Von der Schule
nach Hause kommend sah Kathrin aus, wie ein
begossener Pudel. Draußen herrschte ein schreckliches Wetter.
Es war ein regnerischer und
stürmischer Tag, an dem man nicht einmal den Hund vor die Tür schicken mochte.
Und so nieste sie herzhaft, als sie das Zimmer betrat.
„Gesundheit!“,
rief Oma. Sie hatte es besser als Kathrin. Sie konnte in der warmen Stube
sitzen, doch ihre Enkelin musste bei jedem Wetter aus dem Haus. Aber natürlich
hatte auch Oma all dies mitgemacht, als sie noch ein Kind war und zur Schule
ging.
„Danke!“,
antwortete Kathrin.
„Wie war es heute
im Unterricht?“
„Eigentlich
war alles okay. Das Diktat ist gut ausgefallen. Ich habe sogar eine zwei
bekommen.“
„Na, dazu
gratuliere ich dir herzlich“, erwiderte Oma und wartete geduldig ab. Sie bemerkte
nämlich, dass Kathrin noch etwas auf dem Herzen hatte.
„Du Omi, du
kennst doch Maren, meine beste Freundin“, fuhr Kathrin fort. „Marens Hamster ist
gestorben und nun ist sie ganz traurig und ich bin es auch ein wenig. Ich habe
versucht sie zu trösten, doch ich wusste gar nicht was ich ihr sagen sollte,
damit die Traurigkeit wegging. Warum passieren immer wieder Sachen die uns
traurig machen?“
„Eine Frage,
liebe Kathrin, die gar nicht so leicht zu beantworten ist. Ich will es
versuchen. Du sagst, es passieren immer wieder Sachen die uns traurig machen.
Ja, das stimmt wohl. Aber es geschehen auch immer wieder Dinge die uns fröhlich
machen, nicht wahr.“
Kathrin
stimmte zu.
„Weißt du, wenn
es keine Traurigkeit gäbe, könnten wir die Fröhlichkeit gar nicht als solche
erkennen. Unser Zustand wäre immer gleich bleibend - neutral, könnte man sagen.
Verstehst du mich?“
„Ich versuche
es“, antwortete die Enkelin.
„Pass auf,
ich werde es dir noch anders erklären. Wir hier auf der Erde leben in der Dualität. Das Wort musst du dir noch nicht merken. Wir Erwachsenen
benutzen es um zu sagen, dass alles ein Gegenstück hat. Die Fröhlichkeit hat
als Gegenpart die Traurigkeit, die Dunkelheit die Helligkeit, das Gute hat das
Böse als Gegenstück und so könnte ich dir noch ganz viele Dinge aufzählen.
Alles bedingt einander, verstehst du? Das eine ist ohne das andere gar nicht
möglich.“
„Du meinst,
wir könnten nie fröhlich sein, wenn wir nie traurig wären?“
„Genau“,
freute sich Oma und war stolz auf ihre kluge Enkelin.
„Okay, das
verstehe ich irgendwie. Doch weißt du, was mich noch viel doller traurig
macht?“
„Nein, wie
sollte ich das wissen können?“.
„Es macht
mich traurig, wenn ich daran denke, dass wir alle irgendwann einmal sterben
müssen. So wie jetzt der Hamster von Maren“.
Oma überlegte
eine Weile, bevor sie darauf antwortete.
„Ja, es wird
eines Tages so sein. Schau Kind, alles kommt und geht hier auf der Erde. Die
Blumen zum Beispiel, wachsen aus der Erde, blühen für eine Weile, verwelken und
vergehen. Doch im kommenden Jahr wird die Blume neu austreiben. Wir Menschen
sind ein Teil dieser Natur. Auch wir kommen hierher, bleiben eine Weile und gehen wieder.“
Oma machte
eine kleine Pause und schaute Kathrin an, als sie weiter sprach: „Dass du dir
darum Gedanken machst, erstaunt mich. Es ist in deinem Alter eher ungewöhnlich.
Weißt du, unser wahres Zuhause ist in meinen Augen gar nicht hier auf der Erde,
sondern ganz woanders.“
„Vielleicht
im Paradies?“, warf Kathrin ein. „Kannst
du mir dazu auch etwas erzählen?“
„Ich kann es dir
nur mit meinen einfachen Worten und so, wie ich es verstehe, erklären. Ob es
wirklich so ist wie ich denke, weiß ich natürlich nicht. Pass auf: In der Bibel
wird der Garten Eden als Paradies bezeichnet. Doch vielleicht ist das Paradies gar
kein Ort in dem Sinn. Eventuell empfinden wir ein paradiesisch schönes Gefühl
dort, wo wir uns dann befinden.“
„Ein Gefühl?
Ich dachte, es sei ein schöner Garten mit Bäumen und Früchten. So steht es doch
in der Bibel.“
„Ja“,
bestätigte Oma, „so steht es dort. Die Sprache der Bibel ist jedoch sehr
bildhaft, damit die Menschen der damaligen Zeit es verstehen konnten. Wir haben
heute eine andere Sprache und ein anderes Verständnis. Schau, man darf die
Bibel nicht unbedingt wörtlich nehmen. Man muss überlegen, was es im übertragenen
Sinne bedeuten könnte. Deshalb glaube ich, wenn unsere Seele den Körper
verlässt, darf sie in einem Gefühl leben, das paradiesisch schön ist. Doch ich
denke auch, dass es nicht jeder Seele gegeben ist, so zu fühlen. Die Seelen der
Menschen die bösartig waren, weil sie vielleicht andere bestohlen, gequält oder
getötet haben, die werden dieses Gefühl wohl nicht erreichen. Auch das Paradies
hat ein Gegenstück – und das ist die Hölle. Auch die Hölle ist für mich kein
Ort, sondern ein qualvoller Zustand den die Seele durchleben muss bis der
Mensch seine Taten bereut. Deshalb ist es sehr wichtig, wie wir unser Leben
führen.“
Kathrin
schwieg eine Weile, bevor sie nachdenklich sagte: „Ich finde, ich habe ganz
viel Glück gehabt, weil Mama und Papa mich so doll lieb haben und du und Oma
Grete – ihr habt mich auch lieb. Und ich habe euch auch alle ganz doll lieb –
für immer!“
„Ich werde
euch auch von ganzem Herzen und für immer lieben und ebenso deinen Opa Walter,
der nicht mehr bei uns ist. Ich liebe ihn trotzdem noch. Es ist der Liebe egal,
wo wir uns gerade befinden. Sie kann auch über eine große Distanz hinweg
bestehen und das ist schön. Wir sollten auch nicht traurig sein, sondern
fröhlich. So erreichen wir bereits hier auf der Welt einen paradiesischen Zustand.“
„Ja, Omi,
lass uns einfach fröhlich sein!“
© Martina
Pfannenschmidt 2015