Mein
Name ist Jenny. Ich bin 26 Jahre alt, schlank, blond, passabel aussehend und:
Einsam! Warum das so ist? Weil ich es immer mit den falschen Männern zu tun
bekomme. Ich kann euch sagen, ich kenne sie in- und auswendig, diese Machos und
Möchtegern-Casanovas! So einen suche ich doch nicht. Für mich kommt nur jemand
infrage, der ehrlich ist und mich so nimmt, wie ich bin und überhaupt –
eigentlich kommt nur einer infrage, der ahnt es aber nicht: Mein Nachbar Jonny.
Jenny und Jonny – wie das schon klingt! Doch er rührt sich einfach nicht, macht
keine Anstalten, um mit mir auszugehen oder dergleichen. Deshalb dachte ich
mir, dass ich die Sache wohl in die Hand nehmen muss, sonst sind wir in 100
Jahren noch kein Paar.
Als
ich so in meiner Wohnung saß, draußen weiße Flocken aus dem Himmel segelten und
im Radio ‚Er gehört zu mir’ lief, kam mir ein Gedankenblitz. Ich könnte doch …
aber zunächst müsste ich … zwei Kinokarten besorgen.
Eine
davon legte ich in einen Umschlag, malte lauter kleine Herzchen darauf und lauerte meinem Nachbarn auf. Ne, das
ist Quatsch. Ich lauerte ihm nicht auf, sondern ich wartete, bis er das Haus
verlassen hatte. Es war ziemlich dunkel, als ich durch den Hausflur geisterte, um besagten Umschlag auf
seine Fußmatte zu legen. Anschließend galt es, sich ruhig zu verhalten und
durch den Spion zu schauen, wie er auf den Umschlag reagieren würde. Im
Gegensatz zu mir erleuchtete er beim Heimkommen das Treppenhaus hell, so dass
ich gut sehen konnte, wie er das kleine Geschenk an sich nahm und in seinen
Händen hin und her drehte. Vermutlich suchte er nach dem Absender, den er
natürlich nicht fand und als ich die Situation zum Platzen fand und mein Herz
bis zum Hals klopfte, schloss er seine Wohnungstür auf und ging mitsamt seiner
Beute hinein. Und ich konnte nicht sehen, wie er auf den Inhalt reagierte.
Mist!
Am
besagten Abend des neuen Jahres, als der Kinofilm anlief, zu dem ich meinen
Nachbarn anonym eingeladen hatte, ging ich bereits sehr zeitig aus dem Haus.
Ich wollte nicht so gerne, dass wir uns bereits in unserem Mietshaus begegneten
um festzustellen, dass wir den gleichen Weg hatten. Ich wollte … Ja, ich weiß
auch nicht so genau, was ich wollte. Jedenfalls wollte ich ihn überraschen und
gleichzeitig seine Aufmerksamkeit auf mich lenken und ihm zeigen, dass er mir
wichtig ist.
Also
ging ich zielstrebig Richtung Kino, als mir ein älterer Herr mit seiner
riesigen Dogge begegnete. Gerade in dem Moment, als ich mich fragte, wer denn
da wen ausführt, machte der Hund einen Satz zur Seite, sprang quasi vor mir
her, so dass ich ins Stolpern geriet. Ich fiel über die Leine und brauch mit
dabei ein Bein. – So, an dieser Stelle wäre jetzt ein wenig Mitleid durchaus angebracht.
Menschen
blieben stehen und ich hörte Sätze wie: „Ach, die Ärmste, wenn das neue Jahr
schon so beginnt.“ Super dachte ich. Mehr davon. Wisst ihr, wie besch… das
letzte Jahr für mich war? Da brauch ich keine Steigerung, ne, auf keinen Fall.
Aber was sollte ich machen? Man brachte mich mit dem Krankenwagen ins
Krankenhaus. Dort erfuhr ich, dass ich ein paar Tage bleiben müsste.
Komplizierter Bruch – Operation. Die Tränen flossen und erinnerten an kleine
Bäche, die dahin plätscherten und nicht zum Stillstand gebracht werden konnten.
Das schaffte erst die Narkose – aus der ich später ziemlich benebelt erwachte.
Dass mir kotzübel war und ich giftgrüne
Galle …, ne, das gehört jetzt nicht hierher.
Nun
lag ich also mit meinem Gipsbein
ziemlich elend und mit der Welt und dem lieben Gott hadernd im Krankenhaus. Super
Plan, Jenny, echt, spitzenmäßig gelaufen, sagte ich mir.
Am
nächsten Nachmittag brachte man mir eine große Tasse Kaffee und ein Stückchen
Kuchen. Gut so! Irgendwie musste ich mir das Leben ein bisschen versüßen. Als
ich nun so meinen Kuchen in mich hinein stopfte, klopfte es leise.
„Herein!“,
rief ich und als ich gerade darüber nachdachte, wie erbärmlich ich aussehen
musste, lugte ein mir bekannter Kopf um die Tür. Vor Schreck fiel mir die Kuchengabel aus der Hand. Jonny, mein
Nachbar, stand in der Tür.
„Darf
ich hereinkommen?“, fragte er höflich.
Mit
einer Handbewegung versuchte ich, meine Haare zu richten, während ich
gleichzeitig: „Na klar, gerne!“, flötete.
„Ich
hab von deinem Unglück gehört und dachte mir, vielleicht würdest du dich über
ein paar Blümchen freuen. Ich stelle sie gleich hier hinten auf den Tisch, dann
kannst du sie am besten sehen.“
„Wie
aufmerksam!“
„Wie
hast du das denn hinbekommen?“, erkundigte er sich, während er sich schwungvoll
auf die Bettkante setzte und auf mein Bein zeigte.
Ich
erzählte es bereitwillig, ohne natürlich zu erwähnen, dass ich auf dem Weg ins
Kino war, um ihm endlich zu zeigen …
„Ach
guck mal an“, meinte er. „Ich war zur gleichen Zeit auch unterwegs. Du musst
wissen, dass im Kino ‚Passengers’ lief. Den wollte ich mir unbedingt ansehen.“
Ich
räusperte mich und tat so, als habe ich noch nie in meinem Leben von diesem
Film gehört und fragte scheinheilig: „Um was geht es denn da?“
„Du,
wie so oft um einen Mann und eine Frau. Sie waren mit tausend anderen Leuten
auf einem Raumschiff unterwegs, wurden jedoch vorher eingefroren, da sie eine
90jährige Reise zu einem anderen Planeten vor sich hatten. Sie sollten halt
noch jung dort ankommen. Aber diese Beiden erwachten viel zu früh. Man könnte
auch sagen, die Eiszeit zwischen ihnen wurde beendet.“ Dann lachte er laut.
„Die Vorstellung zu zweit alleine in einem riesigen Raumschiff für mehrere
Jahrzehnte unterwegs zu sein, ist schon schwierig. Nur zwei Menschen und sonst
niemand. Aber es kam anders. Mehr erzähle ich dir jetzt aber nicht. Vielleicht
möchtest du ihn dir ja auch irgendwann einmal ansehen.“
„Vielleicht“,
entgegnete ich etwas verlegen.
Kurz
darauf brach mein Nachbar auch schon wieder auf und ich lag ziemlich alleine
und deprimiert in meinem Bett.
Etwas
später betrat die Krankenschwester das Zimmer, um das Tablett wieder abzuholen.
„Oh,
was für ein wunderschöner Blumenstrauß“, rief sie aus und fragte: „Soll ich ihn
hier stehen lassen?“
Ich
nickte.
„Hier
ist ja noch ein Umschlag“, meinte sie und reichte ihn mir.
Als
sie das Zimmer wieder verlassen hatte, öffnete ich ihn vorsichtig.
Darin
lagen zwei Kinokarten.
©
Martina Pfannenschmidt, 2017