Dass
heute ein ganz besonderer Tag sein musste, merkte Graufellchen sogleich nach
dem Aufstehen, denn Gerda und Karl waren schon vor ihm aufgestanden. Das
passierte nicht so häufig.
Sie
saßen bereits am Frühstückstisch und machten Pläne für den Tag. „Holst du
gleich das Bäumchen vom Balkon? Dann kann ich damit beginnen, es zu schmücken.“
„Selbstverständlich!“,
erwiderte Karl. „Und dank des neuen Tannenbaumständers wird es keinerlei
Streitereien wegen eines schief stehenden Bäumchens geben.“
„Als
ob wir uns deshalb je gestritten hätten“, meinte Gerda.
„Na,
da habe ich aber ganz andere Erinnerungen“, erwiderte Karl grinsend. „Aber ich
gebe dir recht. Es war kein Streit, eher eine Meinungsverschiedenheit.“
Nach
dem Frühstück begannen die beiden mit ihrem quirligen Treiben. Graufellchen
hatte sich nicht aus seiner Höhle getraut. Zum einen saß ihm noch der Schock
vom Tag zuvor in den Knochen, zum anderen verbreiteten die beiden Menschen eine
gewisse Unruhe.
Nach
einiger Zeit duftete der ganze Raum herrlich nach Tannennadeln. Es war zwar
alles etwas merkwürdig, was die zwei veranstalteten, doch irgendwie fand
Graufellchen Gefallen an all dem.
Zur
Mittagszeit fand das Ehepaar doch noch etwas Zeit, um sich auszuruhen und
einen Mittagsschlaf zu halten. Am späten Nachmittag war es endlich soweit.
Gerda öffnete die Schublade und nahm das Kind aus der Sauciere, doch sie legte
es nicht in die Krippe, sondern in die Karls Hand. Es war wohl ihm
vorbehalten, diesen Akt auszuführen.
Ganz
gerührt standen die beiden und betrachteten ihre Krippe.
„Frohe
Weihnachten, Karl!“
„Frohe
Weihnachten, Gerda!“
Dann
nahmen sie sich in den Arm und es hatte den Anschein, als würden sie sich
niemals wieder loslassen wollen.
Bald
darauf übergab Gerda ein buntes Päckchen an Karl, der es vorsichtig öffnete.
„Ach
Gerda, du hast mir doch den Kaschmirschal gekauft. Der ist doch viel zu teuer.“
„Aber
weich“, erwiderte Gerda.
„Ich
danke dir. Den werde ich gleich morgen bei unserem Spaziergang tragen.“
Karl
erhob sich und holte nun seinerseits ein ziemlich großes Paket und übergab es
Gerda. „Natürlich habe ich auch ein Geschenk für dich“, meinte er, „auch wenn
es nicht so wertvoll ist, wie deins.“
Vorsichtig
öffnete Gerda daraufhin das Paket.
„Ach
Karl, das ist noch viel wertvoller, als mein Geschenk. Genau so eines habe ich
mir immer gewünscht. Das hast du ganz zauberhaft gemacht. Wir werden es bald
draußen aufstellen, ja. Es ist wirklich das schönste Vogelhäuschen weit und
breit. Nun weiß ich auch, was du immer heimlich in der Werkstatt gemacht hast.“
Die
ganze Zeit über liefen im Hintergrund weihnachtliche Lieder, die Graufellchen
nicht kannte, doch alle wunderschön fand. Der allerschönste Moment des
Nachmittags war jedoch der gewesen, als Karl all die Kerzen am Baum entzündet
hatte. Graufellchen konnte sich gar nicht satt sehen daran.
Gerda
erhob sich von ihrem Platz und meinte an Karl gerichtet: „Ein winziges Geschenk
habe ich noch. Es ist allerdings nicht für dich gedacht, sondern für …“
Mehr
sagte sie nicht, trat vor die Höhle von Graufellchen und legte dort etwas ab.
Als sie wieder zurück ging zu ihrem Sessel, platzte das Mäuschen vor Neugierde.
Es musste wissen, was vor seiner Tür lag, deshalb schaute es mit seinem
Köpfchen vorsichtig aus seiner Höhle heraus und traute seinen Augen kaum. In
einer halben Walnuss-Schale war die Krippenszene zu sehen. Ein Geschenk von
Karl und Gerda für ihn. Graufellchen zog sein Köpfchen schnell wieder zurück. Er wollte nicht, dass die beiden Menschen seine Tränchen sehen.
„Nachdem
nun alle ihre Geschenke bekommen haben“, meinte Gerda bald darauf, „möchte ich
eine Geschichte vorlesen. Leider kenne ich den Verfasser* nicht, aber sie ist
einfach zauberhaft und hat mich unglaublich berührt.“
Sie begann zu lesen:
Mit
den Hirten kam auch der achtjährige Jonathan in den Stall von Bethlehem. Er
schaute das Kind an, und das Kind schaute ihn an. Dann traten dem Jungen Tränen
in die Augen.
„Warum
weinst du?“, fragte das Jesuskind.
„Weil
ich dir nichts mitgebracht habe.“
„Du
kannst mir trotzdem etwas schenken“, entgegnete Jesus.
Da
wurde Jonathan rot vor Freude und sagte: „Ich will dir gern das Schönste geben,
was ich habe.“
„Drei
Dinge möchte ich von dir haben“, sagte Jesus.
Jonathan
schlug sofort vor: „Mein neues Fahrrad, meine Eisenbahn und mein schönes neues
Buch mit den vielen Bildern.“
„Nein“,
sagte Jesus, „das alles brauche ich nicht. Dazu bin ich nicht auf die Erde
gekommen. Ich möchte von dir etwas ganz anderes haben.“
„Was
denn?“, fragte Jonathan aufgeregt.
„Schenk
mir deine letzte Klassenarbeit“, sagte Jesus ganz leise, damit es sonst niemand
hören konnte.
Da
erschrak Jonathan.
„Jesus“,
flüsterte er zurück und kam dabei ganz nahe an die Krippe, „da hat doch der
Lehrer darunter geschrieben: Ungenügend!“
„Eben
darum will ich sie ja haben.“
„Aber
warum denn?“, wollte Jonathan wissen.
„Du
sollst mir immer das bringen, wo in deinem Leben „Ungenügend“ drunter steht.
Versprichst du mir das?“
„Ja,
gern“, antwortete Jonathan.
„Und
ich möchte noch ein zweites Geschenk von dir haben: Dein Teeglas.“
„Aber
das habe ich doch heute morgen zerbrochen.“
„Bring
mir immer das, was du im Leben kaputt gemacht hast. Ich will es wieder heil
machen. Versprichst du mir das.“
„Ja,
gern“, flüsterte Jonathan.
„Und
nun mein dritter Wunsch“, sagte Jesus. „Bring mir noch die Antwort, die du
deiner Mutter gegeben hast, als sie dich fragte, wie denn das Teeglas kaputt
gegangen ist.“
Da
legte Jonathan den Kopf auf die Kante der Krippe und weinte leise vor sich hin.
„Ich,
ich, ich…“, brachte er mühsam heraus, „ich sagte, dass das Teeglas herunter
gefallen ist, aber in Wahrheit habe ich es absichtlich aus Übermut vom Tisch
gestoßen.“
„Bring
mir all deine Lügen, alles Böse, was du denkst oder tust“, sagte Jesus. „Und
wenn du damit zu mir kommst, will ich dir vergeben und dir helfen und dich
davon freimachen. Willst du dir das von mir schenken lassen?“
Da hörte Jonathan auf zu weinen. Er staunte, und sein Herz war
voll Freude. Er kniete nieder vor der Krippe und dankte dem Jesuskind.
© Martina Pfannenschmidt, 2017
* Sollte jemand den Verfasser kennen oder selbst der Verfasser sein, so bitte ich sehr herzlich, mir dies mitzuteilen. Danke!
!Allen!
!früheren!
!und neuen Lesern!
!wünsche ich von ganzem!
!Herzen ein frohes
Weihnachtsfest!