich schon. Alle Schubladen und Schränke sind pikobello in Ordnung. Die Gardinen hab ich auch schon gewaschen. Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen.
Aber irgendwie ist das schon komisch. Alle Welt räumt auf, schafft Ordnung. Vielleicht ist das aber nur der Anfang. Also das Aufräumen in den Schränken, meine ich. Vielleicht kommt da noch viel mehr und wir räumen vor lauter Langeweile auch in unserem Leben auf.
Wenn ich genau hinschaue, sehe ich, dass alle plötzlich so viel Zeit haben - und das ist in unserer schnelllebigen Welt und in unserem getakteten Alltag schon mehr als ungewöhnlich. Ist das nicht verrückt? Von 100 auf 0 in ein paar Tagen.
Das Erstaunliche ist doch, dass die Welt sich dennoch weiter dreht – im selben Tempo wie zuvor. Sie lässt sich davon nicht beeindrucken. – Alles wie immer.
Stellt euch nur mal für einen Moment vor, es gäbe ab Morgen kein Internet mehr. Keine digitalen Kanäle, keine Mails.
Doch so ist es ja nicht. Wir können ja immer noch alles mit allen teilen. Wir können Kontakte halten. Anders ist es dennoch, als sonst.
Und noch so vieles ist anders: Die K-Frage – also die Frage nach dem Kanzlerkandidaten hat sich gewandelt zu einer anderen K-Frage: Wo bitte kann ich Klopapier kaufen?
Wir können uns nicht mehr aufhalten, wo wir wollen und auch nicht mehr fortbewegen, wie wir es gewohnt waren. Etwas hält uns ‚in Schach‘ und zwingt uns, die Handbremse anzuziehen und wir werden noch zu mehr ‚gezwungen‘. Die Zeit mit unseren Familien zu verbringen, zum Beispiel, aber auch, einige Familienmitglieder und Freunde momentan nicht zu sehen.
Gerade in der Zeit der Kontaktsperre wird wohl jedem von uns bewusst, wie schön und wichtig der Austausch mit anderen, Geselligkeit und gemeinsame Aktivitäten sind. 
Wir können also diese Zeit durchaus nutzen, um dankbar zu erkennen, wie unglaublich wertvoll unsere Familien, Freunde – das Leben überhaupt – ist.
Konsumgüter, die wie selbstverständlich zu unserem Leben dazu gehörten, stehen momentan nicht mehr an erster Stelle. Wir sind froh, dass unsere Grundversorgung noch Bestand hat. Es gibt also wirklich keinen Grund, zu klagen. Wir alle werden immer noch mit allem versorgt. (Anders ist das bei der K-Frage. Da wird es schwierig.)
Es tut einfach gut, zu wissen, dass man sich irgendwann wieder treffen wird. Wie wird es sein, wenn wir das erste Mal wieder gemeinsam mit unseren Freunden in der Sonne in einem Café sitzen und unseren Cappuccino trinken? Wird er uns vielleicht viel besser schmecken, als sonst, weil wir dankbarer sind?
Vielleicht geht durch das Virus so eine Art Weckruf durch die Menschheit. Das würde ich mir von Herzen wünschen und auch, dass wir erkennen, dass wir viel sorgsamer mit der Natur umgehen sollten.
Wir denken, wir haben alles im Griff. Doch die Natur lehrt uns immer wieder, dass es anders ist. Sie wird sich niemals von uns Menschen beherrschen lassen.
Aber es gibt noch viel mehr zu erkennen, denn ich finde den Zusammenhalt, den die Menschen in diesen Tagen zeigen, wirklich bemerkenswert. Man sieht die Not und die Lage eines anderen wieder – man sieht sich und man hilft sich wieder.
Da sind die Jüngeren, die für die Älteren einkaufen. Musiker, die Gratiskonzerte geben … und … und … und
Jeder kann sich in diesen Tagen und darüber hinaus mit seinen Gaben und Fähigkeiten einbringen - und sei es mit einer ‚von-Herz-zu-Herz‘ geschriebenen Geschichte.  


© Martina Pfannenschmidt, 2020


Diese Geschichte nimmt an Elkes 'froher und kreativer Linkparty' teil.
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Ein kleiner Hinweis: 



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14 Kommentare:

  1. Liebe Martina,
    ja, so eine von Herz zu Herz geschriebene Geschichte hilft, zum einen dem, der sie schreibt und dem, der sie liest. Ich bin froh, dass wir in dieser schwierigen Zeit an unseren Reizwörtern festgehalten haben, denn deine Geschichte ist sehr gut. sie drückt vieles aus, was mir (auch anderen) so durch den Kopf geht in dieser Zeit.
    Vielen Dank für deine Geschichte, herzliche Grüße
    Regina

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    1. Danke, liebe Regina, für deinen Besuch und den ersten Kommentar an dieser Stelle. - Genau wie du, so kam auch ich gedanklich nicht am aktuellen Thema vorbei. - Liebe und sonnige Grüße! Martina

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  2. Liebe Martina, gut das ich Dich verlinkt habe so finde ich auch die schöne Geschichte, die ich so nachvollziehen kann. Ich bin zwar nicht allein, aber eben auch abgeschirmmt von meinen Kindern. Meine Mutter lebt nicht mehr und ich denke sie hätte auch heute in dieser schwierigen Zeit am Telefon gesagt, "ich bin zufrieden". Vielleicht sagen wir es auch einmal und sind mit wenig zufrieden, wir kommen auch für uns durch schwierige Zeiten. Unsere Eltern haben ganz anderes erlebt!
    Dir liebe Grüsse und passt auf Euch auf, Klärchen

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    1. Da denke ich so oft dran, Klärchen, dass unsere Eltern durch die Kriegsjahre ganz andere Zeiten erlebt haben, als wir. Wenn man von sich sagen kann, dass man zufrieden ist mit sich und seinem Leben, dann ist das wahrlich schön.
      Mach es gut, Danke fürs Verlinken, den Besuch und Kommentar! Martina

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  3. Guten Morgen liebe Martina,
    herzlichen Dank für diese schöne Geschichte, ich hätte sie ( wenn ich denn Geschichten schreiben könnte) auch nicht viel anders geschrieben....
    Ich wünsche Dir einen freundlichen Tag!
    ♥️ Allerliebste Grüße, paß gut auf Dich auf und bleib gesund,Claudia ♥️

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    1. Liebe Claudia, wie schön, dass wir gleiche oder ähnliche Gedanken haben.
      Komm gut durch diese Zeit und sonnige Grüße! Martina

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  4. Liebe Martina,
    vielen Dank für die schöne Geschichte und den Link!
    Die K-Frage wird wohl ein Rätsel bleiben. Wozu brauchen die Leute so viel Klopapier? Einige müssen zu Hause ein ganzes Lager haben, auch noch mit anderen Sachen. Ich fürchte, es wird später viel weggeworfen. Mach es gut!
    LG Elke

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    1. Hallo, liebe Elke, der Dank bezüglich des Links ist ganz auf meiner Seite. - Ja, die Sache mit dem Klopapier erklärt sich mir auch nicht. Daran werden wir uns aber sicher zeitlebens erinnern: 'Weißt du noch, damals, als es kein Klopapier mehr zu kaufen gab.' Lach!
      Mach es auch gut und sonnige Grüße! Martina

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  5. Liebe Martina ich grüße Dich.
    Danke für Deine Gedanken, ich besuche Dich immer wieder gern.:)
    Zufriedenheit, Liebe und innere Harmonie des Herzens, sind die wichtigsten Güter die war haben können.
    Ein schönes Wochenende
    wünscht Dir Helga

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    1. ... und die (wichtigste Güter) können wir nirgendwo kaufen. Wir können sie nur in uns entstehen lassen. - Danke für deinen Besuch - und hab auch du einen schönen und sonnigen Sonntag! Martina

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  6. du hast sicher den meisten aus der Seele geschrieben ..
    auch ich kann eigentlich sagen .. ich bin zufrieden
    aber grausam finde ich das was deine Mutter im Heim erleben muss ..
    das ist ja wie im Knast..
    die Zimmer müssen doch auch sauber gemacht werden .. also geht personal hinein.. da können sie doch auch das Eassen auf den Tisch stellen
    und ein paar Worte wechseln..
    mit Abstand ..versteht sich
    was bin ich so froh dass ich meinem Vater ausreden konnte in ein Heim zu gehen ..
    pass gut auf dich auf

    Rosi

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    1. Hallo, liebe Rosi, es ist nicht meine Mutti, die dies erleben muss. Sie lebt schon seit 10 Jahren nicht mehr. Es ist 'nur' eine erfundene Geschichte und keine Realität. Auch wenn ich in der Ich-Form schreibe, erzähle ich nie von mir. ;-)
      Hab einen ganz schönen Sonntag! Martina

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    2. ;)
      ich glaube es ist trotzdem in manchen Fällen genau so
      liebe Grüße
      Rosi

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  7. spät aber sie kommt Martinchen hat wieder philosophiert, sehr gut und treffend und in vielen Gedanken kann man sich selbst wiederfinden. Schön hast du das gemacht aber leider plagt mich jetzt der Gedanken wie man früher die Eier blau gefärbt hat.(grinsen)
    Wünsche dir einen schönen Tag, bleibt gesund.

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