Bertha
stand mit hängendem Kopf im Stall. Knut, der Bauer, hatte ihr gerade frisches
Heu gebracht und ein paar Worte mit ihr gesprochen. Doch das konnte sie alles
nicht aufmuntern. Ganz im Gegenteil. Das nächste Mal, wenn er sie im Stall
besuchte, würde er sie melken. Allein der Gedanke daran ließ sie erschaudern.
Im
Sommer, ja im Sommer, da war alles viel schöner. Da waren seine Hände von der
schweren Arbeit zwar auch rau, doch wenigstens waren sie warm. Und überhaupt.
Das ließ sich gar nicht miteinander vergleichen. Im Sommer war sie nie allein.
Dann stand sie nämlich nicht, wie jetzt, im Stall, sondern draußen auf der
Weide. Dort hatte sie viele Freunde. Fritz der Maulwurf schaute täglich vorbei
und jede Menge Spatzen. Ab und an hielt sie auch mit einer Weinbergschnecke
einen Plausch. Im Sommer auf der Weide war immer was los. Ja und das Gras mit
den frischen Kräutern schmeckte natürlich viel besser, als das getrocknete, das
sie im Winter bekam.
Bertha
seufzte. Es würde wohl noch einige Monate dauern, bis sich ihr Leben wieder zum
Besseren wende würde. Sie musste halt durchhalten.
Lustlos
kaute sie an ihrem Heu, als unerwartet die Stalltür geöffnet wurde. Es war
Knut, der Bauer, und er war nicht alleine. Er zog etwas hinter sich her, das
wohl nicht gewillt war, ihm zu folgen.
„Nun
komm schon, Helene, ich weiß, dass du lieber in deinem Stall geblieben wärst.
Aber es geht halt nicht. Fritz, dein Bauer, musste ins Krankenhaus und so lange
soll ich mich um dich kümmern. Komm, mach schon. Sei nicht so störrisch, wie
ein alter Esel.“
Bertha
horchte auf! Helene? Wer bitte schön, war das? Noch konnte sie nur Knut
erkennen, aber bald fiel ihr Blick auf eine schneeweiße Ziege. ‚O mein Gott!’,
dachte Berta. ‚Das hat mir gerade noch gefehlt. Eine alte meckernde Ziege!
Womit habe ich das verdient.
Schließlich
ließ sich Helene in die freie Box neben Bertha führen.
Knut
machte die beiden sogar miteinander bekannt, was Bertha wirklich rührte und die
blöde Ziege zum meckern veranlasste.
‚Na,
das kann ja heiter werden’, dachte Bertha.
„Ziemlich
cool hier“, bemerkte Helene, nachdem der Bauer die Stalltür geschlossen hatte.
Bertha
reagierte darauf nicht.
„He,
Bertha, warum sprichst du nicht mit mir?“
Sollte
sie ihr die Wahrheit sagen? Dass sie keine Lust hatte auf ständiges Gemecker,
oder sollte sie ihr zunächst einmal freundlich begegnen?
Bertha
entschied sich, freundlich zu sein.
„Doch,
doch“, beteuerte sie deshalb, „natürlich unterhalte ich mich mit dir. Ich bin
doch froh darüber, endlich jemanden zu haben, mit dem ich reden kann.“
Zum
Teil stimmte ihre Aussage ja. Sie freute sich über Unterhaltung. Bertha hätte
sich halt nur einen anderen Gesprächspartner gewünscht. Einen mit Niveau und
keine dumme Ziege. Aber sie war zu gut erzogen, als ihrer Stallnachbarin dieses
zu sagen.
„Gut!
Das freut mich. Dann auf gute Nachbarschaft.“
Bald
darauf kauten beide an ihrem Heu.
„Ist
langweilig im Winter im Stall, nicht wahr?“, machte Bertha einen Vorstoß.
„Geht
schon!“, erwiderte die Ziege.
Besonders
gesprächig schien sie nicht zu sein.
„Im
Sommer ist alles besser!“, meinte Bertha.
„Nur
in deinem Kopf!“, entgegnete Helene.
Bertha
sah hoch. „Wie meinst du das?“
„Na,
ist doch klar“, sagte die Ziege und es klang ein bisschen überheblich, „wie du
dich fühlst, hängt davon ab, was du denkst.“
Am
liebsten hätte Bertha geantwortet: „Du spinnst doch!“, aber sie ließ sie
zunächst weiter reden. Vielleicht konnte sie ja doch etwas von einer Ziege
lernen.
„Weißt
du“, fuhr Helene fort, „du wirst schon im Herbst traurig, weil du weißt, was auf
dich zukommt. Schließlich kennst du ja schon die Situation im Stall.“
Bertha
nickte: „Ja, ich weiß genau, wie sich das anfühlt.“
„Siehst
du. Das meine ich. Du bewertest die Situation nach deiner bisherigen
Wahrnehmung. Das bedeutet, dass du nicht mehr neutral bist, sondern du urteilst
aufgrund deiner früheren Wahrnehmung schon im Vorfeld.“
Bertha
war platt. Die Ziege hatte es echt drauf.
„Du
meinst, es sind meine Gedanken, die bewerten, dass es im Stall schlecht ist.“
„Genau.
Du fühlst dich dann genau so, wie du es dir in deinen Gedanken ausmalst. Im
Sommer produziert dein Gehirn Glücksgefühle. Das bedeutet also, dass dein
Gehirn dein Fühlen beeinflusst.“
„Soll
das heißen, ich muss nur meine Gedanken ändern, und schwupps, fühle ich mich
auch im Winter im Stall glücklich?“
„Bingo!
Du hast es erfasst. Es liegt an dir selbst, ob du traurig oder glücklich bist.
Wir können unsere Gefühle in gewisser Weise mit unseren Gedanken steuern. Es
kommt immer auf unsere Bewertung einer Situation an. - Schau mich an! Ich bin
jetzt sogar in einem fremden Stall und mir fehlt mein eigener Bauer. Deshalb
bin ich schon ein bisschen melancholisch. - Aber nun bin ich nicht mehr
alleine. Das ist doch ein guter Grund, glücklich zu sein.“
Vielleicht
hatte Helene recht mit dem, was sie sagte. Bertha wollte es versuchen.
Zumindest schien es so, als wären die Tage nicht mehr so arg langweilig und
wenn Knut, der Bauer, Helene das erste Mal melken würde, hätten sie bestimmt
das nächste Gesprächsthema: Die Menschen und ihre rauen, kalten Hände im Winter!
©
Martina Pfannenschmidt, 2019