Oliver
wartete auf die Jungs, die in ein paar Minuten auftauchen müssten, um ihn zu
seinem Junggesellenabschied
abzuholen. - Noch vor einem halben Jahr war er unsicher gewesen, ob er Jennifer
heiraten sollte. Er wusste noch genau, dass er damals von seinem besten Freund
Tobias folgendes gehört hatte: „Vielleicht kann ich dir helfen! Pass auf, wirf einfach eine Münze! Kopf heißt ‚Ja’ und Zahl
heißt ‚Nein’“. Olli hatte daraufhin empört geantwortet, dass man eine solche
Entscheidung nicht auf diese Weise trifft. Doch Tobi hatte ihm erklärt, wie er
es meinte: „Wirf die Münze mit geschlossenen Augen und frag dich, worüber du
dich mehr freuen würdest, über den Kopf oder über die Zahl?“ – Dieser Tipp war
ungewöhnlich, doch Olli hatte es tatsächlich gemacht und er hätte nicht
gewollt, dass sich die Zahl zeigt. Am darauf folgenden Tag hatte er Jenny einen
Heiratsantrag gemacht und ein ‚Ja’ bekommen. Und nun kam der große Tag immer
näher. In einer Woche würden sie getraut, doch an diesem Tag wollte er zunächst
einmal seinen Abschied aus dem Junggesellendasein ausgiebig feiern.
Hupend
hielt ein Auto vor seiner Haustür. Das waren die Jungs. Marko, Jennys bester
Freund, hatte sich bereit erklärt, zu fahren, weil er nie Alkohol trinkt.
Natürlich waren auch sein bester Freund Tobias dabei und noch ein paar Jungs,
mit denen er schon seit ewigen Zeiten befreundet war. Er würde sich heute noch
einmal so richtig austoben. – Voller
Vorfreude auf einen lustigen Abend lief er nach draußen.
Am
nächsten Tag: Olli öffnete die Augen – aber nur einen kleinen Schlitz breit.
Das Tageslicht brannte in seinen Augen, sein Kopf schmerzte und seine Blase
drückte. Oliver musste sich zunächst sammeln. Was war für ein Tag und warum
ging es ihm so schlecht? Allmählich kam die Erinnerung zurück.
Junggesellenabschied. Genau. Er hatte mit den Jungs gefeiert und viel zu viel
getrunken. Aber wie war er nach Hause gekommen? Er konnte sich nicht erinnern.
Oliver
wollte sich umdrehen und aufzustehen, doch das Bett schwankte bedenklich. War er auf einem Schiff?
Schlagartig riss er die Augen weit auf, als er bemerkte, dass es nicht Jenny
war, die neben ihm lag. Es war Marco! Er lag mit Jennys bestem Freund in dessen
Wasserbett.
Olli
hob die Bettdecke. Er war nackt. Splitterfasernackt – und Marco? Marco war
nicht nur nackt, er war auch schwul! Olli wurde schwindlig. Er würde doch nicht
… mit Marco? ‚Lieber Gott, stieß er ein Stoßgebet gen Himmel: Lass bitte nicht
passiert sein, woran ich gerade denke!’
Um
Marco nicht zu wecken, verhielt sich Olli möglichst leise. Als er endlich stand,
hatte er das Gefühl, zu schwanken. Er wollte in diesem Moment nur eines: So
schnell wie möglich aus dieser mysteriösen Situation heraus.
Er
bestellte sich ein Taxi und ließ sich nach Hause bringen. Ein Gedanke schwirrte
in seinem Kopf: Ob Marco Jenny gegenüber dicht hielt? Zuhause angekommen war er
froh, dass seine Freundin noch nicht zurück war. Er ließ sich in der Dusche
kaltes Wasser über seinen dröhnenden Kopf laufen, doch seine Erinnerung kam
dadurch nicht zurück. Als er aus dem Bad kam, hörte er einen Schlüssel in der
Haustür. Das war Jenny. Wie sollte er sich ihr gegenüber verhalten? Sein
schlechtes Gewissen war riesengroß. Warum nur hatte er sich in eine solch blöde
Situation manövriert? Wenn Jenny davon erfuhr, würde sie vielleicht die
Hochzeit absagen. Er war wirklich der größte Idiot auf Gottes Erdboden.
„Hallo,
mein Schatz“, rief Jenny und drückte Oliver einen Kuss auf den Mund. „Oh mein
Gott, du riechst ja immer noch wie eine Kneipe! Ich werde uns erst einmal einen
Kaffee kochen. Brötchen und Kuchen hab ich grad vom Bäcker geholt. Das wird dir
bestimmt gegen deinen Kater helfen – oder brauchst zu Heringe?“, fragte sie lachend.
„Ich bin auch noch nicht lange zurück“, plauderte sie gelassen weiter, „es war
so toll in diesem Hotel. Wir haben uns total verwöhnen lassen. Das war viel
besser, als irgendwo abzufeiern. Und wie war es bei euch? Habt ihr viel Spaß
gehabt? Erzähl doch mal!“
„Da
gibt es nichts zu erzählen?“, brummte Olli.
„Wie,
da gibt es nichts zu erzählen? Du willst mir doch nicht sagen, dass du den
ganzen Abend und die halbe Nacht mit deinen Freunden gefeiert hast und dass es
nichts zu erzählen gibt.“
Abrupt
drehte sich Jenny zu Olli um. Es war seiner Nasenspitze anzusehen, dass da etwas
nicht stimmte. Er würde sie doch nicht …? Dass könnte sie ihm nicht verzeihen.
„Olli,
hast du mich betrogen?“, fragte sie deshalb rundheraus.
In
dem Moment klingelte es an der Haustür.
„Ich
gehe, aber du wirst mir meine Frage noch beantworten.“
Wutentbrannt
rannte sie zur Tür.
„Hey
Jenny, ich wollte nur schauen, ob dein zukünftiger Ehemann wohlbehalten zuhause
angekommen ist“. Das war unverkennbar die Stimme von Marko. „Er ist nämlich
ohne ein Wort zu sagen gegangen“, ließ er vernehmen, „kein feiner Zug von ihm,
wo er mich die halbe Nacht wach gehalten hat.“
Olli
war so weiß wie die Wand, vor der er stand. Jetzt käme alles heraus. Er hätte
nicht soviel Alkohol trinken sollen! Aber jetzt war es für eine derartige
Einsicht zu spät. Marco würde alles ausplaudern. Er kannte ihn. Marko konnte
nichts für sich behalten.
„Und,
wie geht’s dir?“, fragte Marco und es klang sogar etwas mitfühlend.
„Geht
so“, erwiderte Olli.
Marko
stöhnte: „Also wirklich, mit dir macht man was mit.“
„Was
denn?“, mischte sich nun fragend Jenny ein. „Mein lieber Olli kann sich nämlich
an nichts mehr erinnern.“
„Das
kann ich mir gut vorstellen. Ist ihm im Nachhinein bestimmt alles sehr
peinlich.“
Halt
doch einfach den Mund, dachte Olli.
„Also,
noch einmal mach ich das nicht mit“, meinte Marco und ließ sich theatralisch in
einen Sessel plumpsen. „Die Jungs waren derart betrunken und dein Freund hier
ist besonders negativ aufgefallen. Da jammert er mir die ganze Zeit die Ohren
voll, dass er nicht alleine zuhause sein möchte. Also, was hab ich, gutmütig,
wie ich nun einmal bin, getan? Ich habe ihn zu mir mitgenommen. Aber was macht
er? Anstatt ins Haus zu gehen, rennt er in den Garten und springt in den Teich.
Keine Ahnung, wie er es geschafft hat, sich vorher auszuziehen. Ich hab dann
ein Handtuch besorgt und ihn ins Schlafzimmer bugsiert. Doch nicht genug. Er
stand wieder auf, zog die Nachttischschublade auf und wollte dort hinein … ich
erspare euch Details. Gerade noch rechtzeitig hab ich ihn ins Bad geschoben.
Also, wie gesagt, noch einmal mach ich das nicht mit.“
„Und
sonst“, fragten Jenny und Olli wie aus einem Mund.
„Wie
und sonst? Ja, nichts und sonst! Hat das noch nicht gereicht?“
©
Martina Pfannenschmidt, 2017