Graufellchen
musste sich schon eingestehen, dass die Frage, die Fritz an Gerda gerichtet
hatte, auch ihn bewegte und so hatte auch er kurz darüber nachgedacht, was sein
würde, wenn dieses Leben nicht mehr sein Leben wäre. Doch schnell entschied er
sich dafür, es einfach auf sich zukommen zu lassen. Schließlich hatte Mutter
Natur immer alles wunderbar für ihn geregelt. Weshalb sollte sich das
irgendwann ändern, fragte er sich. Außerdem hatten diese Gedanken noch jede
Menge Zeit, denn im nächsten Frühjahr würde er sich auf jeden Fall auf die Suche
nach einer Partnerin machen. Er wollte eine Familie gründen und den nächsten
Winter wieder bei Gerda und Karl verbringen. Das war schon weit genug in die
Zukunft geschaut, befand das Mäuschen und widmete sich lieber dem
Tagesgeschehen.
Am
liebsten war es Graufellchen, wenn die beiden Menschen am Tisch saßen. Dann
konnte er in seiner Höhe bleiben und hatte einen prima Blick auf sie. Doch
inzwischen traute er sich auch aus seiner Höhle heraus, wenn sie in der Küche
hantierten. Wenn das Mäuschen sich an der Wand entlang schlängelte und hinter
dem Vorhang blieb, konnte es sie ein wenig sehen und vor allen Dingen hören und
das war ihm ganz wichtig.
„Heute
muss ich wohl Keks-Nachschub backen, oder was denkst du, Karl?“
„Auf
jeden Fall. Ich finde meinen Kaffee immer so trocken, wenn ich keinen Keks dazu
habe!“, flachste Karl.
„Du
mit deinen Sprüchen!“, erwiderte Gerda, und bat anschließend: „Es wäre schön,
wenn du mir noch ein paar Zutaten besorgen würdest und Hack. Ich möchte heute
Mittag Frikadellen braten.“
„Wird
ausgeführt, gnädige Frau. Ich bräuchte nur noch einen Einkaufszettel.“
Nachdem
Gerda alles notiert hatte, verschwand Karl durch die Haustür und Graufellchen
zunächst einmal in seiner Höhle. Da Gerda keine Selbstgespräche zu führen
pflegte, würde er sich einen Moment auf seinem Wollmaus-Bett ausruhen.
Als
Karl jedoch die Haustür geöffnet und zu Gerda in die Küche gegangen war, nahm
das Mäuschen schnell wieder seinen Spionageplatz hinter dem Vorhang ein.
„Ich
hoffe, ich hab nichts vergessen?“, meinte Karl.
Es
schien fast so, als wäre dies schon vorgekommen.
Ein
Blick in die Einkaufstasche zeigte Gerda, dass alles, was sie zum Backen und
Kochen benötigte, vorhanden war.
Graufellchen
freute sich schon auf die Gerüche und natürlich noch mehr auf das, was für ihn
dabei abfiel.
„Manche
Dinge ändern sich nie“, begann Karl ein Gespräch.
„Welche
zum Beispiel?“
„Als
ich eben beim Fleischer anstand, war vor mir eine junge Frau mit einem Kind.
Das bekam von der netten Verkäuferin eine Scheibe Wurst geschenkt und was sagte
die Mutter?“
„Wie sagt man?“, lachte Gerda.
„Richtig!
Ehrlich, ich hab mich darüber gefreut. Man kann den Kindern nicht früh genug
Dankbarkeit beibringen, oder findest du nicht?“
„Auf
jeden Fall. Es gehört, wie ich finde, zum guten Ton, Danke zu sagen. Es ist
einfach höflich anderen gegenüber, und nicht nur dann, wenn man große Geschenke
bekommt, sondern auch bei Kleinigkeiten. Wenn mir jemand ein Glas Wasser
einschenkt, bedanke ich mich dafür.“
„Weißt
du noch, als wir einmal hörten, wie ein Kind seine Mutter nach einem Bonbon
fragte, es auch bekam und dann statt Dankeschön zu sagen, meckerte, warum es
nur eins bekäme.“
„Oh
ja, ich erinnere mich. Das nennt man dann wohl undankbar.“
„Ob
es der Mutter überhaupt bewusst war?“
„Schwer
zu sagen. Ich glaube auf jeden Fall, dass ein dankbarer Mensch glücklicher ist,
ganz einfach aus dem Grund, weil man sich eben nicht auf einen Mangel
konzentriert, sondern dankbar das annimmt, was man hat.“
„Einen
vollen Kühlschrank zum Beispiel.“
Gerda
stieß Karl mit dem Ellenbogen in die Rippen.
„Ja,
zum Beispiel, aber auch andere Dinge, wie ein unerwarteter Anruf oder
Gesundheit.“
„Ich
denke, es kommt auch immer auf die Sichtweise an. Du weißt, dass Beispiel mit
dem halb vollen und halb leeren Glas.“
„Ja,
zum Beispiel, oder wenn dir der Bus vor der Nase wegfährt, kannst du dich
grämen, dass es so ist oder dankbar dafür sein, dass du in einer Stadt lebst,
in der alle 10 Minuten ein Bus fährt.“
„Mir
fällt noch ein anderes Beispiel ein“, freute sich Karl. „Ein Mensch, der seinen
Job verliert, wird sicher nicht erfreut sein und dankbar dafür, dass es so ist,
doch wenn es ihm gelingt, Dankbarkeit dafür zu empfinden, dass er bisher eine
gute Stelle hatte, bei der er viele Erfahrungen sammeln konnte, die ihm einen
Neustart erleichtern, wird er sich ganz bestimmt besser und glücklicher fühlen,
als jemand, der sich darüber grämt.“
Gerda
nickte zustimmend.
„Ich
freue mich, dass die junge Mutter ihrem Kind Dankbarkeit beibringt. Für mich
gehört das zur guten Erziehung dazu und es ist mehr, als eine Floskel. Ich
wünsche mir, dass noch viele Mütter ihre Kinder fragen: Wie sagt man?“
©
Martina Pfannenschmidt, 2017