Graufellchen
war gerade dabei, seine morgendliche Runde durch die Wohnung zu drehen, als die
Schlafzimmertür geöffnet wurde. Schnell flitzte er an der Fußleiste entlang und
schon war er in seiner sicheren Höhle verschwunden.
Mit
nur einem Auge schaute er nach den beiden Menschen. Er musste schon ein
bisschen kichern, als er sie so zerzaust und schlaftrunken sah. Als die beiden
aber eine kleine Weile später in der Küche das Frühstück zubereiteten, sahen
sie aus wie immer und noch etwas war wie immer: Sie unterhielten sich!
„Du
glaubst nicht“, meinte Karl, „was ich heute Nacht geträumt habe.“
„Ist
dir das Christkind erschienen?“, frotzelte Gerda.
„Nein,
das nicht, aber ähnlich schön. Stell dir vor, ich saß vor dem Fernseher und
schaute Nachrichten und weißt du, was dort verkündet wurde? War is over! – Stell
dir das doch bitte mal für einen Moment vor: Ein Nachrichtensprecher, der verkündet,
dass es keinen Krieg mehr gibt. Weltweit! – Ich sah Menschen, die sich in die
Arme fielen, in etwa so wie damals, als die innerdeutsche Grenze fiel. Es war
so unfassbar schön, doch leider war es nur ein Traum und wird es vielleicht für
lange Zeit bleiben.“
„Sag
das nicht, Karl! Auch wenn es so scheint, dürfen wir uns gedanklich nicht an
den Krieg klammern, sondern wir sollten uns mit dem Frieden beschäftigen.“
„Wie
unachtsam von mir! Du hast natürlich recht. Ich möchte meine Gedanken und meine
Energie ja Richtung Frieden lenken und nicht Richtung Krieg. Also sollte ich
auch dem Frieden meine ganze Aufmerksamkeit schenken.“
„So
ist es, Karl! Es gibt so viele Menschen, die für sich und die Welt den Frieden
wünschen, doch sie halten sich für zu unbedeutend und glauben nicht, dass sie
etwas für den Frieden tun können.“
Karl
nickte zustimmend: „Ja, so geht es sicher vielen, Gerda. Doch was passiert,
wenn das jeder denkt und gar nichts tut? Es wird alles so bleiben, wie es ist.“
„Vielleicht
fehlt uns einfach der feste Glaube, es tatsächlich schaffen zu können. Solange
wir nicht aus tiefstem Herzen davon überzeugt sind, dass es der Menschheit in
naher oder ferner Zukunft gelingen wird, Hunger, Armut und Krieg in dieser Welt
zu beenden, wird es auch keine Lösung geben. Und wenn niemand etwas tut, ja
dann tut sich auch nichts.“
„Aber
mal ehrlich, Gerda, was können wir zwei denn an unserem Platz und in unserem
fortgeschrittenen Alter für den Frieden tun?“
„Höre
ich da so etwas wie Resignation heraus?“
„Vielleicht!“
„Vor
gar nicht so langer Zeit las ich etwas, dass sich genau mit diesem Thema
beschäftigt. Und zwar ging es darum, dass weltweit immer mal wieder eine
Schweigeminute für Verstorbene eingelegt wird. Wie wäre es denn, wenn jeder,
der guten Willens ist, täglich eine Schweigeminute für den Weltfrieden einlegen
würde? Natürlich muss dieser Mensch diesen Frieden zunächst ganz tief in sich
selbst empfinden und dann in die Welt hinaus schicken. Stell dir das nur einmal
vor, Karl, wenn das wirklich jeder gutmütige Mensch auf dieser Welt machen
würde. Dann würde sich etwas verändern, denkst du nicht?“
„Einen
Versuch wäre es auf jeden Fall wert. Der Einsatz ist gering und wenn wir damit
die Welt einen Hauch besser machen können, dann sollten wir uns daran
beteiligen. Jeden Tag 1 Minute!“
„Das
machen wir, Karl. Wir erinnern uns gegenseitig und wer weiß, vielleicht ist das
wie ein kleines Samenkorn, das wir in die Erde legen. Möge es wachsen und
gedeihen und Frieden bringen, gerade jetzt in der Weihnachtszeit wünschen wir
uns alle doch nichts mehr, als das.“
„Besonders
für die Kinder dieser Welt, nicht wahr!“
„Ja,
ganz besonders für die Kinder, Karl. Wenn wir möchten, dass die Welt ein
friedvollerer Ort wird, müssen wir etwas tun. Jeder an seinem Platz.“
„Das
stimmt, meine Liebe, und Sätze wie: ‚Das hat doch alles keinen Sinn’, bringen
die Menschheit auf keinen Fall voran.“
„Genau!
Das Handeln jedes Einzelnen hat eine Auswirkung für alle und wenn auf der einen
Seite Hass, Neid, Habgier, Verachtung und Missgunst gesät werden, müssen auf
der anderen Seite Liebe und Verständnis in die Waagschale geworfen werden.
Sozusagen als Ausgleich und Gegengewicht. Und da kommt es wirklich auf jeden Einzelnen
an. Das glaube ich ganz sicher.“
„Lass
uns unseren kleinen Beitrag leisten – und das nicht nur jetzt zur
Weihnachtszeit. Mehr können wir wohl leider nicht tun!“
„Nein“,
ergänzte Gerda, „mehr können wir wohl nicht tun, aber durchaus weniger!“
©
Martina Pfannenschmidt, 2017