Donnerstag, 30. Juni 2022

Ich glaube, ich …

Unsere Reizwörter: Ferien, Frühstück, flott, fauchen, freuen

Schaut auch bitte, welche Geschichten Regina und Lore zu diesen Reizwörtern eingefallen sind.


Gestern war mein letzter Schultag vor den Ferien. Aber diesmal habe ich mich auf diesen Tag gar nicht so doll gefreut, wie sonst. Nicht, weil ich schlechte Noten bekommen hätte, sondern weil diesmal alles ein bisschen anders war, als sonst.

In diesem Jahr verlassen meine Mitschüler und ich die Grundschule und wir gehen nach den Sommerferien auf andere Schulen. Deshalb mussten wir uns gestern für eine lange Zeit oder vielleicht sogar für immer voneinander verabschieden. Und das fand ich ganz schön blöd, vor allen Dingen deshalb, weil mein bester Kumpel zu einer anderen Schule gehen wird, als ich. Schließlich saßen wir vier Jahre lang nebeneinander und wir kennen uns schon seit unserer Kindergartenzeit und deshalb hatte ich einen dicken Kloß im Hals, als ich ihm Tschüß gesagt habe, obwohl ich ihn beim Fußball trotzdem noch sehen werde.

Ja, und jetzt ist dieser Kloß vom Hals in den Bauch gerutscht und liegt dort wie ein dicker Stein. Warum? Weil ich ziemlich aufgeregt bin, was ich natürlich niemals zugeben würde. Gleich nach dem Frühstück werde ich nämlich zum ersten Mal alleine mit dem Zug fahren. Ich bin bisher überhaupt erst einmal mit einem Zug gefahren, als wir an der Ostsee Urlaub gemacht haben. Damals sind wir mit der ‚Dicken Molly’ gefahren. Das ist so eine alte Dampflok, die sehr langsam, aber ziemlich laut fauchend und schnaufend durch die Straßen des Ortes fährt. Das war zwar auch ganz schön, doch jetzt fahre ich mit einem ICE und Mama sagt, der ist ordentlich flott unterwegs.

Warum ich alleine mit dem Zug fahre? Ich mache eine Woche Urlaub bei meinen Großeltern. Darauf freue ich mich schon sehr, weil eine Woche alleine bedeutet: ohne meine manchmal nervende kleine Schwester und ohne den Stress, den meine Mama macht, weil ich mein Zimmer mal wieder nicht aufgeräumt habe.

Aber irgendwie denke ich: wäre ich bloß schon da! Doch das sage ich natürlich niemandem. Ich bin ja keine Memme. Schließlich werde ich bald 11. Da schafft man das. Das hat Papa mir gestern Abend auch noch mal gesagt. Das ist wohl so eine Jungssache, dass man stark und tapfer sein soll. Aber so einfach ist das gar nicht.

Ich will ja jetzt nicht petzen, aber ich glaube, Papa hätte fast geweint, als er mir gestern Abend Tschüß gesagt hat. Er hat zwar so getan, als sei ihm etwas ins Auge geflogen, aber das habe ich ihm nicht geglaubt. Aber egal! Ich werde gleich mutig in den Zug steigen und das Abenteuer kann beginnen.

Der Abschied von Mama fiel mir eben ganz schön schwer. Und ihr auch. Aber das ist okay! Mama ist ja schließlich ein Mädchen und die dürfen auch mal weinen. Ich habe natürlich nicht geweint.

Inzwischen ist der Stein in meinem Bauch auch schon kleiner geworden, denn ich sitze bereits hinten im Auto von Oma und Opa und kann sogar schon ihr Haus sehen. Es ist ziemlich alt und ziemlich groß. Aber ich mag es und Oma und Opa sowieso. Sonst wäre ich ja jetzt gar nicht hier.

„Opa hat heute früh Kirschen gepflückt“, erzählt mir Oma, „wenn du Lust hast, kannst du mir gleich beim Marmelade kochen helfen.“

„Du kannst aber auch zuerst einmal einen kleinen Spaziergang mit Kalle machen“, schlägt Opa vor.

Genau in dieser Reihenfolge werde ich in meine Ferien starten.

Kalle ist ein kleiner schwarz-weißer Terrier und er springt vor Freude an mir hoch und möchte mir am liebsten quer über den Mund lecken, als ich mich vor ihm hinknie.

„Wollen wir einen Spaziergang machen?“, frage ich ihn und er bellt ein kurzes ‚Ja’.

Also schnappe ich mir die Leine und wir beiden gehen einen Feldweg entlang. Am Feldrand rechts und links von mir stehen leuchtend rote Mohnblumen und blaue Kornblumen. Vielleicht pflücke ich Oma auf dem Rückweg einen Strauß davon. Dass Mohnblumen giftig sind, weiß ich natürlich. Aber über Kornblumen würde sie sich bestimmt freuen.

Am Ende der Felder biege ich nach rechts ab und sehe ein Mädchen auf mich zukommen, das ebenfalls einen Hund an der Leine führt. Ihre langen weizenblonden Haare wehen dabei im Wind und als sie näher kommt und mich anlächelt, sehe ich, wie ihre supergeile Zahnspange aufblitzt.

Wow, was passiert denn in diesem Moment, wo sie mir gegenübersteht und die beiden Hunde sich freudig begrüßen, in meinem Bauch? Der kleine Stein der da immer noch so schwer lag, bekommt plötzlich Flügel. Es ist, als würde er abheben.

„Hallo“, spricht sie mich an, „bist du Elias?“

Ihre Augen, die mich wie zwei funkelnde Sterne anschauen, sind so blau wie der Himmel über uns. Ich kann gar nichts sagen, nicke nur.

„Ich bin Leni und wohne mit meiner Mutter für eine Woche in der Ferienwohnung deiner Großeltern. Deine Oma hat mir vorhin erzählt, dass du heute zu Besuch kommst und da du Kalle an der Leine hast, vermutete ich, dass du es bist.“

Was macht dieses Mädchen mit mir? Ich bin völlig verwirrt und das schlimmste: ich kann nicht reden. Kein Wort kommt aus meinem Mund, obwohl ich sonst eigentlich immer quatsche.

„Wollen wir vielleicht ein Stück zusammen gehen?“, fragt sie weiter.

„Okay!“, antworte ich und bin froh, dass ich dieses Wort sagen kann.

Dieses Mädchen ist so anders, als die Mädchen aus meiner Klasse - und sie riecht so gut. Ich glaube, nach Vanille oder so.

„Wollen wir nachher zusammen ins Freibad gehen?“, möchte sie von mir wissen und ich antworte so cool wie möglich: „Können wir machen!“

Wie gut, dass sie nicht sehen kann, wie laut mein Herz dabei klopft. Was ist nur los mit mir, frage ich mich noch einmal. Und dann kommt ein Gefühl auf mich herab, wie warmer Sommerregen: Ich glaube, ich … habe mich verliebt!

 

© Martina Pfannenschmidt, 2022


Diese Geschichte nimmt an Elkes 'froher und kreativer Linkparty' teil.

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2 Kommentare:

  1. Guten Morgen liebe Martina, ich bin früh dran und darüber bin ich ganz froh, denn so starte ich mit einer so schönen Geschichte in den Tag. Am Ende habe ich mich total gefreut über das, was da passierte und dann ist mir etwas ins Auge geflogen ... weißt schon, ne?
    Hab einen schönen Tag und danke für die schöne Geschichte
    Regina

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    1. Guten Morgen! Ja, du bist ja wirklich früh dran, heute! Aber es soll ja auch heiß werden. - Dank dir für deinen Besuch und den Kommentar! - Ich hoffe, dass du keine weiteren Sehbeeinträchtigungen durch meine Geschichte hast. Lach!!! - Ganz liebe Grüße! Martina

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