Nach
einem langen und Kräfte zehrenden Flug kam Spotty völlig ausgemergelt und
hungrig in seinem Heimatort an - und dann das!
Schon
von weitem sah er, dass es sich irgendein Hallodri in seinem Nest gemütlich gemacht hatte. Das konnte doch wohl nicht
wahr sein! Dem Kerl würde er die Leviten lesen und wenn es sein müsste, ihn mit
kräftigen Hieben seines Schnabels vertreiben. Genau so und nicht anders galt
es, mit Hausbesetzern umzugehen.
Als
er näher kam, hätte ihn fast der Schlag getroffen. Den Kerl, der dort in seinem
Nest hockte und ihm spöttisch entgegen blickte, kannte er nur zu gut. Das war
eindeutig Eddie, dieser Nichtsnutz. Hatte der denn immer noch nicht genug?
Schon
in Afrika hatten sie sich heftige Duelle geliefert, als sie um Stella, die
hübscheste aller Storchenmädchen, gebuhlt hatten. Doch ER war als Sieger vom
Platz gegangen und nicht Eddie.
Schon
in ein paar Tagen würde Stella nachkommen. So hatten sie es vereinbart. Bis
dahin wollte Spotty sich nicht nur satt essen und zu Kräften kommen, sondern
nebenher auch das Nest renovieren.
Noch
ein paar kräftige Flügelschläge, dann landete er zielsicher auf seinem Horst.
„Hallo,
mein Freund, auch schon da?“, fragte Eddie provozierend und grinste dabei breit.
Das
brachte Spotty noch mehr in Rage und gegen seinen Nebenbuhler auf: „Von wegen
Freund. Hau bloß ab! Dies ist mein Nest und nicht deins. Also: Zieh Leine und
zwar schnell!“
Doch
so einfach ließ sich der Störenfried nicht vertreiben. Es kam wieder einmal zu
einem heftigen Duell und Spotty war wirklich am Ende seiner Kräfte, als Eddie
ziemlich lädiert resignierte und sich davon machte. Erschöpft aber glücklich
fiel der Sieger bald darauf in einen tiefen und erholsamen Schlaf.
Als
Stella eine Woche später im Anflug war, waren all die Schmerzen und
Entbehrungen der letzten Zeit vergessen. Stolz präsentierte Spotty seiner Liebsten
das liebevoll hergerichtete Nest. Dann flogen sie auf die nahe gelegene Wiese
und labten sich an all den Leckereien, die ihnen dort wie auf einem gedeckten
Tisch serviert wurden.
Als
sich Stella wieder frisch und erholt fühlte, begannen sie mit ihrem
Hochzeitstanz und klapperten mit ihren Schnäbeln, dass es eine wahre Freude
war.
„Schau
nur!“ Stolz erhob sich Stella und gab für ihren Liebsten den Blick auf 5 Eier
frei, die wie riesige Perlen im Nest lagen.
Spotty
konnte sein Glück kaum fassen. Mit einer so großen Nachkommenschaft hatte er gar
nicht gerechnet.
In
den kommenden Wochen kümmerten sich die werdenden Eltern liebevoll und abwechselnd
darum, dass es für ihren Nachwuchs jederzeit schön warm und trocken blieb.
Eines
Tages war es dann soweit. Die kleinen Störche schlüpften und das junge Paar
hatte fortan keine ruhige Minute mehr. Es war ganz schön anstrengend, diese
große Kinderschar zu verköstigen. Besonders Stella stieß dabei bald an ihre
Grenzen. Sie wirkte schon sehr abgemagert, als sie auf wackligen Beinen über
die Wiese schritt und nach Futter suchte.
„Ist
das nicht Stella dort unten?“, fragte sich Eddie, als er im Anflug auf die
Wiese war. Bald darauf war er sich sicher, auch wenn ihr Gefieder stumpf und
ihr Gang wenig graziös wirkten.
Eddie
überlegte kurz, ob er weiter fliegen oder neben ihr landen und sie ansprechen
sollte. Er entschied sich für Letzteres.
„Hallo,
Stella, schön, dich zu sehen. Wie geht es dir?“
„Ach
Eddie, wenn ich ehrlich sein soll, nicht gut. Wir haben 5 Kinder, Spotty und
ich, und die Nahrung wird langsam knapp. Für uns bleibt kaum noch etwas übrig,
weil die Kinderchen einen großen Appetit entwickelt haben. Aber ich möchte mich
nicht beklagen. Die Kleinen sind wirklich wundervoll.“
Eddie
ging eine Weile schweigend neben Stella her. Hier war wirklich nicht mehr viel
Essbares zu finden und das bedeutete weite Wege zu anderen Futterplätzen. Welche
Auswirkungen das wiederum für die Familie hatte, wusste er nur zu gut – und
Stella gewiss auch.
„Hast
du keine Gefährtin gefunden?“, fragte sie nach einer Weile und Eddie schüttelte
mit dem Kopf. Am liebsten hätte er geantwortet: „Ich wollte dich und sonst
keine!“ Aber das verkniff er sich lieber. Er wollte die junge Mutter nicht noch
mehr belasten und durcheinander bringen.
Eddie
verabschiedete sich bald darauf und flog mit einem mulmigen Gefühl in der
Magengegend davon. Auch wenn Spotty nicht sein Freund war, so beneidete er ihn
nicht um die Aufgabe, die unausweichlich auf ihn zukommen würde.
In
der darauf folgenden Nacht bekamen die jungen Eltern kaum ein Auge zu. Niemals
hätten sie erwartet, dass sie eines Tages in eine derartige Situation kämen.
Doch die Stunde der Entscheidung nahte. Das spürten sie.
Als
Stella am darauf folgenden Tag zur Wiese flog, hoffte sie inständig, Eddie dort
zu treffen. Sie wollte ihn dringend um etwas bitten. Bereits im Anflug sah sie
ihn. Ob er bereits etwas ahnte?
Einige
Tage später saßen Hein und Fiete wieder einmal auf ihrer Bank neben dem Horst.
Sie trafen sich dort täglich und beobachteten dabei wortlos das Storchenpaar. Dass
an diesem Tag etwas nicht stimmte, bemerkten sie sogleich: „Da brat mir doch
einer ΄nen Storch!“, sagte Fiete nach einer Weile.
„Jau!“,
erwiderte Hein. „So was hab ich auch noch nicht gesehen!“
Was
war geschehen?
Der
Tag, an dem Spotty zwei seiner schwächsten Kinder hätte töten müssen, um die
stärksten am Leben zu erhalten, wäre unausweichlich gekommen. Deshalb hatte
Stella sich ein Herz gefasst und Eddie um Hilfe gebeten.
Auch
wenn Spotty zunächst nicht begeistert reagiert hatte, so nahm er mit Blick auf
seine Frau und die Kinder doch die Hilfe von Eddie in Anspruch. Jetzt fütterten
sie zu dritt den Nachwuchs und Eddie mauserte sich in den kommenden Wochen zu einem hilfsbereiten Onkel und wertvollen Lehrer für die Kleinen.
©
Martina Pfannenschmidt, 2018
Nachtrag:
Diese
Geschichte entstand nach einem Artikel in unserer Zeitung. Auf einem Foto war
ein Storchenvater zu sehen, der eines seiner winzigen Kinder getötet und ein
anderes damit gefüttert hatte. So ist es in der Natur. Ein Storchenvater muss
zur Erhaltung seiner Art so handeln. – In einer Geschichte, so dachte ich mir,
darf es aber durchaus anders sein. J