Dienstag, 30. Dezember 2025

Zwischen den Jahren


Im Wohnzimmer von Anna und Karl loderte das Feuer im Kamin und verbreitete eine wohlige Wärme. Draußen lag eine dünne Schneeschicht auf den Feldern und die Fenster waren ein wenig beschlagen. Die beiden saßen sich in ihren gemütlichen Lehnstühlen gegenüber, jeder mit einer dampfenden Tasse Tee in der Hand. Schweigend blickten sie in die Flamme der Kerze, die auf dem Tischchen vor ihnen brannte und ihr heimeliges Licht verbreitete. Diese Tage zwischen Weihnachten und Silvester, die Tage zwischen den Jahren, waren für das Paar eine ganz besondere, ja fast magische Zeit.

Anna seufzte leise und lächelte ihren Mann an. „Weißt du, Karl,“ begann sie das Gespräch, „früher habe ich diese Tage zwischen den Jahren immer als ein bisschen seltsam empfunden. Sie gehören nicht mehr ganz zum alten Jahr, aber das neue Jahr hat ja auch noch nicht begonnen, was mir immer das Gefühl gab, als hielte die Welt kurz inne.“

Karl nickte. „Ja, das stimmt. Aber früher, als die Kinder noch klein waren, war es immer laut und wuselig nach Weihnachten. Jetzt ist alles so ruhig, doch ich muss sagen, dass mir das durchaus gefällt. So hat man mehr Zeit und Muße zum Nachdenken über Vergangenes oder Zukünftiges.“

Anna erhob sich und legte einen Holzscheit nach. Während sie in die zündelnden Flammen schaute, meinte sie: „Weißt du noch, was meine Großmutter früher über die Raunächte erzählt hat? Über die Nächte zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag, in denen angeblich die Geister umgehen und in denen man in diesen Tagen keine weiße Wäsche aufhängen durfte? Vor allen Dingen keine Betttücher, weil sie sonst im kommenden Jahr zum Leichentuch für ihre Besitzer würden und dass es Unglück bringt, wenn man sich nicht an diese alte Regel hält? Ich habe mich als Kind immer ein wenig vor diesen Geistern gefürchtet und gleichzeitig fand ich es aufregend und geheimnisvoll. Die Raunächte waren für meine Großmutter eine Zeit voller Bräuche und Geschichten. Sie sagte, in diesen Nächten sei die Grenze zwischen unserer Welt und der der Geister besonders dünn. Man solle innehalten, Altes loslassen und sich auf das Neue vorbereiten.“

Karl lächelte. „Und du hast mir erzählt, dass du bereits ein paar Tage vor Silvester heimlich Blei gegossen hast, um zu sehen, was das neue Jahr bringt.“

Anna schmunzelte bei der Erinnerung. „Ja, das stimmt! Damals war ich noch ein Kind und habe mit großen Augen zugesehen, wie das flüssige Blei ins kalte Wasser tropfte. Einmal entstand daraus eine kleine Figur, die aussah wie ein Schiff. Ich habe mir damals gewünscht, dass wir im Sommer ans Meer fahren – und tatsächlich, ein paar Monate später standen wir gemeinsam am Strand und haben Muscheln gesammelt. Seitdem glaube ich ein bisschen daran, dass die Raunächte und ihre Zeichen einen eigenen Zauber haben.“

„Und weißt du noch, wie wir in den Raunächten immer kleine Wünsche aufgeschrieben und verbrannt haben, damit sie mit dem Rauch in den Himmel steigen?“

„Ja, ich erinnere mich. Heute mag ich es, in diesen Tagen das alte Jahr Revue passieren zu lassen,“ meinte Anna „und unser Ritual, zwischen den Jahren die Schränke aufzuräumen, Briefe und Fotos zu sortieren und einen kleinen Jahresrückblick zu schreiben, hilft mir dabei, das Jahr würdig abzuschließen.“

„Und du backst immer noch einmal einen Kuchen“, ergänzte Karl augenzwinkernd, „so, als möchtest du den süßen Geschmack des alten Jahres festhalten.“

„Ich mag auch die Spaziergänge, die wir in dieser Zeit unternehmen“, sagte Anna, „egal, wie das Wetter ist. Wenn die Luft klar ist und es nach Holz und Rauch riecht, steigt ein heimeliges Gefühl in mir auf. Und ich mag es, dass der Trubel vorbei ist, und die Menschen zuhause sind und eine kleine Pause vom normalen Alltag genießen können.“

Inzwischen war es Abend geworden und Anna und Karl schrieben, so wie sie es in jedem Jahr zu dieser Zeit handhabten, ihre Wünsche für das kommende Jahr auf kleine Zettel, aber nicht, um sie zu verbrennen, sondern um sie in eine Kiste zu legen und am Silvesterabend des kommenden Jahres zu schauen, welche Wünsche tatsächlich in Erfüllung gegangen waren.

„Ich glaube, diese Tage sind ein Geschenk“, meinte Anna leise. „Man darf einfach da sein, ohne Eile, ohne Erwartungen. Für mich ist es die Zeit der Besinnung, des Innehaltens und der Dankbarkeit. Und die Raunächte erinnern mich daran, dass jeder Neubeginn auch ein bisschen Zauber in sich trägt.“

Karl stimmte nickend zu. „Es ist wie ein langer, ruhiger Atemzug, bevor das Leben wieder schneller wird.“

Als sie später im Bett lagen, legte Anna liebevoll ihre Hand auf die von Karl. Draußen schneite es leise und es war unglaublich still.

Die Zeit zwischen den Jahren – sie hatte ihre eigene Magie, und Anna und Karl wussten, dass sie sie jedes Jahr aufs Neue genießen würden, solange es ihnen möglich war.

  

© Martina Pfannenschmidt, 2025


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