Andere Mädchen in meinem Alter schreiben vielleicht ein Tagebuch. Ich nicht. Ich schreibe auf, was meine Oma so sagt.
Also, es ist nicht so, dass meine Oma ständig quasselt und mir damit auf die Nerven geht. Ne, ganz im Gegenteil. Soviel redet sie gar nicht. Aber das, was sie sagt, gefällt mir und deshalb möchte ich es aufschreiben.
Für wen? Ja,
für wen? Keine Ahnung! Also zunächst einmal für mich natürlich, aber vielleicht
auch für meine Kinder und Enkel oder so!
Wie fange ich am besten an?
Ich denke, es macht Sinn, wenn ich meine Oma zuerst
einmal beschreibe.
Also: Meine Oma ist nicht besonders klein und auch nicht
besonders schlank. Sie hat (offiziell) noch keine grauen Haare und sie trägt nicht
nur eine Brille, sondern auch eine Kurzhaarfrisur. Die ist praktisch, sagt sie.
Meine Oma hat noch niemals in ihrem Leben das Sportabzeichen
gemacht. Auch bei den Bundesjugendspielen zeichnete sie sich nicht durch
besondere Sportlichkeit aus.
Aber wisst ihr was? Das macht überhaupt nichts, denn einen
Muskel, den malträtiert sie ständig: den Denkmuskel!
Gibt es den überhaupt? Keine Ahnung! Ist auch egal. Oma denkt
halt viel. Aber sie denkt … muss kurz überlegen … anders. Zumindest anders, als
viele andere. Und genau das mag ich an ihr.
Vielleicht ist meine Oma ein kleines bisschen schrullig!
Moment, wartet mal eben, das muss ich googeln.
Ne, ne ne, vergesst es! Wisst ihr, was das bedeutet?
‚Befremdende, meist lächerlich wirkende Angewohnheiten oder gar seltsam.’
Ne, ne, ne! So ist meine Oma nicht.
Oma
ist halt … anders! Kein Wunder, irgendwie, denn schließlich ist sie ja meine
Oma!
Letztens fragte sie mich, ob ich für mein Leben einen Plan hätte.
Mit großen Augen sah ich sie an: „Oma, ich bin 16, da hat man noch
keinen Plan.“
Meine Eltern macht so was rasend und bei dieser Aussage hätte
es eine Ansprache gegeben. Nicht so bei Oma.
„Weißt du, Kind“, sagte sie, wobei ich es nicht mag, wenn sie
mich Kind nennt, aber egal, „weißt du Kind“, sagte sie, „es wird immer wieder Situationen
in deinem Leben geben, wo du keinen Plan hast und wo vielleicht Nichts-Tun
angesagt ist. Doch weißt du was? Manchmal ist das gar nicht so einfach, denn
wenn du nichts tust und Stille herrscht, dann musst du die aushalten. Hast du
das eigentlich schon einmal ausprobiert? Weißt du, ob du Stille aushältst?“
Ich hab sie nur angesehen und „Nö!“ geantwortet.
„Pass auf“, meinte sie, „versuch doch mal folgendes: Geh
alleine in den Wald, such dir einen ganz stillen Platz, setz dich dort an einen
Baum und lausche.“
Versteht ihr, wie ich meine? So ist meine Oma. Meine Güte, wer
setzt sich schon mitten in den Wald und horcht? Die meisten Menschen wohl
nicht. Aber meine Oma hat das schon ausprobiert und sie sagt, dass man zuerst
ganz schön unruhig wird und dass sie auch ein bisschen ängstlich war.
Da musste ich schmunzeln. Also, wir leben ja nicht in
Sibirien. Also mit einem Bären musste sie jetzt nicht rechnen. Aber okay,
vielleicht gibt es ja Wildschweine oder so. Aber egal. Oma hat das gemacht und ich
werde das auch mal machen. Aber heute noch nicht. Irgendwann halt.
Ja und dann
hat meine Oma gesagt, dass wir alle aus einem ganz bestimmten Grund hier sind.
Nämlich, um unsere Lebensaufgabe zu finden. Sie meint, dass wir erst dann, wenn
wir uns die Frage beantworten können, welche Bestimmung wir haben, ein wirklich
glückliches Leben führen würden.
Keine Ahnung,
ob das stimmt. In jedem Fall möchte ich mir das merken.
Oma meint
außerdem, dass man ganz einfach herausbekommen kann, warum man auf der Welt
ist. Dass nämlich alles, was wir gerne tun, wo wir mit Herz und Seele dabei
sind, uns entspricht und dass das, was wir ungern und halbherzig tun, uns eben
nicht entspricht. Das klingt einfach, oder nicht?
„Weißt du,
Kind“, sagte sie wieder einmal, „für dich gibt es noch so unendlich viel zu
entdecken. Du kannst so viele Dinge ausprobieren, bis du eines Tages merkst:
Das ist es!“
Das klingt
doch wirklich spannend.
„Du könntest
reisen, also dann, wenn du 18 bist“, meinte sie schmunzelnd, „einfach nur mit
einem Rucksack auf dem Rücken die Welt besehen. Du könntest aber auch Klavier-
oder Geigenunterricht nehmen, mehrere Sprachen erlernen oder Sport treiben. Die
Welt steht dir offen. Probiere einfach vieles aus und bleib bei dem, was dir
Freude macht. Dann hast du schon ganz viel richtig gemacht in deinem Leben.“
Das hört sich
gut an, finde ich. Besonders das Reisen spricht mich an. Aber ein bisschen muss ich damit noch
warten. Zuerst muss ich ja 18 werden und die Schule beenden. Aber ich könnte ja
schon mal einen Plan schmieden, welche Länder ich bereisen möchte und so. Es
wäre auch gar nicht so schlecht, wenn ich noch andere junge Leute fände, die mitkommen.
Und da kommt
Oma wieder ins Spiel, denn sie sagt, dass man die Menschen, die zu einem
passen, daran erkennt, dass man sich zu ihnen hingezogen fühlt.
„Such dir
Menschen“, riet sie mir, „von denen du lernen kannst und die dich und dein
Leben sinnvoll begleiten.“
Noch weiß ich
nicht, wie ich diese Menschen finden soll, aber Oma sagt, dass sie von ganz
allein in mein Leben kommen. Na, da bin ich ja mal gespannt, ob sie
damit recht hat.
Und noch was: Sie sagt, dass es ganz wichtig ist, auf sein
Bauchgefühl zu hören. Also, ich soll den Kopf jetzt nicht komplett ausschalten.
Den brauchen wir, sagt sie, um die Pläne umzusetzen, die der Bauch vorschlägt.
Lustig, oder?
Ach, und dass
ich es nicht vergesse, sie hat mir geraten, das Leben zu lieben. Hört sich
vielleicht einfach an, ist es aber gar nicht. Weil ich soll nämlich alles lieben. Meinen bescheuerten
Mathelehrer zum Beispiel. Also auch die Dinge, über die ich mich maßlos
aufregen kann.
Ob ich das alles
eines Tages umsetzen kann, weiß ich noch nicht.
Aber eines weiß ich: Vergessen
werde ich all diese Dinge nicht mehr, denn ich habe sie ja jetzt schwarz
auf weiß!
© Martina Pfannenschmidt,
2018