Hannelore
stand in ihrem Schlafzimmer vor dem Kleiderschrank. Was sollte sie nur
anziehen? Der Schrank war wirklich bis zum Bersten voll, doch sie konnte sich
einfach nicht entscheiden. Wie auch? Dieser Fall war ja völlig neu. Nie zuvor
hatte sie auf eine Kontaktanzeige geantwortet, doch ganz nach dem Motto: ‚Einmal
ist immer das erste Mal’, hatte sie es diesmal getan. Und nun stand sie hier, war
ein bisschen weich in den Knien und wusste nicht weiter. Hätte sie doch bloß
nicht … aber sie konnte ja immer noch, wenn sie wollte, einen Rückzieher
machen. Aber nein, so ein Angsthase war sie ja nun auch wieder nicht. Was sie
begann, zog sie auch durch. Zielsicher schnappte sie sich ihre Lieblingsbluse
und eine weiße Hose. Damit konnte sie nichts falsch machen. So war sie weder
overdressed, noch das Gegenteil. Das würde schon passen und überhaupt. Seit
wann legen Männer Wert auf Kleidung und wenn, würde sie an eine besondere
Spezies geraten.
Aufgeregt
war sie schon, das musste sie zugeben. Im ‚Amtsschimmel’ wollten sie
sich treffen. Das war ein alteingesessenes Gasthaus in der nahe gelegenen
Kleinstadt. Einmal war sie bisher dort gewesen, mit ihrer Freundin Gisela. Damals
hatten sie ein Schnitzel mit Bratkartoffeln gegessen, die ein bisschen zu salzig gewesen waren. Sie überlegte kurz, wie lange das schon zurück lag, aber
das war ja jetzt auch völlig egal, heute ging es ja gar nicht ums Essen. Heute
ging es ja um die Liebe oder zumindest um einen netten Herrn, mit dem sie hin
und wieder Ausflüge machen oder auf Konzerte gehen wollte. So alleine machte
das einfach keine Freude. Sie wollte ja nicht mit ihm zusammen ziehen, nein,
das auf gar keinen Fall, sie war ihre Freiheit gewohnt, lebte schon immer
alleine, doch jetzt, wo sie Rentnerin war, kam doch das Verlangen in ihr auf,
hin und wieder an der Seite eines Mannes durchs Leben zu gehen.
Hannelore
trug einen knallroten Lippenstift auf, der exakt die Farbe ihrer Bluse hatte.
Sie drehte sich vor dem großen Spiegel hin und her und war recht zufrieden mit
dem, was sie dort sah. Sie war ja auch noch nicht alt und runzlig, nein sie war
noch recht knackig. Hoffentlich war Er kein Stinkstiefel. So einen konnte sie
nicht gebrauchen und einen dicken Bierbauch müsste er auch nicht zwingend haben.
Hoffentlich kommt er nicht in kurzer Hose mit Socken und Sandalen, ging es ihr
durch den Kopf. Also das ging gar nicht. Dann würde sie gleich Reißaus nehmen.
Sie
nahm ihre Handtasche und drehte sich suchend um. Hatte sie etwas vergessen? Nein, sie glaubte nicht. Schnell nahm sie
den Autoschlüssel vom Haken und machte sich auf den Weg. Sie liebte Abenteuer
und dies schien ihr ein ganz besonderes zu werden.
Bald
darauf betrat Hannelore das Lokal. Bisher waren nur wenige Plätze besetzt. Kein
einzelner Herr war zu sehen. Im selben Moment fuhr ihr der Schreck in alle Glieder. Sie hatte doch etwas vergessen. Sie sollte doch
als Erkennungszeichen eine gelbe Rose in Händen halten. So hatten sie vereinbart.
Aber so schlimm war es nun auch wieder nicht. Sie würden schon zueinander
finden, wenn es so bestimmt war.
„Haben
sie reserviert?“, wurde sie von dem netten Kellner gefragt. „Nein, nein, ich
hätte aber gerne einen Tisch für 2 Personen. Der Herr wird wohl gleich kommen“,
erwiderte Hannelore.
Der
Kellner wies ihr einen Platz zu. Direkt am Fenster. Das war gut. So konnte sie
schon vorher sehen, wer sich auf den „Amtsschimmel“ zu bewegte. Wenn ihr gar
nicht gefiel, was sie sah, könnte sie ja immer noch durch den Hinterausgang
verschwinden.
Hannelore
bestellte sich ein Glas Wasser. Wein würde sie erst später trinken – oder auch
nicht, je nachdem, wem sie heute begegnete. Ach, irgendwie war das Ganze doch
ganz schön aufregend.
Als
sie den ersten Schluck nahm, traute sie ihren Augen kaum. Die Schnepfe aus dem
Erdgeschoss kam direkt auf das Lokal zu. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.
Ilse war die größte Tratsche, die sie kannte. Wenn die sie hier mit einem Mann
sehen würde, wüsste das spätestens morgen die halbe Nachbarschaft. Aber wenn
schon, dann war es halt so. Sie hatte ja nichts zu verbergen.
Ilse
betrat den Raum, aber was hielt sie denn da in der Hand? Das war unverkennbar
eine rote Rose. Eine rote Rose? Was hatte das denn zu bedeuten?
Hannelore
hatte wirklich großes Glück. Ilse schaute nicht in ihre Richtung, sondern nahm
an einem Tisch in der anderen Ecke des Raumes Platz. Na, das war ja noch einmal
gut gegangen. – Aber die rote Rose wollte Hannelore so ganz und gar nicht aus
dem Kopf gehen. Ilse würde doch nicht etwas …
Wieder
kam jemand auf das Lokal zu. Diesmal war es ein Mann. Hannelores Herz setzte
für einen Moment aus. Sie konnte wirklich jedem, der ein Abenteuer suchte, nur
raten, einmal auf eine Kontaktanzeige zu antworten. Das war spannender als
jeder Krimi. Der Mann sah recht nett aus. Ja, der könnte ihr gefallen und er
trug auch etwas in seiner Hand. War es eine gelbe Rose? Sie konnte es nicht genau
erkennen. Als der Mann den Raum betrat, überlegte sie kurz, ob sie die Hand
heben und auf sich aufmerksam machen sollte, doch sie zögerte. Im selben Moment
ging der Mann zwei Schritte auf sie zu, wendete sich dann jedoch wieder ab.
Hannelore war entsetzt. Er würde doch nicht kneifen oder noch schlimmer, sie
unattraktiv finden und gleich wieder gehen wollen? Noch immer wusste sie nicht,
was sie tun sollte. Auf sich aufmerksam machen oder abwarten? Sie entschied
sich für die letztere Variante. Der Mann verließ das Lokal jedoch nicht,
sondern ging ein paar Schritte weiter in die andere Richtung der Gaststube und
blieb am Tisch von Ilse stehen. Sie erhob sich und er begrüßte sie mit einem
Handkuss und überreichte ihr eine rote Rose. Das war ja unfassbar! Ob die Ilse
heimlich eine Kontaktanzeige aufgegeben hatte? Bestimmt! Das passte zu der
Ilse. Aber sich über andere das Maul zerreißen.
Hannelore
griff zu ihrem Handy. Das musste sie Gisela schreiben. Ihre Freundin kannte die
Ilse aus der Schulzeit. Gisela würde Augen machen, wenn sie ihr davon erzählte,
dass sich die Ilse heimlich mit einem Verehrer traf.
Hannelore
legte das Handy zurück in ihre Handtasche. Es war wirklich schade, dass sie die
beiden von ihrem Platz aus nicht gut sehen konnte. Zu gerne hätte sie die
Situation beobachtet, aber das war ihr einfach nicht möglich. Ob sie sich
umsetzen sollte? Aber dann würde Ilse sie ja auch sehen. Obwohl, das wäre ihr
eigentlich ganz recht.
Hannelore
malte sich in den schillernsten Farben aus, wie peinlich die Situation für Ilse
würde, als ein dicker kleiner Mann mit kurzer Hose, weißen Socken und braunen Sandalen
auf das Lokal zusteuerte. In der Hand hielt er eine gelbe Rose!
©
Martina Pfannenschmidt