Heimlich
strickte Hanna an einem kleinen rosa Jäckchen, so, wie sie es früher schon für
ihre Tochter getan hatte. Dazu gehörte noch eine passende Mütze und fertig war
die Ausfahrgarnitur. Ob man diesen Ausdruck heute überhaupt noch benutzte? Egal!
Hanna freute sich riesig auf ihr erstes Enkelkind und die zukünftige Mama
hoffentlich über diese Handarbeiten.
Als
die Haustür aufgeschlossen wurde, versteckte sie das Jäckchen rasch in ihrem
Handarbeitskorb. Einen Moment später lugte Nadine durch die Tür. „Störe ich,
oder trinkst du mit mir einen Kaffee?“
„Natürlich
störst du nicht“, erwiderte Hanna und erhob sich aus ihrem Sessel. „Klar koche
ich uns einen Kaffee. Ich freue mich doch über deinen Besuch.“
„Wie
du weißt, bin ich jetzt im Mutterschutz und deshalb werde ich dich wohl häufiger
besuchen, sonst fällt mir nämlich die Decke auf den Kopf.“
Hanna
lachte: „Schon nach zwei Tagen?“
„Du
weißt doch, dass mir schnell langweilig wird. Immer nur lesen ist nicht meins,
ja und Handarbeiten schon gar nicht. Aber wem erzähle ich das?!“
Als
die beiden Frauen später am Küchentisch saßen und über dies und das plauderten,
waren deutliche Kindsbewegungen zu spüren. Nadine strich daraufhin beruhigend
über ihren Babybauch und meinte: „Die Kleine wird uns auf Trab halten, ich
sag’s dir. Die macht jetzt schon immer Radau.“
„Wenn
sie nach ihrer Mutter schlägt, wird es so kommen!“, entgegnete die zukünftige
Oma und konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.
„Du
willst doch wohl nicht behaupten, dass ich ein Rowdy bin“, erwiderte Nadine und
tat ein bisschen beleidigt.
„Nein,
natürlich nicht. Du weißt, wie ich es meine. Du bist halt gerne in Bewegung und
dagegen ist wirklich nichts einzuwenden. Übrigens sollten wir uns nicht zanken.
Du weißt ja, dass der kleine Wurm bereits mithört.“
„Oh
ja, das weiß ich. Deshalb unterhalte ich mich ganz viel mit der Kleinen und
erzähle ihr von ihrem zukünftigen Zuhause.“
„Hast
du die Tasche fürs Krankenhaus schon gepackt?“, erkundigte sich Hanna nach
einer Weile.
Nadine
nickte: „Ganz ehrlich, so ein bisschen Bammel hab ich schon vor der Geburt.
Aber dann sage ich mir immer, dass schon so viele Kinder geboren wurden. Da
werde ich es wohl auch schaffen.“
„Ganz
gewiss! - Weißt du, meine Erfahrung ist, dass die Mamis, die ihre Kinder im
Moment der Geburt nicht loslassen können, es schwerer haben und dass es für die
Mütter einfacher ist, die es gar nicht erwarten können, ihr Baby in ihren Armen
zu halten.“
Nadine
erwiderte daraufhin, dass sie gelesen habe, dass die Kinder, deren Mütter angstfrei
in die Geburt gehen, bei späteren Prüfungen in ihrem Leben auch angstfreier
seien.
„Das
ist interessant und durchaus vorstellbar“, entgegnete Hanna.
Nach
einer Weile des Schweigens meinte Nadine: „Weißt du, ich mache mir viel mehr
Gedanken darüber, wie es sein wird, wenn das Kind da ist. Wie ich als Mutter
sein werde und ob wir viele Fehler machen bei der Erziehung. Darüber mache ich
mir im Moment mehr Gedanken, als über die Geburt.“
„Lass
es auf dich zukommen, Kind. Du wirst ganz sicher Fehler machen, so wie wir es alle
getan haben und immer noch tun.“
„Vielleicht
lese ich im Moment ja auch zu viele von diesen Ratgebern“, meinte Nadine
nachdenklich. „Aber man erfährt wirklich interessante Dinge. Ich habe zum
Beispiel gelesen, dass man das Kind durchaus früh an die Hausarbeit heran
führen soll. Wenn es nämlich niemals seinen Teller selbst abspülen muss, dann
ist sein Fazit daraus, dass es wohl ein anderer machen wird. Wenn man das Kind
aber mit einbezieht, macht es die Erfahrung, dass jeder einen Teil zum Ganzen
beizutragen hat.“
„Das
ist ja hoch interessant“, rief die künftige Oma aus. „Und wer hat immer
gemeckert, wenn ich ihn zur Hausarbeit angehalten habe?“
„Ja,
ich weiß“, antwortete Nadine schuldbewusst, „aber heute sehe ich das ganz
anders. Wer früh mit anpacken darf, kann später besser mit anderen Menschen
zusammen arbeiten. Auf jeden Fall wird man dadurch viel selbständiger. In
dieser Beziehung hast du also alles richtig gemacht.“
„Dein
Uropa sagte immer“, erinnerte sich Hanna, „dass die ersten Jahre bedeutend sind
für die Entwicklung des Kindes. Ob dein Kind später im Knast landet oder mit
beiden Beinen im Leben steht, sagte er gerne, hängt maßgeblich von seinen
Erfahrungen in den ersten Lebensjahren ab.“
„Mama,
mach mir keine Angst.“
„Ach
Quatsch! Opa drückte sich halt gerne drastisch aus, aber da ist schon was dran.
Die Entwicklung sozialer und emotionaler Fähigkeiten ist für Kinder enorm
wichtig. Und ganz sicher auch, dass sich die Eltern verstehen. Denn wer trägt
es aus, wenn die Erwachsenen keinen guten Umgang miteinander pflegen und sich streiten?
Die Kinder, die dann später unter Verlustängsten leiden.“
„Lach
mich jetzt bitte nicht aus, wenn ich schon wieder erwähne, dass ich dazu etwas
gelesen habe, aber es gibt Studien, wonach Kinder, die bei einem Elternteil
aufwachsen, sogar besser klar kommen, als die, die mit beiden Eltern
aufwachsen, dafür aber viele Streits erleben.“
„Das
kann ich mir durchaus vorstellen. Die Hauptsache ist, dass du Verständnis für
dein Kind zeigst und es nicht einengst, wie eine Übermutter.“
Nadine
lachte: „Nein, eine Helikopter-Mutter werde ich ganz sicher nicht. Das kann ich
mir absolut nicht vorstellen, aber auch nicht, dass ich eine besonders strenge
Mutter sein werde. – Hab ich übrigens schon erwähnt, dass ich gelesen habe,
dass Eltern nicht zu streng mit ihren Kindern sein sollen, sondern dass die
Kinder später viel erfolgreicher werden, wenn man ihnen Durchhaltevermögen
beibringt.“
„Weißt du, Nadine“,
erwiderte Hanna ernst, „ich glaube ganz fest, dass sich diese kleine Seele euch
als Eltern erwählt hat, weil sie bei euch genau die Erfahrungen sammeln darf,
die sie braucht, um zu wachsen. Und wenn ihr euer Kind bei allem unterstützt,
macht ihr schon ganz viel richtig. Und wenn ihr immer zu ihm steht und es eure Liebe
spürt, wird es ein glückliches Kind sein. Und Glückskinder gibt es wahrlich
nicht viele auf dieser Welt.“
© Martina Pfannenschmidt,
2018