Reizwörter: Pförtner, Krankenhaus, missmutig, anders, rechnen
„Entschuldige, ich bin spät dran!“
Mit diesen Worten begrüßte Anja ihre
Freundin Janine.
Die beiden sind seit ein paar Jahren
Kolleginnen und haben sich wirklich gut angefreundet.
Inzwischen war es für sie zu einem
festen Ritual geworden, sich einmal im Monat zum gemeinsamen Abendessen zu
treffen.
An diesen Abenden ging es aber nicht
um den Job oder die Probleme, die es dort natürlich auch gab. Nein, es war wie
eine stille Vereinbarung zwischen ihnen, dass diese Themen an diesen Abenden
außen vor blieben.
„Ich komme gerade von meinem Vater“,
erzählte Anja, während sie ihre Jacke über die Stuhllehne hängte und sich
anschließend setzte. „Du hast ihn ja auch schon kennengelernt.“
„Ja klar, kenne ich ihn. Man kommt ja
nicht an ihm vorbei, wenn man jemanden im Krankenhaus
besuchen möchte.“
Anja lachte: „Du hast recht, an dem Pförtner müssen alle vorbei!“
„Wie geht es ihm denn?“, erkundigte
sich Janine.
„Ach weißt du, er kommt einfach nicht
damit zurecht, dass meine Mama ihn verlassen hat. Er ist so anders geworden, immer missmutig und schlecht gelaunt. So
kenne ich ihn gar nicht. Früher war er ein fröhlicher Mensch. Heute leider
nicht mehr.“
„Das kann ich gut verstehen. Es
konnte ja niemand damit rechnen,
dass deine Mutter eines Tages diesen Schritt tut. Dein Vater wahrscheinlich am allerwenigsten.“
„Das stimmt wohl. Vielleicht habe ich
es eher kommen sehen, als er. Aber er muss doch irgendwann akzeptieren, dass es
so ist. Weißt du, wie ich es meine? Es gibt halt Dinge, die man ändern kann. Es
gibt aber auch Dinge, die man eben nicht ändern kann. Und diese Trennung gehört
nun mal zu den Dingen, die er nicht mehr ändern kann.“
„Das stimmt, was du sagst. Manchmal
macht es einfach keinen Sinn, gegen etwas anzukämpfen. Es kostet uns nur
unnötige Energie.“
„Siehst du. Das meine ich und das
sage ich ihm ständig. Ich muss ja auch damit zurechtkommen, dass es so ist. Das
ist für mich zwar nicht ganz so schwer, wie für ihn; das gebe ich ja zu. Aber
einfach ist es auch nicht.
Ich mag gar nicht an meinen
bevorstehenden Geburtstag denken, wenn die zwei aufeinander treffen. Oder sie
kommen getrennt, weil sich Mama vorher erkundigt, wann denn wohl mein Herr
Vater seinen Besuch bei mir macht.“
„Das ist schon traurig. Aber manchmal
laufen die Dinge halt nicht so, wie wir es gerne hätten, nicht wahr“, meinte
Janine.
„Ja, so ist es leider. Mein Vater
wirft meiner Mutter halt vor, dass sie sich in einen anderen Mann verliebt hat.
Das sei der größte Fehler ihres Lebens, dass sie zu ihm gezogen sei, sagt er ständig.“
„Ja, die Welt ist scheinbar ein
ungerechter Ort“, fuhr Janine mit einem Seufzer fort.
Auch Anja seufzte: „Das ist wohl eine
der bittersten Erkenntnisse, die wir haben können.“
„Und noch eine Erkenntnis ist bitter,
wie ich finde“, warf Janine ein, „ich meine, zu erkennen, dass auch dann etwas
Furchtbares in unser Leben treten kann, wenn wir eigentlich ein guter Mensch sind.“
„Zumindest hat es so den Anschein. Da
gebe ich dir recht. Es geht aber wohl immer darum, etwas aus der jeweiligen
Situation zu lernen“, meinte Anja und gab zu bedenken, dass es da noch einen anderen
wichtigen Faktor gibt: „Wir Menschen sind halt alle sehr unterschiedlich. Das
ist oft der größte Faktor für Konflikte. Jeder hat seine eigenen Ansichten und
vertritt bestimmte Werte. Da ist dann Aufgeschlossenheit
gefragt. Und diese Toleranz fehlt meinem Vater in Bezug auf diese Trennung
völlig.“
„Es ist schon so, dass wir immer
wieder erkennen dürfen, dass es im Leben keine Sicherheiten gibt“, gab Janine
zu bedenken. „Eben auch nicht dafür, dass eine Liebe oder Ehe bis ans Ende der
Tage hält.“
„Und auch nicht dafür, dass man nach
15 Jahren nicht doch noch von seinem Boss gekündigt wird.“
Damit spielte Anja auf eine Kündigung
an, die vor ein paar Tagen einen Kollegen getroffen hatte. Aber sie vertieften
dieses Thema nicht.
Die Getränke wurden serviert und die
beiden stießen auf einen schönen Abend an. Doch irgendwie wollte es ihnen im
Moment noch nicht gelingen, zu einem fröhlicheren Thema zu wechseln.
„Wie oft haben wir das Gefühl“,
meinte Anja, „dass uns Unrecht getan wird.“
„Und wie oft“, fuhr Janine fort,
„tragen wir all den Ballast aus unserer Vergangenheit noch mit uns herum.“
„Ja, das stimmt wohl und vielleicht
hat Papa ja durchaus Recht und Mama hat einen Fehler gemacht. Das wird die Zeit
zeigen. Aber Papa kann sich wohl auch nicht davon freisprechen, fehlerfrei zu
sein. Er wird auch seine Fehler in der Beziehung gemacht haben, sonst wären sie
ja noch beisammen.“
„Zumindest ist klar, dass er sich
viel Leid ersparen würde, wenn er einen Weg fände, mit der Vergangenheit
abzuschließen.“
„Genau das habe ich ihm eben gesagt.
Er muss akzeptieren, was geschehen ist, sich und sein Leben sortieren und neu
starten. Genauso, wie es Mama gemacht hat.“
„Ja okay, aber die Trennung war ihre
Entscheidung, nicht seine. Er wird quasi dazu gezwungen, etwas zu ändern. Das
ist schon ein riesiger Unterschied.“
„Stimmt schon“, erwiderte Anja, „aber
Dinge können immer anders kommen, als wir denken oder es uns wünschen.“
„Ja, irgendwie funkt das Leben immer
dazwischen, nicht?“
„Ja, so ist es. Wir haben es eben nicht
unter Kontrolle. Niemand. Das ist einfach so. Alles kann sich jederzeit ändern.
Manchmal sogar von einer Minute auf die andere.“
„Ach, meine gescheite Kollegin“,
scherzte Janine, „dann lass uns noch einmal anstoßen. Auf die Zukunft. Und lass
uns versuchen, uns weniger Sorgen zu machen und im Jetzt zu leben.“
„Genau! Auf unsere Ziele, die wir
haben, aber auch darauf, dass wir es annehmen können, wenn es anders kommt.“
„Genau! Wir planen einfach kurzerhand
um, wenn etwas anders läuft, als gedacht.“
„So machen wir das“, stimmte Anja zu,
„und wir wollen nicht ins Urteilen kommen, was richtig oder falsch ist, weil
wir nun mal alle verschieden sind. Wir fühlen unterschiedlich und wir bewerten
Situationen unterschiedlich.“
„Und genau das ist der Grund, weshalb
ein und dieselbe Sache bei zwei Menschen völlig unterschiedliche Gefühle
hervorrufen kann.“
„Weißt du, was mein Gefühl in diesem Moment sagt?“, fragte
Anja schmunzelnd, und fügte sogleich hinzu: „Hunger!“
„Dann stimmen unsere Gefühle momentan
zu einhundert Prozent überein“, lachte Janine. „Also los, lass uns unsere
Bestellung aufgeben.“
© Martina Pfannenschmidt, 2020
Diese Geschichte nimmt an Elkes 'froher und kreativer Linkparty' teil.
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Da hast du die Worte ja wunderbar umgesetzt, ein tolles Thema und sehr gut geschrieben. Ich wünsche dir ein schönes Wochenende und hoffe mein Mail mit den neuen Wörtern ist angekommen.
AntwortenLöschenDank dir, liebe Lore! Ja, alles angekommen! - Jetzt hab ich aber keine Zeit mehr zum Plauschen. Muss jetzt bei dir und Regina noch lesen. :-) - LG Martina
Löschenliebe Martina,
AntwortenLöschendeine Geschichte ist wieder super geworden. Mein Fazit:
Lassen wir das Leben auf uns regnen.
Einen fröhlichen Gruß,
Helga
die hat jetz auch Hunger bekommen. :)
https://s19.directupload.net/images/200208/6niw4uh9.jpg
Das ist eine sehr gute Idee, Helga!
LöschenUnd wenn es sehr viel regnet und sich ein Fluss bildet,
dann lassen wir uns einfach mit ihm treiben.
Ich hoffe, dein Hunger ist inzwischen gestillt. :-)
LG und Danke für den Besuch samt Kommentar.
Martina
Liebe Martina,
AntwortenLöschendeine Geschichte hat mir wieder sehr gut gefallen. Es stimmt: wenn wir Dinge akzeptieren, die wir nicht ändern können, macht das vieles leichter.
Herzliche Grüße am Sonntag
Regina
Danke, Regina! Ja, es ist einfach so. Dinge, die sich nicht ändern lassen, sollten wir annehmen. - Nur die Umsetzung ist oftmals nicht ganz so einfach. :-)
LöschenIch wünsche dir eine glückliche Woche!
Martina
Liebe Martina, das ist wieder eine schöne Geschichte, die mir gut gefällt. Danke für den Link!
AntwortenLöschenLG Elke
Das freut mich, dass sie dir gefällt.
LöschenHab eine schöne Woche!
LG Martina