Samstag, 19. Mai 2018

Oma, Kathrin und das Pfingstfest


Kathrin kam gut gelaunt aus der Schule heim. Kein Wunder, dass sie gut drauf war. Das Pfingstfest stand vor der Tür und außerdem noch eine Woche Ferien.
Natürlich bemerkte Oma die gute Laune ihrer Enkelin sogleich: „Schau mal an. So ein paar freie Tage können einem schon mal ein Lächeln ins Gesicht zaubern, nicht wahr?!“
„So ist es Omilein. Außerdem soll das Wetter gut werden. Das ist doch einfach nur klasse.“
Dem konnte Oma nur zustimmen.
„Wir haben heute in der Schule über Pfingsten gesprochen und darüber, dass viele gar nicht mehr den Grund kennen, warum wir dieses Fest feiern“, erzählte Kathrin. „Also, wenn ich ehrlich bin, hat es mich bisher auch nicht interessiert. Hauptsache frei!“
„Ach Kind, das kann ich gut verstehen. In der heutigen hektischen Zeit sehnt sich die Menschheit einfach nur nach Ruhe.“
„Naja“, warf Kathrin ein, „bei all den Aktivitäten, die viele stattdessen auf dem Plan haben, kann von Ruhe auch nicht die Rede sein. Aber ein Ausgleich zum Alltag ist es allemal.“
Oma schmunzelte. Ihre Kathrin war den Kinderschuhen entwachsen und machte sich ihre eigenen Gedanken. Und das war gut so!
Kathrin kam noch einmal auf das Pfingstfest zu sprechen: „Also, wenn ich ehrlich bin, hatte ich zwar auf dem Schirm, dass Pfingsten 50 Tage nach Ostern gefeiert wird. Doch viel mehr wusste ich nicht. Als wir heute darüber sprachen, dachte ich, dass ich mir das durchaus vorstellen kann, dass die Jünger den Tod von Jesus und seine Auferstehung noch gar nicht richtig verarbeitet hatten. Er wird ihnen ganz schön gefehlt haben und Angst hatten sie bestimmt auch, weil sie nicht wussten, ob auch sie verfolgt werden. Der Gedanke, ebenfalls gekreuzigt zu werden, muss schrecklich für sie gewesen sein.“
Oma nickte. „Man kann sich schwer in die damalige Situation der Jünger hinein versetzen. Doch wenn man es versucht, kann man sich vorstellen, dass sie es vermieden haben, über Jesus und die Auferstehung zu sprechen. Sie gingen zwar zum Erntefest, das 50 Tage nach Ostern stattfand, doch sie waren ängstlich und feierten nicht so fröhlich, wie der Rest. Das kann man sich wirklich gut vorstellen.“
„Aber dann wird es mit der Vorstellung schon wieder schwierig“, warf Kathrin ein. „Ich meine den Moment, wo sie beisammen sind und ein großes Brausen hören.“ Kathrin kicherte: „Also quasi ein Sturm im Haus!“
Oma bestätigte Kathrins Aussage mit einem Lächeln.
„Ja, so wird der Heilige Geist in der Bibel beschrieben. Vorstellen kann man es sich wahrlich schwer. Doch er bewirkt etwas. Er nimmt den Jüngern die Angst.“
„Und dann wird es noch verrückter“, meinte Kathrin, „ als plötzlich über jedem Kopf eine kleine Flamme steht.“
„Vielleicht war das die Flamme der Weisheit“, meinte Oma. „Auf jeden Fall waren die Jünger anschließend nicht mehr verzagt, sondern mutig.“
„Die Flamme der Weisheit könnte ruhig noch einmal zu uns Menschen kommen. Meinst du nicht auch?“
„Gewiss. Besonders zu manchen Menschen, nicht wahr!“
„Also, ich möchte ja keine Namen nennen“, meinte Kathrin verschwörerisch, „aber so einigen Mächtigen dieser Welt täte Weisheit ganz gut.“
Dem war wirklich nichts hinzuzufügen.
„Warum läuft eigentlich so vieles schief?“, wollte Kathrin wissen. „Und warum greift Gott nicht ein und lässt all die Männer, die Kriege anzetteln, einfach von der Bildfläche verschwinden?“
Kathrins Ausdrucksweise ließ hier und da vielleicht noch zu wünschen übrig. Doch sie traf schon den Kern der Sache. Das musste Oma zugeben.
„Dass er dazu in der Lage wäre, steht außer Frage“, erwiderte Oma. „Du musst aber bedenken, dass Gott den Menschen einen freien Willen gegeben hat.“
„Also, ich finde, die Lösung des Problems ist eigentlich ganz einfach“, meinte Kathrin selbstbewusst. „Wenn jeder Mensch einen anderen Menschen so behandeln würde, wie er selbst behandelt werden möchte, wäre doch alles gut.“
Kathrins Aussage war vielleicht kindlich, doch auch hier stimmte die Kernaussage. Aber ein Wort gab es in diesem Satz, das zeigte, dass die Angelegenheit doch nicht ganz so einfach ist.
„Es stimmt im großen und ganzen, was du sagst“, entgegnete Oma. „Doch da ist das kleine Wörtchen ‚eigentlich’ in deinem Satz. Eigentlich ja, aber einige Menschen, die denken und handeln anders.“
„Da läuft doch was schief in deren Köpfen, oder, Omi!“
„Es hat zumindest den Anschein, dass es so ist. Weißt du, manchen Menschen bekommt es nicht, mächtig zu sein. Sie wollen zeigen, wie wichtig sie sind und spielen mit ihrer Macht und das kann ganz schön gefährlich werden.“
„Und wie kann man sie stoppen? Was können wir tun?“
Oma schwieg eine ganze Weile, was Kathrin zeigte, dass die Antwort darauf nicht einfach ist.
„Nicht beängstigen lassen, denke ich. Fest daran glauben, dass alles gut wird. Selbst keine kriegerischen Gedanken hegen. Auch nicht gegen diese Menschen. Wer weiß, vielleicht sind sie tief in ihren Herzen verletzbar und ängstlich und wollen dies mit ihren Drohgebärden überspielen. Wir können nur hoffen und darum bitten, dass Gottes Geist über sie hinweg fegt und sich wie damals zu Jesu Zeiten eine kleine Flamme der Weisheit auf ihre Köpfe setzt, damit sie mutige, aber friedvolle Entscheidungen treffen. Wir dürfen nicht aufhören, darauf zu hoffen und darum zu bitten.“

© Martina Pfannenschmidt, 2018