Der blaue Himmel mit
strahlendem Sonnenschein kündigte das nahende Frühjahr an, so dass die Tiere
aus ihrem Winterschlaf erwachten und die Menschen ihre Mützen und Schals zurück
in den Schrank legten. Überhaupt war allerorten ein Gewimmel und Gewusel zu
vernehmen und noch etwas lag spürbar in der Luft: Frühlingsgefühle!
Und so hatte auch
Roberta ihren Liebsten bereits gefunden, aber nicht nur das. Sie würden bald
Eltern von drei zauberhaften kleinen Rabenkindern sein. Zum ersten Mal wurde
sie Mutter und sie führte die Aufgabe, die ihr nun zukam, mit großer Hingabe
und voller Stolz aus.
Während sie
völlig entspannt und überaus glücklich auf ihren Eiern saß, hatte sie viel
Zeit, um nachzudenken. Zum Beispiel darüber, ob sie eine gute Mutter sein
würde. Sie wusste, dass Rabenmütter bei den Menschen einen schlechten Ruf
genießen. Das empörte Roberta jedoch, weil es einfach nicht der Wahrheit
entspricht. Rabenmütter schubsen ihre Kinder nicht aus dem Nest, wie manchmal
vermutet wird, sondern die Jungvögel verlassen es freiwillig, und das, bevor
sie fliegen können. Roberta musste sich allerdings eingestehen, dass die am
Boden hockenden Jungtiere wirklich sehr verlassen wirken. Doch das ist nicht
so. Rabeneltern versorgen ihre Kinder auch dann noch mit Nahrung und beschützen
sie vor Feinden.
Während Roberta
all diese Gedanken durch den Kopf gingen, geschah etwas Eigenartiges. Sie
machte sich plötzlich Sorgen. Sorgen darum, wie es sein würde, wenn sie nicht
genügend Futter fänden oder wenn sie ihre Kinder doch nicht beschützen könnten.
Was wäre, wenn Robert, der Rabenvater in spe, gar nicht zu ihr zurückkäme, weil
ihm etwas zugestoßen war und sie ihre Kinder alleine aufziehen müsste? Sie als
alleinerziehende Mutter?! Ob sie das schaffen würde? Roberta wurde regelrecht
übel!
Das
Gedankenkarussell in ihrem Kopf ließ sich einfach nicht mehr anhalten, ganz im
Gegenteil. Es schien, als würde es immer mehr an Fahrt aufnehmen und schneller
und schneller werden. Roberta malte sich letztendlich rabenschwarze Szenarien
aus.
In Gedanken sah
sie sich völlig ausgemergelt unter einem kläglichen Baum sitzen; ihre Kinder,
fast verhungert, neben sich.
Es war verrückt,
doch es schien, als würde es in ihrem Nest immer enger, weil die Sorgen einen
so großen Raum einnahmen. Ihr gerade noch empfundenes Glück hatte sich
anscheinend unter das Nest verkrochen und war nicht gewillt, wieder
hervorzukommen.
Eigentlich
könnte sie glücklich sein, sagte sie sich, zufrieden mit dem Moment, doch stattdessen
fütterte sie ihre Sorgen, die immer dicker wurden, so dass für das Glück dem
Anschein nach gar kein Platz mehr war.
Just
in dem Moment setzte sich ein junges Paar auf die Bank unter dem Baum, auf dem
Roberta saß.
„Hätte
ich mir doch nur einen anständigen Job gesucht“, sagte die männliche Person.
„Weißt du, was Sicheres, wie eine Ausbildung bei einer Bank oder so. Manchmal
denke ich, dass ich an jeder Gabelung einen falschen Weg gewählt habe.“
„Bei
der Bank!“, rief die weibliche Person aus. „Als wenn du dort glücklich geworden
wärst. Du interessierst dich doch überhaupt nicht für Zahlen, nicht einmal für
meine Schuhgröße.“
Dabei
lachte sie auf und meinte anschließend: „Hör auf, dich in ‚Hätte-ich-nurs’ zu
verstricken. Das bringt doch nichts. Du bist durch und durch Musiker und kein
Banker.“
„Werde
ich denn auf Dauer wirklich genug damit verdienen? Also, ganz ehrlich, das
macht mir schon Sorgen.“
„Das
verstehe ich ja, doch vielleicht ist das jetzt gerade so eine Art Durststrecke,
die es zu überwinden gilt.“
„Aber
schau“, erwiderte der Mann, „nicht einmal meine Eltern glauben an meinen
Erfolg. Ich sei ein Träumer, sagen sie.“
„Oh,
das kenne ich“, meinte die Frau daraufhin, „es tut ganz schön weh, wenn andere
über uns urteilen. Wie uns das verletzt, weiß ich aus eigener Erfahrung; doch
wenn wir nicht auf unser Herz hören, sondern uns zu sehr von der Meinung
anderer beeinflussen lassen, leben wir letztendlich nicht mehr unser Leben und
unsere Träume, sondern die der anderen. Ja, ich weiß, es ist leicht, zu sagen,
mach dein Ding und hör nicht auf andere. Aber bedenke bitte, dass niemand weiß,
was die Zukunft für ihn bringen wird. Sie ist sozusagen wie ein ungelegtes Ei
für uns. Also hör auf, darüber zu brüten, was möglicherweise, eventuell,
irgendwann einmal passiert.“
Nach
diesem kurzen Gespräch erhoben sich die beiden Menschen und setzten ihren Weg
fort.
Im
selben Moment kam Robert zurück und ließ sich auf einen Zweig direkt neben
Roberta nieder. Sie sah ihn mit weit geöffneten Augen an, als sie tief beeindruckt
sagte: „Das ist wirklich spektakulär!“
„Was
denn, mein Liebes?“
„Dass
die Menschen in der Lage sind, ungelegte
Eier auszubrüten!“
©
Martina Pfannenschmidt, 2018