Heute hatte
Oma einen Termin bei ihrem Friseur. Sie war schon als Kind in diesen kleinen
Frisiersalon gegangen. Die Enkelin des früheren Inhabers, die ihr so freundlich
aus dem Mantel half, kannte sie schon von Geburt an. Oma ging zu dem Sessel, in
dem sie immer saß und wie so oft war sie auch heute viel zu früh dran. Sie
lächelte darüber. Noch vor ein paar Jahren hatte sie sich stets über die älteren
Menschen amüsiert die ständig zu früh erschienen. Vielleicht lag es einfach
daran, dass man eigentlich keine Termine mehr hatte und wenn doch, brachten sie
einen ein wenig in Unruhe.
Um Oma die
Wartezeit zu verkürzen, gab ihr die junge Frau eine Zeitschrift in die Hand, in
der Oma uninteressiert blätterte. Was in den Königshäusern der Welt so vor sich
ging, interessierte sie nicht sonderlich.
Doch nun fiel
ihr Blick auf einen Artikel mit einer anziehenden Überschrift. Sie begann zu
lesen: ‚Eine wertschätzende Führung von Mitarbeitern beginnt mit
der eigenen Wertschätzung. Wer sich selbst nicht wertschätzt, dem wird es auch
nicht gelingen, den Wert eines anderen Menschen zu erkennen.’ Donnerwetter! Oma
blätterte zurück zur Titelseite. Eine solche Aussage hatte sie in diesem
Schmökerblatt nicht erwartet. Hoffentlich wurde dieser Artikel von vielen
Vorgesetzten gelesen und beachtet.
Bereits nach
kurzer Zeit wurde sie von Frau Müller bedient. Oma kannte sie schon lange und wusste,
dass nun die Frage käme, was es Neues gäbe. Doch sie hielt sich wie immer
zurück und lauschte lieber dem, was die Friseurin zu erzählen hatte.
Als Oma wieder
zu Hause war und ihren Mantel ablegte, öffnete Kathrin die Haustür. Gemeinsam
gingen sie zu Kathrins Mutter, die bereits mit dem Mittagessen auf sie wartete.
Oma dachte
über das, was sie beim Friseur gelesen hatte, nach. Sie wusste es zu würdigen,
jetzt eine warme Mahlzeit serviert zu bekommen und auch die Gemeinschaft mit
ihrer Familie schätzte sie sehr. Dies sagte sie ihrer Tochter und so waren die
beiden Frauen sehr schnell in ein Gespräch über das Thema ‚Wertschätzung’
vertieft.
„Wenn die
Menschen die Erde mehr wertschätzen würden“, meinte Kathrins Mutter, „gäbe es
nicht so viele Katastrophen. Die sind doch alle von uns Menschen gemacht. Wir
denken auch gar nicht mehr darüber nach, wie wertvoll es ist, frisches
Trinkwasser zu haben. Das wird uns erst wieder bewusst, wenn es uns einmal
nicht zur Verfügung steht.“
„Wir nutzen
es ja nicht nur zum Trinken und Kochen“, gab Oma zu bedenken, „wir nutzen das
gute Trinkwasser ja auch zum Duschen, Baden, Putzen und Wäschewaschen und
nehmen dies alles wie selbstverständlich hin.“
„Was mich
noch aufregt“, empörte sich Kathrins Mama, „ist die Tatsache, dass die meisten
Menschen so tun, als sei unsere Erde tot“.
Kathrin
horchte auf. „Wieso? Denkst du sie lebt?“
„Natürlich
lebt sie. Könnte denn etwas Totes Leben gebären?“
„Wie meinst
du das?“, hakte Kathrin nach.
„Schau dich
um. Das Gras, die Blumen, die Bäume, das Getreide, einfach alles, was aus der
Erde wächst, lebt. Wäre die Erde tot, wäre dies nicht möglich. Aus toter
Materie kann kein neues Leben entstehen. Auch die Steine sind nicht tot. Nimm
einen Stein in die Hand und du wirst seine Energie spüren. Und überleg nur, wie
viele Tiere unter der Erde leben. Wir alle: Menschen, Tiere, Pflanzen existieren
von der Erde und dem, was sie hervorbringt. Doch wir tun vieles dafür, dass es
eines Tages nicht mehr so sein wird. Wenn unser Planet stirbt, stirbt auch
alles was auf, in und unter ihm vorhanden ist.“
Kathrin wurde
ganz mulmig zumute. Ihre Mutter hatte sich jetzt richtig in Rage geredet.
„Was nützt es
uns, wenn die Politiker die Katastrophengebiete der Welt besichtigen und den
Handlungsbedarf erkennen, dann jedoch wieder nichts ändern? Alle verheddern
sich in den Gesetzen und Paragraphen die sie selbst gemacht haben. Manchmal
finde ich das Ganze – Entschuldigung – zum Kotzen.“
O weh, jetzt
hatte Mama aber wirklich in die unterste Schublade ihres Vokabulars gegriffen.
„Du hast ja recht,
mein Kind“, versuchte Oma ihre Tochter zu beruhigen, „aber nur zu schimpfen und
nichts zu ändern, das hilft auch niemandem“.
„Da stimme
ich dir zu. Doch wenn wir von Wertschätzung sprechen, sollten wir auch daran
denken, wie wertvoll es ist, dass wir hier im Frieden leben. Wir wissen doch gar nicht, was
es wirklich bedeutet, im Kriegszustand zu leben. Ich bin immer ganz
erschüttert, wenn Menschen von Kriegen berichten. Wie viel Leid und Not mussten
sie ertragen. Alle: Männer, Frauen, Kinder. Manchmal spielen wir zu sehr mit
dem Feuer, denke ich. Wie schnell entzündet sich so ein Krieg. Jeden Tag
berichten die Medien darüber. Und weshalb bekriegen sich die Menschen
überhaupt? Weil sie einen anderen Glauben haben, wegen eines Stückchens Land
oder weil ein Irrsinniger es schafft, ein ganzes Volk aufzuhetzen. Wie
leichtsinnig gehen wir miteinander und mit unserer Welt und dem Frieden um.“
„Frieden
beinhaltet noch mehr, als nur den Frieden zwischen den Völkern“, gab Oma zu
bedenken. „Denk an die Kleinkriege, die wir führen, in unseren Familien, mit
den Nachbarn, am Arbeitsplatz. Und da schließt sich wieder der Kreis. Wir
sollten unseren Mitmenschen mehr Wertschätzung entgegen bringen.“
„Ja, das
sollten wir, da gebe ich dir durchaus Recht. Doch andererseits: Bei manchen Menschen
fällt es wirklich nicht leicht.“
Oma ließ den
Satz im Raum stehen und dachte darüber nach. Unsere Lebensaufgaben waren
vielfältig und dazu gehörte sicher auch, andere Menschen so anzunehmen, wie sie
nun mal waren. Was hatte sie zornig, aggressiv oder gar gewalttätig werden
lassen? Die Erziehung, das Umfeld, ihre Weltanschauung, falsch verstandene
Religiosität?
© Martina
Pfannenschmidt, 2015