Julia ging zum Trockner und entnahm ihm die
getrocknete Wäsche. Als sie diese faltete, lief im Hintergrund ihre
Lieblings-CD und Julia sang textsicher mit.
Als sie ins Schlafzimmer ging, um ihre Wäsche in
den Schrank zu legen, änderte sich ihre gute Laune schlagartig. Ihr
Kleiderschrank war übervoll. Sie wusste schon gar nicht mehr, wohin mit all
ihren Klamotten. Sie müsste dringend ausmisten. Aber das war gar nicht so
einfach, schließlich verband sie mit vielen Kleidungsstücken eine Erinnerung.
Versonnen nahm sie das rote Kleid aus dem Schrank.
Sie hatte es getragen, damals, als sie Lukas auf frischer Tat ertappt hatte.
Und schon waren nicht nur die negativen Bilder aus jenen Tagen in ihrem Kopf,
sondern auch die dazugehörigen Gefühle.
Zwei Jahre war das jetzt schon her und doch tat es
immer noch weh. Sie hängte das Kleid wieder zurück.
Julia nahm den schwarzen Hosenanzug heraus. Immer
wenn sie ihn sah, stiegen Tränen in ihre Augen. Mit ihm verband sie die
Erinnerung an die Beerdigungen ihrer Großeltern – und genau das Gefühl löste er
bei ihr aus: Traurigkeit! Auch ihn hängte sie zurück.
Julia griff nach einem bunten Minirock und wieder
veränderten sich ihre Gefühle. Mit ihm verband sie einerseits Sommer, Sonne,
Urlaub und fröhliche Tage am Meer, doch andererseits war sie ihm schon lange
entwachsen. Er passte einfach nicht mehr. Auch ihn hängte sie zurück.
Sie stopfte die gewaschene Wäsche noch irgendwie
in ihren Schrank hinein und machte ihn schnell wieder zu. Weg mit all den Gedanken,
Erinnerungen und Emotionen, die durch manche Kleidungsstücke ausgelöst wurden.
Dass das nicht wirklich die Lösung war, war ihr
schon bewusst und auch die Tatsache, dass sie durch all die alten Dinge unverarbeitete
Verletzungen und nicht abgeschlossene Verbindungen immer und immer wieder mit
Energie versorgte. Sie wusste aber auch nicht, wie sie das ändern konnte.
Als sie sich auf ihr Sofa plumpsen ließ, ging ihr
durch den Kopf, dass sich im Laufe ihres Lebens genau so viele negative
Emotionen in ihrem Kopf angesammelt hatten, wie Kleidungsstücke in ihrem
Schrank.
Und eigentlich ging es auch gar nicht um die
Kleidung, von der sie sich verabschieden müsste, sondern es ging um die
Menschen, die sie damit verband. Die konnte sie nicht loslassen.
Unvermittelt sah sie sich in ihrem Geiste als
kleines Mädchen über eine grüne Wiese hüpfen. Damals gab es noch keine
Verletzungen und auch keine schmerzvollen Erinnerungen.
Als Kind
kannte sie noch keine schlaflosen Nächte und auch keine Ängste vor der Zukunft.
Als kleines Mädchen hatte sie stets im Hier und Jetzt gelebt.
Wie schön
wäre es, wieder so zu sein. So voller Vertrauen, dass alles gut ist, wie es
ist. Wann und wodurch war ihr dieses Vertrauen eigentlich abhanden gekommen?
Das Handy
riss sie aus ihren Gedanken, als sie eine Nachricht von Steffi erhielt: „Hi,
Julia, was machst du gerade?“
„Grübeln!“,
schrieb sie zurück und setzte einen Smiley dazu.
Es dauerte
nicht lange und ihre Freundin rief an.
„Du
grübelst“, fragte sie, ohne sich zu melden, „worüber?“
Julia
erzählte ihrer besten Freundin von ihrem Vormittag und von all den negativen
Gedanken und Emotionen.
„Hm, also,
das kenne ich so nicht“, meinte diese selbstbewusst. „Ich verabschiede mich einfach
schneller von Dingen und Menschen, als du. Ich glaube, du musst einfach
akzeptieren, wenn etwas zu Ende ist.“
„Du kannst
das vielleicht, ich eben nicht“, antwortete Julia patzig.
„Das weiß
ich doch. Aber ich weiß auch, dass dir letzten Endes gar nichts anderes übrig
bleibt, als Dinge, die sich nicht mehr ändern lassen, anzunehmen und zu
akzeptieren, dass es so ist. – Schau, wenn dein Auto eine Beule hat, dann hat dein
Auto eine Beule und wenn du einen Pickel auf der Nase hast, dann hast du einen
Pickel auf der Nase.“
Immer noch
sträubte sich alles in Julia: „Das klingt ganz schön banal, weißt du das“, erwiderte
sie deshalb patzig.
„Mag sein,
aber ich denke, mit Entscheidungen ist es nichts anderes. Wenn wir eine
schwierige Entscheidung zu treffen haben, dann haben wir eine schwierige
Entscheidung zu treffen. Und wenn wir uns von etwas verabschieden müssen, ja
dann müssen wir uns halt von etwas verabschieden.“
„So wie du
das sagst, klingt alles so einfach“, beschwerte sich Julia.
„Okay,
dann stopf deinen Kleiderschrank weiterhin voll mit Dingen, die Emotionen in
dir auslösen. Du könntest alternativ aber auch noch ein bisschen mehr Eis oder
Schokolade essen, dann …“, Steffi biss sich auf die Zunge. Sie wollte ihre
Freundin ja nicht verletzen, ihr nur irgendwie den Kopf zurecht rücken, damit
sie klarer sah.
„Was wird
denn besser dadurch, dass ich etwas Negatives akzeptiere?“, wollte Julia wissen.
„Na, so
wie du das sagst, meine ich das auch gar nicht“, entgegnete Steffi genervt. „Ich
meine eher, wir sollten alles annehmen, was passiert. Verstehst du. Nicht mehr
gegen etwas kämpfen, was sich nicht verändern lässt.“
„Ja, ich
weiß, das berühmte Loslassen!“, erwiderte Julia. „Aber ich hab dann das Gefühl,
einen Teil, der zu mir gehört, zu verlieren.“
Steffi
grübelte.
„Schau
Julia“, meinte sie, „manche Menschen schaffen es ihr Leben lang nicht, damit
klar zu kommen, dass ihr Partner sie verlassen hat. Und andere wiederum trauern
eine Weile, doch dann stehen sie auf, richten ihr Krönchen und leben ihr Leben weiter
und ohne traurigen Blick zurück.“
Julia
schwieg und ließ die Worte ihrer Freundin auf sich wirken.
„Das Leben
lässt sich von uns nicht kontrollieren“, meinte diese, „negative
Erfahrungen und auch Schmerz und Enttäuschungen bleiben keinem erspart. Es geht
immer darum, wie wir darauf reagieren und damit umgehen.“
Nach einer
Weile des Schweigens meinte Julia: „Steffi?!“
„Ja!“
„Hast du
heute Nachmittag schon etwas vor, oder hilfst du mir beim Ausmisten?“
„Bin schon
unterwegs!“
© Martina
Pfannenschmidt, 2019