Sie stand vor dem Traualtar und hörte sich laut und deutlich ‚Ja’ sagen.
Ja, sie wollte mit diesem Mann den Rest ihres Lebens verbringen. Hans
und Silvia waren seit einem Jahr ein Paar.
Das war zwar eine kurze Zeit, doch beide waren sicher, dass es der
richtige Schritt war. Sie waren so verliebt und wollten heute ihre Liebe
besiegeln. Ein wunderbares Leben würde auf sie beide warten. Da war Silvia
sicher.
Sie freute sich sehr auf das gemeinsame Leben und auf Kinder. Es war ihr
größter Wunsch, einmal Kinder zu haben und Hans war genau der richtige Mann, um
der Vater ihrer Kinder zu sein.
Inzwischen war der Alltag in ihr Leben eingezogen, doch alles war so, wie
es sich Silvia immer erträumt hatte. Hans war liebevoll und zuvorkommend. Immer
darum bemüht, dass es ihr auch wirklich gut ging. Er sprang vom Sofa auf, nur
um ihr den Wäschekorb abzunehmen.
„Der ist doch viel zu schwer für dich“, waren seine Worte.
Dabei war sie weder krank noch schwanger und hätte das gut geschafft.
Doch Silvia ließ sich gern verwöhnen.
Jetzt im Winter sorgte er dafür, dass sie auf keinen Fall frieren
musste. Er machte Feuer im Kamin und sie saßen davor und führten lange
Gespräche. Darüber, wie sie sich ihr gemeinsames weiteres Leben vorstellten und
wie es sein würde, wenn sie Kinder hätten. Doch jetzt wollten sie zuerst einmal
verreisen. Hans hatte Kataloge aus dem Reisebüro besorgt.
„Wohin sollen wir denn fahren?“, fragte ihn Silvia und er
antwortete: „Wohin du möchtest. Ich
fahre überall mit dir hin. Denn da wo du bist, da möchte ich auch sein. Und
wenn du glücklich bist, dann bin ich es auch.“
Silvia war es warm geworden um ihr Herz bei diesen Worten. Welche Frau
hätte in dem Moment nicht gerne mit ihr getauscht. Er war ein warmherziger und
großzügiger Mensch und ihr Ehemann.
Es war kalt geworden. Silvia war auf dem Weg zur Bushaltestelle und
überlegte kurz, ob die Zeit reichte zurück nach Hause zu gehen, um sich noch
einen Schal und eine Mütze zu holen. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass es
dann knapp werden würde. Sie zog den Kragen ihres Mantels höher, doch ihr war
kalt.
In dem Augenblick hörte sie jemanden ihren Namen rufen. Sie drehte sich
um und sah Hans auf sich zukommen. Im Laufschritt war er unterwegs und hielt
ihren Schal und eine Mütze in seinen Händen. In Hausschuhen war er ihr gefolgt
und hatte selbst seine Jacke vergessen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Sie war ein Glückskind.
BBBBrrrrrrr.
Jäh riss der Wecker sie aus ihrem Traum. Schnell stellte sie das
Klingeln ab. Sie musste sich zunächst sammeln. Dann sah sie in das Nachbarbett.
Hans öffnete kurz ein Auge und murrte: „Los, steh auf und koch mir einen
Kaffee, ich habe Kopfweh“.
Silvia sah ihn an. Seine Haare waren zerzaust, sein Gesicht seit Tagen
unrasiert und eine Alkoholfahne ging von ihm aus. Wieder einmal hatte er zuviel
getrunken am gestrigen Abend.
Sie stand auf, ging ins Bad und schaute in den Spiegel. Ihr Auge war
blutunterlaufen. Er hatte sie geschlagen.
„Gut, dass wir keine Kinder haben“, ging Silvia durch den Kopf.
Langsam machte sie sich fertig, ging ins Wohnzimmer, nahm den Koffer,
den sie heimlich gepackt und hinter dem Schrank versteckt hatte und verließ
leise die Wohnung.
Es hätte wirklich so schön sein können – doch leider war alles nur ein
Traum.
© Martina
Pfannenschmidt, 2014