Bella,
die gut gelaunte Marienkäfer-Mutter, freute sich über die Sonnenstrahlen, die
ihr ins Gesicht fielen und entschied, dass heute der perfekte Tag für ihren
Frühjahrsputz sei. Die Kinder spielten draußen und ihr Mann nahm im nahe gelegenen
Beet sein Frühstück ein. Allerbeste Voraussetzungen dafür, nicht gestört zu
werden.
Als
sie bald darauf mit einem Liedchen auf den Lippen die Betten frisch bezog,
hörte sie das kleine Tür-Glöckchen läuten und so schaute sie nach, wer sie bei
der Arbeit störte.
Vor
der Tür stand Oskar. Die beiden kannten sich gut, da der Bockkäfer im Erdgeschoss
des Mietshauses wohnte.
„Hallo
Oskar“, begrüßte Bella ihn freundlich, „was führt dich zu mir?“
„Darf
ich vielleicht hereinkommen?“, fragte er daraufhin und es klang durchaus ein
bisschen traurig.
Nachdem
Bella sich für die Unordnung entschuldigt und zwei Gläser mit einem leckeren
Blütensaft auf den Tisch gestellt hatte, begann Oskar zu erzählen: „Erinnerst
du dich an Adelgard, die nette Weinbergschnecke, die sich vor einem guten Jahr
aufgemacht hat, um nach Italien, dem Land ihrer Träume, auszuwandern?“
„Natürlich
erinnere ich mich. Also das ist schon eine Verrückte. Hast du von ihr gehört?“,
erkundigte sich Bella.
„Leider,
muss ich sagen. - Sie war ja nicht mehr die Jüngste, als sie sich auf den Weg
machte und so hat sie sich wohl total übernommen. Gerade als sie die Grenze
nach Österreich passieren wollte, brach sie völlig erschöpft zusammen.“
Bella stand auf, zupfte ein kleines Tüchlein aus
einer Box und schnäuzte kräftig hinein, bevor sie sagte: „Das tut mir wirklich
Leid. Adelgard ist vielleicht ein bisschen verrückt, doch sie hat das Herz am
rechten Fleck. Unsere Kinder mögen sie sehr, weil sie ihnen oft Geschichten aus
ihrem Leben erzählt hat. Meistens waren diese sehr lehrreich, was wiederum mir gut gefiel.“
Dabei schmunzelte Bella.
Einige Tage später saß die Familie beisammen und
erneut klingelte es an der Haustür. Rubin, der Jüngste der Marienkäfer-Familie,
rannte sogleich los und kam bald darauf mit einem Brief in den Händen in die
gute Stube zurück.
Papa reagierte erstaunt: „Post? Für uns?“
Der Umschlag war tatsächlich an die Familie
gerichtet. „Er kommt von Adelgard“, entnahm er dem Absender. Anschließend
öffnete er den Umschlag vorsichtig, ja fast schon würdevoll, und begann, den
Brief, der sich darin befand, laut vorzulesen:
„Meine liebe Marienkäfer-Familie! Wenn euch diese
Zeilen erreichen, bin ich vermutlich nicht mehr unter euch. Das soll euch
jedoch nicht traurig machen. Ich hatte ein wunderbares Leben, auch wenn ich es nicht
mehr geschafft habe, mein großes Ziel ‚Italien’ zu erreichen. Ich habe es
zumindest versucht.
Benno, ein lieber Freund, dem ich auf meinem Weg
begegnete, schreibt für mich diese Zeilen, da ich schon sehr schwach bin.
Es ist mir ein Bedürfnis, euch und besonders den beiden
liebenswerten Kindern noch ein paar Dinge mit auf den Lebensweg zu geben, so
wie ich es oft tat, als ich noch bei euch war.
Ihr Lieben, vergesst bitte nie, dass ihr ein
Geschenk Gottes in dieser Welt seid. Ihr seid kostbar und wertvoll. Lasst euch
niemals entmutigen und zweifelt nicht daran, dass ihr etwas Besonderes seid.
Habt keine Angst und kostet euer Leben voll aus. Folgt euren Hoffnungen und
Träumen, so wie ich es tat und hört nicht auf andere, die euch sagen, dass
etwas unmöglich ist.
Schert euch nicht darum, was andere über euch
denken und meidet den Kontakt zu Nörglern und Pessimisten. Ich glaube, es ist
schlimm, wenn man am Ende seines Lebens zurückblickend sagt: ‚Ach, hätte ich
doch nur ….’
Seid ehrlich, wahrhaftig und lebt im Einklang mit
der Natur. Wenn ihr euren Kindern ein Versprechen gebt, so haltet es ein und sagt
nicht ‚mal sehen’, wenn ihr ‚nein’ meint. Gebt ihnen eure Liebe, Fürsorge und
Güte. Sie haben es verdient.
Lebt jeden Tag voller Dankbarkeit und in dem
Wissen, dass er nicht wiederkehren wird. Jeder Tag ist einmalig. Vergesst dies bitte
nicht.
Und noch etwas möchte ich euch allen mit auf euren
Weg geben: Schaut euch die Welt an. Sie ist so wunderschön.
Und damit komme ich zu einer Entscheidung, die ich
getroffen habe. Für meinen letzten Weg benötige ich mein Haus nicht mehr und es
ist mein Wunsch, dass ihr es bekommt. Mein guter Freund Benno wird es für euch zu
einem Wohnmobil umbauen und veranlassen, dass es euch so bald wie möglich
erreicht und wenn ihr eines Tages Italien besucht, so trinkt einen Schluck des
dunkelroten Weines auf mein Wohl und denkt dabei an mich.
Eure Adelgard“
Zwei Jahre später und etliche schroffe Berge und
tiefe Schluchten später hatte die Marienkäfer-Familie die Stiefelspitze
Italiens erreicht. Als sie am kristallklaren Meer der kalabrischen Küste
standen, zog eine einzelne weiße Wolke am Himmel entlang. Darauf saß mit einem
Lächeln auf den Lippen Adelgard; mit sich und der Welt im Reinen.
© Martina Pfannenschmidt, 2018