„Wenn der weiße Flieder
wieder blüht…“
Ach war das herrlich, dieses alte Lied wieder einmal zu hören. Helga schwelgte
in Erinnerungen, stimmte immer dann ein, wenn es um den weißen Flieder ging und tanzte mit ihrem
Staubtuch bewaffnet durch die Wohnung.
„Warum
knurrst du mich an?“, fragte sie
ihren Hund, „Mama tanzt doch nur.“
Als
sich der kleine Mischling namens Prinz hinter das Sofa verkroch, weil ihm das
Verhalten seiner Halterin doch ein wenig unheimlich war, lockte Helga ihn mit
einem Leckerli wieder hervor, nahm ihn hoch, sprach beruhigend auf ihn ein,
streichelte ihm währenddessen das Köpfchen und setzte ihn anschließend zurück
auf den Boden.
„So,
mein Schätzelein, jetzt muss Mama aber weitermachen. Morgen ist nämlich Muttertag. Da besuchen die Kinder ihre
Mütter. Da soll es doch ordentlich sein, wenn der Harald kommt. Einen Obstboden
backe ich gleich auch noch. Den mag mein Junge besonders gerne und Jan und
Elias, meine Enkel, mögen ihn auch. Ach, wie ich mich freue. Ich hab die beiden
schon so lange nicht mehr gesehen. Hoffentlich kommen sie auch mit. Inzwischen
sind sie ja schon 18 und 20. Was meinst du, Prinz, werden sie ihre Oma besuchen?“
Der
Hund sah sein Frauchen mit schiefem Köpfchen schweigend an.
Helga
war ein wirklich liebenswerter, doch sehr mitteilsamer
Mensch. Wenn kein anderer da war, sprach sie unentwegt mit ihrem Hund. Vielleicht
war er auch der perfekte Gesprächspartner für sie, weil er niemals antwortete und
schon gar nicht widersprach.
Einige
Zeit später war alles picobello sauber und der Kuchen stand zum Abkühlen auf
der Küchenablage. Belegen würde sie ihn erst morgen mit Pfirsichen, Bananen und
Mandarinen.
„Weißt
du, Prinz, mein Harald würde mich bestimmt viel öfter besuchen kommen, wenn es seine
Frau nicht gäbe. Manchmal denke ich, Marlies ist irgendwie eifersüchtig auf
mich. Bevor mein Junge sie geheiratet hat, war er ein fröhlicher Mensch. Immer
hatte er so ein spitzbübisches
Lächeln um seinen Mund. Das hat er seither nicht mehr. Ich weiß nicht.
Vielleicht ist er gar nicht glücklich in dieser Beziehung. Aber mir würde er
das ja sowieso nicht sagen. Er will ja nur nicht, dass ich mir Sorgen mache.
Aber die mache ich mir. Du kannst mir glauben, es ist wirklich nicht so
einfach, wenn man älter wird. Man fühlt sich oft unverstanden und einsam. Wie
gut, dass ich wenigstens dich bei mir habe, mein Prinzchen.“
Schon
nahm sie ihren Hund wieder auf den Arm und drückte ihm einen dicken Kuss auf
sein Haupt.
Am
Sonntagmorgen stand Helga früh auf. Voller Erwartung auf einen fröhlichen Tag
belegte sie den Obstboden. Immer wieder sah sie auf die Uhr. Es war schon eigenartig,
dass die Zeit nicht vergehen wollte. Irgendwann schlug die Uhr jedoch drei.
Jetzt würde es bald klingeln und sie konnte ihren Jungen in ihre Arme
schließen. Bestimmt brachte er ihr einen riesigen Blumenstrauß mit. Das war ihr
aber gar nicht so wichtig. Auch wenn er kein Geschenk brächte, wäre es gut. Die
Hauptsache war doch, dass sie wieder einmal beisammen waren.
Um
halb vier ließ Helga ihren Hund wissen, dass sich ihr Sohn niemals verspäten
würde und dass der Grund für seine Verspätung nur seine Frau sein könne.
Inzwischen
war es bereits kurz nach vier am Nachmittag. Helga saß am Esszimmertisch, den
sie liebevoll gedeckt hatte. Mitten darauf standen der Obstkuchen und die Schlagsahne.
Es sah ganz so aus, als würde Harald nicht kommen, dabei hatte sie doch so fest
mit ihm gerechnet. Zumindest anrufen hätte er können. Er wusste doch, dass sie
am Muttertag mit ihm rechnete. Traurigkeit stieg in ihr auf, die jedoch durch
Prinz und sein leises Wimmern durchbrochen wurde.
„Du
möchtest nach draußen nicht wahr!“
Helga
stand auf, brachte die Schale mit der Schlagsahne in den Kühlschrank, nahm ihre
Jacke und die Leine vom Haken und ging mit ihrem Hund Richtung Friedhof.
Eigentlich war es ja nicht erlaubt, Hunde dorthin mitzunehmen, doch sie konnte zunächst
keine weiteren Besucher entdecken. Deshalb ging sie zielstrebig mit ihrem kleinen
Mischling zum Grab ihres Mannes. Sie musste ihm einfach davon berichten, dass
sie so sehr enttäuscht war vom Verhalten ihres Sohnes.
Kurz
bevor Helga das Grab erreicht hatte, sah sie einen älteren Herrn auf der Bank
gegenüber sitzen. Als er bemerkte, dass sie sich wegen des Hundes abwenden und
wieder gehen wollte, rief er ihr zu. „Kommen Sie nur. Mich stört der Hund
nicht.“ Helga setzte sich neben den Mann und bald kamen sie ins Gespräch. Da
Helga ihr Herz auf der Zunge trug, kannte der Mann schnell ihre Sorgen.
„Wissen
Sie, was ich meiner Frau in diesem Fall gesagt hätte?“, fragte der Fremde und
fuhr sogleich fort: „Weißt du mein Liebes, hätte ich gesagt, du erwartest von
unserem Sohn, dass er dich zum Muttertag besucht, weil das in deinen Augen gut
und richtig ist. Doch er hat vielleicht eine andere Sichtweise auf die Dinge.
Nun bist du unglücklich, weil er deinen Erwartungen nicht entsprochen hat und
fühlst dich als Opfer durch seine Verhaltensweise. Aber schau, wenn du keine
Erwartungen gehabt hättest, wärst du jetzt glücklicher.“
„Aber
er hätte anrufen können“, beharrte Helga.
Der
Mann schmunzelte, als er antwortete: „Wissen Sie, ständig erwarten wir, dass
andere Menschen sich so verhalten, wie wir es möchten. Ganz sicher hat Ihr Sohn
nicht aus böser Absicht heraus gehandelt. Er wird seine Gründe haben. Und wenn
ich das mal so sagen darf, Sie hätten ja auch die Gelegenheit gehabt, sich bei
ihm zu melden. So hätten Sie im Vorfeld klären können, was er am heutigen
Sonntag plant.“
Die
letzten Sätze überhörte Helga geflissentlich und murmelte: „Aber ich bin doch
seine Mutter und liebe ihn.“
„Natürlich.
Alle Mütter lieben ihre Kinder, doch man darf nie die Erwartung haben, dass ein
anderer uns ebenso liebt, wie wir ihn.“
Helga
schreckte hoch, weil jemand laut „Hallo!“ rief und: „Das habe ich mir doch
gedacht, dass ich dich hier finde.“
Winkend
kam Harald näher. „Weißt du eigentlich, dass dein Telefon nicht funktioniert?“,
fragte er. „Ich wollte dich anrufen, bekam jedoch ständig das Besetztzeichen.
Du brauchst dringend ein Handy Mama, damit wir dich jederzeit erreichen können.
Ja und dann gab es auch noch einen Unfall mit Vollsperrung, aber das ist ja jetzt
auch egal. Komm, lass uns nach Hause gehen. Marlies und die Kinder warten dort auf
uns. Du hast doch bestimmt einen Kuchen gebacken!“
„Natürlich
habe ich das, mein Junge! Es ist doch Muttertag!“
©
Martina Pfannenschmidt, 2017