Opa Anton war wirklich ein herzensguter Mensch. Seine Familie war sein
ein und alles und im Garten zu wirken war für ihn keine Arbeit, sondern ein
Hobby. Er war stolz auf seinen immer satt grünen Rasen, auf dem kein
Unkräutchen stand. Unkraut war ihm ein Gräuel. Er konnte einfach keinen Nutzen
in ihm sehen.
Anton war eigentlich ein friedliebender Mensch. Er mochte Menschen und
auch Tiere. Aber ein Tier gab es, das ihm die Nackenhaare zu Berge stellen
konnte: der Maulwurf. Opa Anton hasste Maulwürfe. Er mochte diese Erdhaufen,
die sie hinterließen, nicht – und schon gar nicht auf seinem Rasen. Anscheinend
ahnten diese Tiere, dass sie bei Anton einen schweren Stand haben würden. Bis
jetzt hatte es noch kein Maulwurf
gewagt, seinen Rasen zu zerstören.
Als vor ein paar Jahren seine Frau verstorben war, hatte er sein
Häuschen und das gesamte Grundstück seiner Tochter Emilie vererbt. Sie baute
das Haus um und war mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter Leni zu ihm
gezogen.
Er verstand sich gut mit der jungen Familie und ganz besonders war ihm
die kleine Leni ans Herz gewachsen. Emilie, seine Tochter, hatte die Liebe zur
Natur von ihm geerbt. So hielten sie jetzt gemeinsam den Garten in Ordnung.
Doch ab und an gab es deswegen kleine Reibereien zwischen ihnen. Bei Emilie
durfte auch ein Unkraut stehen und vor allen Dingen mochte sie eine bunte
Blumenwiese.
Früher hatte Anton in jedem Frühjahr und dann noch einmal im späten
Sommer seinen Rasen mit einem Kunstdünger gedüngt. Das war nun verboten.
Angeblich sollte es nicht gut sein für den Boden. Zumindest behauptete das
seine Tochter. Anton konnte es nicht so recht glauben, denn sein Rasen sah
immer kräftig und gesund aus.
„Weißt du, weshalb sich kein Maulwurf in unseren Garten verirrt?“, hatte
Emilie eines Tages bei ihrer kleinen Auseinandersetzung gefragt. Er hatte nur
mit den Schultern gezuckt. „Na, weil du den Boden mit diesem Kunstdünger
verseucht hast. Maulwürfe kommen nur dort, wo der Boden gesund ist.“ „Umso
besser“, dachte Anton.
Natürlich hatte er es nicht gesagt, denn er wollte keinen Streit mit
Emilie.
Ein paar Jahre später. Anton saß auf der Terrasse und hatte sich an den
Anblick von Kräutern in seinem Rasen gewöhnt – zumindest mehr oder weniger.
Argwöhnisch beobachtete er die Maulwurfshaufen in der Nachbarwiese. Dort
weideten ein paar Schafe und ein kleines Pony gab es auch – und Millionen von
Maulwurfshaufen.
„Bleibt bloß dort und traut euch nicht her“, murmelte er. Leni hatte
trotzdem gehört, was der Opa genuschelt hatte.
„Mit wem sprichst du, Opa?“, fragte sie ihn.
„Ich spreche mit den Maulwürfen dort drüben. Schau nur, wie die Wiese
aussieht mit den vielen Maulwurfshaufen. Also, wenn die sich hierher trauen,
dann Gnade ihnen Gott.“
Leni war entsetzt. So kannte sie ihren Opa gar nicht. Er war doch immer
so nett und jetzt das.
„Was willst du machen, wenn sie zu uns kommen?“, fragte sie ihn deshalb
ängstlich.
„Als ich noch ein Kind war“, antwortete ihr Opa, „da hat sich mein Opa
mit einem Spaten direkt neben einen Maulwurfshaufen gestellt, wenn er gerade
aufgeworfen wurde. Er musste ganz langsam und leise dorthin gehen, denn
Maulwürfe bemerken jede Vibration im Boden, dann sind sie schnell weg. Also
schlich mein Opa zu dem Haufen, stellte sich mit dem Spaten daneben und stach
zu. Den einen oder anderen Maulwurf hat er so erwischt.“
„Aber das ist ja ganz schrecklich, Opa. Das wirst du doch nicht
machen?“, fragte Leni mit zitternder Stimme.
„Sie sollen halt dort bleiben, die Viecher“, meinte Opa, „dann passiert
ihnen auch nichts“.
In der darauf folgenden Nacht bekam Leni kein Auge zu. Was, wenn sich
ein Maulwurf getraute, auf ihrem Rasen einen Erdhaufen zu hinterlassen. Dann
würde Opa Anton ihm bestimmt den Garaus machen. Das müsste sie verhindern. Sie
wusste auch schon wie.
Einstein lebte mit seiner Familie unter der Erde. Eigentlich hieß er
nicht Einstein, sondern ‚Friedrich vor dem Wiehen’, doch als er noch ganz jung
war, da war ihm bei seinen ersten Grabeversuchen ein Stein auf den kleinen Kopf
gefallen und hatte eine Beule hinterlassen. Seither hatte er den Spitznamen
‚Einstein’.
Seine ganze Familie lebte unter einer wundervollen Wiese, auf der Schafe
weideten und auf dem ein kleines Pony stand. Auf dem Nachbarfeld wurde in jedem
Jahr ein anderes Getreide ausgesät, doch dorthin verirrten sie sich nicht, denn
das Feld wurde gedüngt und der Boden darunter war verseucht. Dort fühlten sie
sich nicht wohl. Auch der Boden unter dem Rasen von Opa Anton war tabu. Alles
durchseucht.
„Dass die Menschen gar nicht überlegen, was sie tun“, dachte Einstein.
„Wenn sie so weiter machen, dann ist unsere gute Mutter Erde über kurz oder
lang schwer krank. Hoffentlich wachen sie bald auf und denken um, die
Menschen“.
Einstein grub seinen Weg und machte einen neuen kleinen Hügel auf der
grünen Wiese. Vorsichtig schaute er aus ihm heraus, denn er hörte in der Nähe
ein lautes Lachen. Das könnte sein Bruder Bruno sein. Tatsächlich. Bruno
schaute aus dem Nachbarhügel und hielt sich vor Lachen den Bauch.
„Was gibt es denn dort zu
sehen?“, rief ihm Einstein zu.
„Komm her, Einstein“, rief Bodo. „Das musst du dir unbedingt ansehen.“
Schnell rannte er hinüber zu Bodo. Und dann sah er es. Dort stand ein
großes Schild auf dem hatte jemand einen Maulwurf gemalt und daneben stand in
Kinderschrift geschrieben: ‚Halo. Bite
bleibt wo ir seid und komt nich zu uns. Mein Opa mak euch nich. Leni’.
„Ist das nicht zum Totlachen, Einstein?“, fragte Bodo.
Nein, Einstein fand das gar nicht zum Lachen und überlegte sich, wie er
es wohl anstellen könnte, die kleine Leni zu treffen.
Er blieb in der Nähe des Hauses, in dem Leni wohnte. Jetzt kam sie aus
dem Haus und ging zu ihrem Sandkasten. Einstein nahm all seinen Mut zusammen
und lief zu ihr. Mit piepsiger Stimme fragte er: „Du bist doch die Leni, oder?“
Erstaunt schaute sich die Angesprochene um. „Ja, aber wer fragt mich
das?“, wollte Leni wissen, denn sie konnte niemanden sehen.
„Nach unten musst du schauen, hier bin ich doch“, sagte Einstein und
stellte sich auf die Hinterbeine, so dass er etwas größer wurde.
Leni war gar nicht überrascht. Im Gegenteil. Sie freute sich, den
Maulwurf zu sehen. Bestimmt hatte er ihr Schild gelesen und wollte fragen, was
es damit auf sich hatte. Leni berichtete von ihrem Opa Anton und was er ihr von
seinem Opa erzählt hatte. Da erschrak Einstein und bedankte sich bei Leni.
Einstein wollte gleich am Abend eine Maulwurfversammlung einberufen und allen
erzählen, wie gefährlich es für sie wäre, das Grundstück von Opa Anton zu
betreten.
„Danke, dass du uns gewarnt hast“, sagte Einstein. „Wir werden nicht zu
euch kommen. Die Hauptsache ist, dass Opa Anton keinen Kunstdünger mehr
streut.“
„Bestimmt nicht“, antwortete Leni, „darauf passt meine Mama schon auf.“
„Tschüß, Einstein“, rief Leni ihm nach, als dieser wieder in seinem
Erdloch verschwand.
Schade, jetzt hatte sie ihn nicht gefragt, weshalb er diesen Namen
hatte.
„Bestimmt, weil er so ein kleiner, schlauer Maulwurf ist“, dachte Leni
und freute sich, denn sie hatte soeben zumindest einem dieser kleinen
nützlichen Tiere das Leben gerettet.
© Martina
Pfannenschmidt, 2014