Daniela
öffnete die Tür und betrat die Kneipe,
in der sie sich an diesem Samstagabend mit ihrer früheren Schulfreundin Sabrina
verabredet hatte. Sie sei in der Stadt, hatte sie am Telefon gesagt und würde
sich freuen, wenn sie beide sich kurz treffen könnten.
Daniela
fragte sich in diesem Moment, warum Sabrina gerade diesen Ort dafür gewählt
hatte und was sie ihr wohl zu erzählen hätte.
Es
roch nach Bier und die Männer, die an der Theke hockten, musterten sie unverhohlen
mit ihren Blicken. Wohl fühlte sie sich dabei nicht. Sie suchte sich einen
Platz in der hintersten Ecke. Hier wurde sie nicht sogleich gesehen, hatte aber
eine gute Sicht auf die Eingangstür.
„Was
willst du trinken?“, rief ihr der Kneipier von der Theke aus fragend zu.
„Eine
Cola bitte.“
„Kommt
sofort, junge Frau!“
Daniela
ließ die Tür nicht aus dem Blick. Zum einen, weil sie hoffte, ihre Freundin
würde bald den Raum betreten, zum anderen wollte sie diese Tür nicht aus den
Augen lassen, weil sie die einzige Möglichkeit bot, hier wegzukommen, falls es
irgendwie brenzlig werden sollte. Sie war einfach nicht der Typ, der sich in
einer Kneipe wohl fühlte.
Der
Wirt brachte ihr die Cola an den Tisch und Daniela trank beherzt einen großen
Schluck. Anschließend sah sie auf ihre Armbanduhr. Als sie wieder Richtung Tür
blickte, wurde diese geöffnet. Gott sei Dank. Das war bestimmt Sabrina. Doch es
sollte anders kommen. Im Gegenlicht erkannte Daniela sogleich, dass es sich um
eine männliche Person handelte. Als diese sich galant auf einen Barhocker
setzte, blieb ihr fast das Herz stehen. Das war Markus! Es bestand kein Zweifel
daran. Er war, wie sie, 20 Jahre älter geworden, doch diese Männlichkeit stand
ihm verdammt gut. Er trug einen 3-Tage-Bart und war lässig elegant gekleidet. Schon
damals als Jugendlicher hatte er es verstanden, den Mädchen reihenweise die
Köpfe zu verdrehen. Er war der Mädchenschwarm der Klasse, wenn nicht der ganzen
Schule, gewesen. Es war schon eigenartig, dass ihr Herz schneller zu klopfen
begann, als sie ihn erkannt hatte. Vielleicht würde er sich gar nicht mehr an
sie erinnern. Sie war nicht der Typ gewesen, der ihn umschwärmte. Sie war die,
die ihn heimlich beobachtet, sich aber nie getraut hatte, ihn anzusprechen.
Jetzt war es nicht anders. Sie saß an ihrem Platz und beobachtete ihn. Er trank
den ersten Schluck Bier und wischte sich den Schaum mit dem Handrücken von den
Lippen. In dem Moment fiel sein Blick auf Daniela. Er schaute ihr länger in die
Augen, als es ihr lieb war. Ob er sie doch erkannte? Tatsächlich! Er rutschte
vom Barhocker und kam direkt auf sie zu.
„Hallo,
schöne Frau, so alleine?“, fragte er und fügte eine weitere Frage an: „Darf ich
mich setzen?“
Bevor
Daniela antworten konnte, nahm er ihr gegenüber Platz.
„Markus“,
stellte er sich vor und reichte ihr die Hand.
„Daniela“,
antwortete sie und war gleichzeitig enttäuscht darüber, dass sie als
Jugendliche so wenig Eindruck auf ihn gemacht haben musste. Heute schien das jedoch
anders zu sein. Ihm musste gefallen, was er sah, sonst säße er jetzt nicht
hier. Das kleine Spielchen begann, ihr Freude zu machen.
„Lass
mich raten“, meinte er: „Du wartest
hier auf jemanden. Eine so hübsche Frau wie du wird ja nicht alleine sein“. - Das
war dann wohl so etwas, wie eine klassische Anmache.
„So
ist es!“, erwiderte sie kurz und fragte ihrerseits: „Und du? Was hat dich
hierher verschlagen?“
„Frag
nicht, eine Tante feiert heute Geburtstag, ein paar Häuser weiter sitzt die
gesamte Familie beisammen. Mir sind derartige Feste zuwider. Aber was willste machen? Manchmal muss man
Einladungen halt folgen und du,
magst du Familienfeiern?“
„Durchaus.
Ich fühle mich wohl mit all meinen Lieben. Mich macht es glücklich, wenn wir alle beisammen sind.“
„Soso.
Und, hat so eine glückliche Frau wie du Mann und Kinder?“
„Säße
ich dann an einem Samstagabend alleine in einer Kneipe?“, erwiderte sie und war
sich dessen, was sie tat, durchaus bewusst.
Seinem
Gesichtsausdruck entnahm sie, dass ihre Antwort ihm gefiel. Vielleicht machte
er sich Hoffnung, ganz nach dem Motto: Da geht noch was.
„Und
du? Gibt es bei dir Frau und Kinder?“
„Säße
ich dann hier mit dir an diesem Tisch?“
Vielleicht,
dachte sie, sagte es aber nicht.
„Was
denkst du, wollen wir nicht woanders hingehen? Der Abend ist noch jung und du
bist viel zu schön, um hier in der dunklen Kneipe zu versauern. Darf ich dich auf
einen Drink in meinem Hotel einladen? Dort gibt es eine tolle Cocktailbar. Nicht
so miefig wie hier.“
Markus
wusste natürlich um seine Wirkung auf Frauen und schien sich seiner Sache sehr
sicher. Die Tatsache, dass sie offensichtlich auf jemanden wartete, ignorierte
er völlig. Daniela überlegte kurz, wie weit sie dieses Spielchen mitmachen
wollte, als er sie drängte: „Wie schaut’s aus, wollen wir?“
Just
in dem Moment öffnete sich die Tür und Sabrina betrat mit einem: „Hallo
zusammen!“, den Schrankraum. So war sie, wo immer sie auftauchte, stand sie im
Mittelpunkt.
Daniela
hob den Arm, um auf sich aufmerksam zu machen. Sabrina kam schnellen Schrittes
auf sie zu, stoppte dann jedoch abrupt, als sie sah, dass Daniela nicht alleine
am Tisch saß. Sabrinas Blick entnahm Daniela, dass ihre Freundin Markus
ebenfalls sofort erkannt haben musste.
„Ich
fasse es nicht!“, rief Sabrina aus. „Ich suche dich überall und du sitzt hier
mit meiner Freundin am Tisch.“
„Mit
deiner Freundin?“, fragte er und schaute von einem zum anderen.
„Ja
klar! Das ist doch Daniela. Sag nicht, dass du sie nicht erkannt hast. Wir
gingen doch alle in die gleiche Schule. Du warst zwei Klassen über uns. Aber da
frage ich mich doch: Was machst du an ihrem Tisch, wenn du sie nicht einmal
erkannt hast und warum bist du überhaupt abgehauen?“
Sabrina
sah Markus mit blitzenden Augen an.
„Ihr
seid ein Paar?“, fragte Daniela.
„Ja,
genau das wollte dir heute Abend erzählen“, zischte Sabrina, „doch im Moment
bin ich mir nicht so sicher, ob wir es gleich immer noch sind.“
©
Martina Pfannenschmidt, 2017