Uschi
jonglierte singend und gut gelaunt mit ihrem Staubsauger um die Sessel, als ihr
Blick auf die Wanduhr fiel. ‚Morgens halb zehn in Deutschland’ ging ihr ein bekannter
Werbeslogan durch den Kopf. ‚Zeit für einen Cappuccino’, entschied sie. Schließlich
war sie schon seit einigen Stunden auf den Beinen. Das hatte sie sich jetzt
redlich verdient. Schnell war mittels eines Pulvers das Getränk angerührt. Sie ließ
sich in einen Sessel plumpsen und schlürfte eine kurze Zeit später die süße,
aber noch sehr heiße Köstlichkeit.
Das
Telefon, das direkt neben ihr auf einem kleinen Tischchen stand, kündigte einen
Anrufer an. Nachdem Uschi sich gemeldet hatte, fragte eine nette Frauenstimme:
„Ist dort Uschi? Uschi Rinderfuß?“ Oh, sie hatte ihn so sehr gehasst, ihren
Mädchennamen. Ständig hatten die anderen Kinder sie damit aufgezogen. Deshalb
fragte sie sehr pampig: „Und wer will das wissen?“
„Na,
Renate“, antwortete die Stimme lachend, „Renate Umsonst. Zumindest hieß ich
früher so.“
„Nein“,
schrie Uschi in den Hörer hinein, „Renate – das gibt’s doch gar nicht. Wie
lange haben wir nichts voneinander gehört?“
Wie
sich heraus stellen sollte, waren es fast 30 Jahre. Nach ihrem Schulabschluss
war Renate mit ihren Eltern nach Bayern verzogen. Uschi erinnerte sich an den
tränenreichen Abschied von damals. Ihre Freundin wäre sehr gerne im geliebten
Norden wohnen geblieben, doch das Leben – oder ihre Eltern - hatte anders für
sie entschieden.
Spontan
entschieden sie, sich am kommenden Tag in dem Hotel zu treffen, in dem Renate
abgestiegen war. Es gab ja so viel zu berichten. Uschi freute sich auf das
Wiedersehen, zumindest im ersten Moment. Doch dann sah sie an sich herunter. Wie
sie nur wieder aussah. Zum Putzen trug sie immer ihre alte ausgeleierte
Jogginghose. Das war bequem, doch eben nicht besonders hübsch. Uschi rannte ins
Bad und schaute in den Spiegel. Auch hier kam das große Entsetzen. So konnte
sie Renate auf keinen Fall gegenüber treten. Ihr grauer Ansatz war schon fast
zwei Zentimeter herausgewachsen und die rote Farbe, mit der sie das Grau zu
übertünchen versuchte, war total verblasst. Sie sah einfach furchtbar aus.
Schon stand die nächste Frage im Raum: Was sollte sie bloß zu diesem Treffen
anziehen? Eilenden Schrittes betrat sie das Schlafzimmer und riss die Tür des
Schrankes auf. Mit einem Blick erkannte sie: Für diesen Anlass hatte sie nichts
Passendes anzuziehen. Was war zu tun? Etwas Neues musste her, und zwar so
schnell, wie möglich. Uschi ließ alles stehen und liegen und entschloss sich, zum
Einkaufen in die nächste Stadt zu fahren.
Als
sie Richtung Auto ging, bemerkte sie erst, wie kalt es geworden war. Aber das
war ein Zustand, der Uschi kaum etwas anhaben konnte. Ihr war nämlich meistens
viel zu warm und oft stand ihr der Schweiß auf der Oberlippe. Wechseljahre
nannten die Ärzte diesen Zustand oder anders ausgedrückt: Klimakterium. Doch
wie sie es auch immer nannten, besser wurde der Zustand dadurch nicht.
Uschi
fuhr schnurstracks in das Parkhaus eines großen Kaufhauses, um dort schicke
neue Kleidung zu kaufen. Ein Überangebot
erwartete sie. Da würde sie bestimmt schnell etwas finden. Ein Kleid kam auf
gar keinen Fall in Frage, das hatte sie seit Jahrzehnten nicht getragen. Es
sollte eine edle Hose sein, auf keinen Fall eine Jeans, die machte sie nur noch
dicker. Leider hatte sie in den Jahren seit der Schulzeit ein wenig an Gewicht
zugelegt. Also, wenn man die Gewichtszunahme auf die Jahre umrechnete, war das gar
nicht mal so viel, gerade einmal ein Kilo pro Jahr.
‚Oh,
was für ein stilvolles Outfit’, ging es ihr durch den Kopf, als sie die
Damenabteilung des Kaufhauses erreicht hatte. Doch beim Blick auf die Kleidergröße
hatte sich das Ganze schnell erledigt. Langsam schlich Uschi Richtung ‚große
Größen’. Hier würde sie wohl eher etwas finden. Doch nichts von dem, was dort
angeboten wurde, entsprach ihren Vorstellungen.
Uschi
erinnerte sich an Renate und fragte sich, ob sie wohl noch so spindeldürr war,
wie damals. Ob sie immer noch ihr schönes kohlrabenschwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz
hochgebunden trug? Besser fühlte sie sich bei diesen Gedanken nicht. Hätte sie
bloß diesem Treffen nicht zugestimmt. Aber nun war es so – da musste sie jetzt
durch.
Zielsicher
griff sie nach einer schwarzen Hose mit einem schwarzen Oberteil. Als sie in
den Spiegel schaute, sah sie aus, als wolle sie zu einer Beerdigung. Etwas
flotter durfte das Oberteil schon sein und die Hose? Sie saß ein bisschen eng –
so um die Hüften herum. Uschi hängte beides zurück und erkannte kurz darauf:
Dass, was sie suchte, würde sie in diesem Geschäft nicht finden. Frustriert
machte sie sich auf den Weg Richtung Cafeteria. Sie musste ihren Frust mit
einem Stückchen Sahnetorte schmälern.
Gerade
als sie sich die erste Gabel voll mit der süßen Köstlichkeit in den Mund
geschoben hatte, wurde sie angesprochen. „Entschuldigung, ist hier noch ein
Platz frei?“ Uschi nickte und verschluckte sich im selben Moment ganz
fürchterlich. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie in der rundlichen Frau
mit den kurzen grauen Haaren und dem verschwitzten Gesicht ihre alte
Schulfreundin Renate!
©
Martina Pfannenschmidt, 2014