Oma, Mama und
Kathrin saßen gemeinsam vor dem Adventskranz, auf dem bereits die 3. Kerze brannte.
Sie genossen die Ruhe dieses Nachmittags, tranken Kaffee und Kakao, aßen selbst
gebackene Plätzchen und plauderten miteinander. Leider wurde diese seltene
Mußestunde durch das Telefon unterbrochen. Eine kurze Zeit später saßen Oma und
Kathrin nur noch alleine im Esszimmer. Mama musste den Wagen ihrer Freundin
abschleppen. Er sprang nicht mehr an.
Kathrin war
ein bisschen traurig darüber, doch sie war alt genug um zu verstehen, dass es
Situationen gab, die es erforderten, auch solch schöne Momente abrupt zu
beenden. So unterhielten sich Kathrin und Oma alleine weiter.
„Du Omi,
eigentlich ist die Weihnachtszeit doch eine fröhliche Zeit und gar kein
bisschen traurig.“
„Weshalb
sollte es denn eine bekümmerte Zeit sein?“, erkundigte sich Oma und fand die
Frage ein bisschen merkwürdig.
„Na, weil es
doch ‚Weinachten’ heißt. Und wenn wir weinen, sind wir doch traurig.“
„Oh nein,
Kathrin, das Wort hat nichts mit dem ‚Weinen’ und mit Tränen zu tun. Weihnachten schreibt man doch mit einem ‚h’ in der
Mitte. Diese Tage, an denen wir die Geburt Jesu feiern, wurden als heilig, als
geweiht – also einfach als etwas ganz Besonderes angesehen. Deshalb gab man
ihnen den Namen ‚Weihnachten’ – was geweihte Nächte bedeutet. Und den
Geburtstag von Jesus, den 24. Dezember, bezeichnen wir als den ‚Heiligen Abend’
oder die ‚Heilige Nacht’. Es ist eben etwas ganz Besonderes geschehen und das möchte
man damit zum Ausdruck bringen.“
„Ach so!“,
erwiderte Kathrin. „So ist das! Weißt du noch Omi, als ich ganz klein war?
Damals habe ich noch geglaubt, das Christkind brächte die Geschenke und würde
sie heimlich unter den Tannenbaum legen.
Heute weiß ich es ja besser. Es sind die Erwachsenen, die den Kindern etwas schenken.“
„Ich kann
mich noch gut an dein erstes Weihnachtsfest erinnern. Du schautest mit deinen
großen Augen auf den glitzernden Baum. Und auch meine Kindheit und das
Weihnachtsfest stehen mir vor Augen, als sei es gestern gewesen.“
„Hattet ihr
auch einen Weihnachtsbaum?“
„Na klar
hatten wir auch einen. Aber es gab auch Zeiten, da holten sich die Menschen nur
grüne Zweige ins Haus, weil sie sich einen Baum nicht leisten konnten oder weil
es diese Tradition noch gar nicht gab.“
„Aber warum
machen wir das überhaupt? Warum stellen wir einen Weihnachtsbaum auf?“
„Schau Kind,
die Weihnachtstage fallen in eine sehr dunkle Zeit. Da hatten die Menschen das
Bedürfnis, sich etwas Grünes ins Haus zu holen. Und zu dieser Zeit haben alle
anderen Bäume keine Blätter. Aber die Tanne, die trägt ihr grünes Nadelkleid
auch im Winter.“
Kathrins
Fragestunde war damit noch nicht beendet: „Und weshalb stehen Kerzen darauf und
warum behängen wir ihn mit goldenen Kugeln
und Strohsternen?“
„Wir sagen
doch von Jesus, er sei das Licht der Welt. Und die Kerzen sind das Symbol
dafür. Sie bringen Helligkeit in unsere dunkle Welt – genau wie es Jesus getan
hat. Die Strohsterne wiederum erinnern uns an das Stroh im Stall, in dem Jesus
geboren wurde und das Gold der Kugeln ist ein Symbol für den Himmel. Dort
herrscht keine Dunkelheit, sondern alles erstrahlt hell. Es mag uns wie reines
Gold erscheinen. Manchmal sieht man auch rote Äpfel am Weihnachtsbaum. Sie
erinnern uns an das Paradies. Du kennst ja die Geschichte mit dem Apfel, von
dem Eva aß.“
„Ja klar! Du
Omi, manchmal sagt Mama, dass sie nicht viel von dieser besinnlichen Zeit
spürt.“
„Ja, das ist
so bei uns Erwachsenen. Wir sprechen viel von Besinnlichkeit und Ruhe, die wir
uns für die Vorweihnachtszeit wünschen. Gerne
wollen wir auch mit viel Liebe schenken. Doch wir verzetteln uns in zu
vielen Aktivitäten und Dingen, die vielleicht gar nicht so wichtig und
notwendig wären. Mir scheint, diese Vorfreude auf Weihnachten, dieses Warten
und Staunen, ist den Kindern vorbehalten.“
„Warst du als
Kind auch so sehr aufgeregt und konntest es gar nicht erwarten?“
„Oh ja, ich
war sehr aufgeregt und die Zeit bis zur Bescherung, die zog sich wie Kaugummi.
Man durfte die gute Stube nicht betreten. Dort war ja das Christkind am Werk.
Einmal habe ich versucht, durch das Schlüsselloch zu schauen und das war gar
nicht gut.“
Oma
schmunzelte bei der Erinnerung.
„Ich weiß gar
nicht mehr, wie alt ich war, vielleicht fünf, denke ich. Leise schlich ich über
den Flur und schaute durch das Schlüsselloch. Da sah ich ihn, den wunderschönen
Tannenbaum. Behängt war er mit silbrigem Lametta und ganz viele echte Kerzen
standen auf den Zweigen. Unter dem Baum sah ich eine Puppe. Mein Herz machte
einen Freudensprung. Ich wusste auch schon genau, wie ich sie nennen wollte“,
erinnerte sich Oma. „Irgendwann war es so weit. Meine Schwester Alma und ich
wir mussten, wenn wir die Weihnachtsstube betraten, zunächst ein Gedicht
aufsagen, ein Lied singen oder etwas auf der Blockflöte spielen. Das fand ich
immer ganz furchtbar. Die Geschenke lagen unter dem Baum und wir durften uns
nicht darauf stürzen und sie öffnen. Ich hatte nur Augen für meine Puppe, während ich ein kleines
Gedicht aufsagte. Als wir endlich zu den Geschenken gehen durften, nahm Tante
Alma die Puppe auf den Arm. Ich wurde ganz wütend und sagte:
‚Gib sie her, sie ist für mich!’. Doch ich hatte mich geirrt. Sie trug ein
Kleid mit einer Schürze. In der Schürze lag ein Zettel und darauf stand: ‚Ich heiße
Mimmi und bin für Alma bestimmt!’. Kannst du dir vorstellen, wie traurig ich
damals war. Ich habe sofort begonnen, ganz bitterlich zu weinen. Vor lauter
Tränen in den Augen konnte ich gar nicht sehen, dass in der anderen Ecke auf
einem kleinen Puppenstuhl noch eine Puppe saß. Sie war etwas kleiner. Auch
diese Puppe hatte ein Schildchen dabei. Und darauf stand: ‚Ich heiße Monika und
bin für Sophie bestimmt!’. Da war ich wirklich glücklich.“
„Oje!“
Kathrin zeigte viel Verständnis für die damalige Lage ihrer Oma.
„Aber das war
noch gar nicht der Schluss der Geschichte. Als ich nämlich am nächsten Morgen
wach wurde, konnte ich ein Auge nicht mehr öffnen. Es war genau das, mit dem
ich am Vortag durch das Schlüsselloch geschaut hatte. Und nun zeigte sich genau
an dem Auge eine Bindehautentzündung. Und da dachte ich mir, das Christkind
wollte mich bestrafen, weil ich es gestört hatte mit meinem Blick durch das
Schlüsselloch. Deshalb habe ich es niemals wieder getan“.
Kathrin
lachte über Omas Aussage, stopfte sich ein weiteres Plätzchen in den Mund und
nuschelte: „Kleine Sünden bestraft der liebe Gott eben sofort!“
© Martina
Pfannenschmidt, 2015