Freitag, 10. November 2017

Spiel mit dem Feuer

Daniela öffnete die Tür und betrat die Kneipe, in der sie sich an diesem Samstagabend mit ihrer früheren Schulfreundin Sabrina verabredet hatte. Sie sei in der Stadt, hatte sie am Telefon gesagt und würde sich freuen, wenn sie beide sich kurz treffen könnten.
Daniela fragte sich in diesem Moment, warum Sabrina gerade diesen Ort dafür gewählt hatte und was sie ihr wohl zu erzählen hätte.
Es roch nach Bier und die Männer, die an der Theke hockten, musterten sie unverhohlen mit ihren Blicken. Wohl fühlte sie sich dabei nicht. Sie suchte sich einen Platz in der hintersten Ecke. Hier wurde sie nicht sogleich gesehen, hatte aber eine gute Sicht auf die Eingangstür.
„Was willst du trinken?“, rief ihr der Kneipier von der Theke aus fragend zu.
„Eine Cola bitte.“
„Kommt sofort, junge Frau!“
Daniela ließ die Tür nicht aus dem Blick. Zum einen, weil sie hoffte, ihre Freundin würde bald den Raum betreten, zum anderen wollte sie diese Tür nicht aus den Augen lassen, weil sie die einzige Möglichkeit bot, hier wegzukommen, falls es irgendwie brenzlig werden sollte. Sie war einfach nicht der Typ, der sich in einer Kneipe wohl fühlte.
Der Wirt brachte ihr die Cola an den Tisch und Daniela trank beherzt einen großen Schluck. Anschließend sah sie auf ihre Armbanduhr. Als sie wieder Richtung Tür blickte, wurde diese geöffnet. Gott sei Dank. Das war bestimmt Sabrina. Doch es sollte anders kommen. Im Gegenlicht erkannte Daniela sogleich, dass es sich um eine männliche Person handelte. Als diese sich galant auf einen Barhocker setzte, blieb ihr fast das Herz stehen. Das war Markus! Es bestand kein Zweifel daran. Er war, wie sie, 20 Jahre älter geworden, doch diese Männlichkeit stand ihm verdammt gut. Er trug einen 3-Tage-Bart und war lässig elegant gekleidet. Schon damals als Jugendlicher hatte er es verstanden, den Mädchen reihenweise die Köpfe zu verdrehen. Er war der Mädchenschwarm der Klasse, wenn nicht der ganzen Schule, gewesen. Es war schon eigenartig, dass ihr Herz schneller zu klopfen begann, als sie ihn erkannt hatte. Vielleicht würde er sich gar nicht mehr an sie erinnern. Sie war nicht der Typ gewesen, der ihn umschwärmte. Sie war die, die ihn heimlich beobachtet, sich aber nie getraut hatte, ihn anzusprechen. Jetzt war es nicht anders. Sie saß an ihrem Platz und beobachtete ihn. Er trank den ersten Schluck Bier und wischte sich den Schaum mit dem Handrücken von den Lippen. In dem Moment fiel sein Blick auf Daniela. Er schaute ihr länger in die Augen, als es ihr lieb war. Ob er sie doch erkannte? Tatsächlich! Er rutschte vom Barhocker und kam direkt auf sie zu.
„Hallo, schöne Frau, so alleine?“, fragte er und fügte eine weitere Frage an: „Darf ich mich setzen?“
Bevor Daniela antworten konnte, nahm er ihr gegenüber Platz.
„Markus“, stellte er sich vor und reichte ihr die Hand.
„Daniela“, antwortete sie und war gleichzeitig enttäuscht darüber, dass sie als Jugendliche so wenig Eindruck auf ihn gemacht haben musste. Heute schien das jedoch anders zu sein. Ihm musste gefallen, was er sah, sonst säße er jetzt nicht hier. Das kleine Spielchen begann, ihr Freude zu machen.
„Lass mich raten“, meinte er: „Du wartest hier auf jemanden. Eine so hübsche Frau wie du wird ja nicht alleine sein“. - Das war dann wohl so etwas, wie eine klassische Anmache.
„So ist es!“, erwiderte sie kurz und fragte ihrerseits: „Und du? Was hat dich hierher verschlagen?“
„Frag nicht, eine Tante feiert heute Geburtstag, ein paar Häuser weiter sitzt die gesamte Familie beisammen. Mir sind derartige Feste zuwider. Aber was willste machen? Manchmal muss man Einladungen halt folgen und du, magst du Familienfeiern?“
„Durchaus. Ich fühle mich wohl mit all meinen Lieben. Mich macht es glücklich, wenn wir alle beisammen sind.“
„Soso. Und, hat so eine glückliche Frau wie du Mann und Kinder?“
„Säße ich dann an einem Samstagabend alleine in einer Kneipe?“, erwiderte sie und war sich dessen, was sie tat, durchaus bewusst.
Seinem Gesichtsausdruck entnahm sie, dass ihre Antwort ihm gefiel. Vielleicht machte er sich Hoffnung, ganz nach dem Motto: Da geht noch was.
„Und du? Gibt es bei dir Frau und Kinder?“
„Säße ich dann hier mit dir an diesem Tisch?“
Vielleicht, dachte sie, sagte es aber nicht.
„Was denkst du, wollen wir nicht woanders hingehen? Der Abend ist noch jung und du bist viel zu schön, um hier in der dunklen Kneipe zu versauern. Darf ich dich auf einen Drink in meinem Hotel einladen? Dort gibt es eine tolle Cocktailbar. Nicht so miefig wie hier.“
Markus wusste natürlich um seine Wirkung auf Frauen und schien sich seiner Sache sehr sicher. Die Tatsache, dass sie offensichtlich auf jemanden wartete, ignorierte er völlig. Daniela überlegte kurz, wie weit sie dieses Spielchen mitmachen wollte, als er sie drängte: „Wie schaut’s aus, wollen wir?“
Just in dem Moment öffnete sich die Tür und Sabrina betrat mit einem: „Hallo zusammen!“, den Schrankraum. So war sie, wo immer sie auftauchte, stand sie im Mittelpunkt.
Daniela hob den Arm, um auf sich aufmerksam zu machen. Sabrina kam schnellen Schrittes auf sie zu, stoppte dann jedoch abrupt, als sie sah, dass Daniela nicht alleine am Tisch saß. Sabrinas Blick entnahm Daniela, dass ihre Freundin Markus ebenfalls sofort erkannt haben musste.
„Ich fasse es nicht!“, rief Sabrina aus. „Ich suche dich überall und du sitzt hier mit meiner Freundin am Tisch.“
„Mit deiner Freundin?“, fragte er und schaute von einem zum anderen.
„Ja klar! Das ist doch Daniela. Sag nicht, dass du sie nicht erkannt hast. Wir gingen doch alle in die gleiche Schule. Du warst zwei Klassen über uns. Aber da frage ich mich doch: Was machst du an ihrem Tisch, wenn du sie nicht einmal erkannt hast und warum bist du überhaupt abgehauen?“
Sabrina sah Markus mit blitzenden Augen an.
„Ihr seid ein Paar?“, fragte Daniela.
„Ja, genau das wollte dir heute Abend erzählen“, zischte Sabrina, „doch im Moment bin ich mir nicht so sicher, ob wir es gleich immer noch sind.“


© Martina Pfannenschmidt, 2017