Im Wohnzimmer von Anna und Karl
loderte das Feuer im Kamin und verbreitete eine wohlige Wärme. Draußen lag eine
dünne Schneeschicht auf den Feldern und die Fenster waren ein wenig beschlagen.
Die beiden saßen sich in ihren gemütlichen Lehnstühlen gegenüber, jeder mit
einer dampfenden Tasse Tee in der Hand. Schweigend blickten sie in die Flamme
der Kerze, die auf dem Tischchen vor ihnen brannte und ihr heimeliges Licht
verbreitete. Diese Tage zwischen Weihnachten und Silvester, die Tage zwischen
den Jahren, waren für das Paar eine ganz besondere, ja fast magische Zeit.
Anna seufzte leise und lächelte ihren Mann an. „Weißt du, Karl,“
begann sie das Gespräch, „früher habe ich diese Tage zwischen den Jahren immer
als ein bisschen seltsam empfunden. Sie gehören nicht mehr ganz zum alten Jahr,
aber das neue Jahr hat ja auch noch nicht begonnen, was mir immer das Gefühl
gab, als hielte die Welt kurz inne.“
Karl nickte. „Ja, das stimmt. Aber früher, als die Kinder noch
klein waren, war es immer laut und wuselig nach Weihnachten. Jetzt ist alles so
ruhig, doch ich muss sagen, dass mir das durchaus gefällt. So hat man mehr Zeit
und Muße zum Nachdenken über Vergangenes oder Zukünftiges.“
Anna erhob sich und legte einen Holzscheit nach. Während sie in
die zündelnden Flammen schaute, meinte sie: „Weißt du noch, was meine
Großmutter früher über die Raunächte erzählt
hat? Über die Nächte zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag,
in denen angeblich die Geister umgehen und in denen man in diesen Tagen keine weiße
Wäsche aufhängen durfte? Vor allen Dingen keine Betttücher, weil sie
sonst im kommenden Jahr zum Leichentuch für ihre Besitzer würden und dass es
Unglück bringt, wenn man sich nicht an diese alte Regel hält? Ich habe mich als
Kind immer ein wenig vor diesen Geistern gefürchtet und gleichzeitig fand ich
es aufregend und geheimnisvoll. Die Raunächte waren für meine Großmutter eine
Zeit voller Bräuche und Geschichten. Sie sagte, in diesen Nächten sei die
Grenze zwischen unserer Welt und der der Geister besonders dünn. Man solle
innehalten, Altes loslassen und sich auf das Neue vorbereiten.“
Karl lächelte. „Und du hast mir erzählt, dass du bereits ein paar
Tage vor Silvester heimlich Blei
gegossen hast, um zu sehen, was das neue Jahr bringt.“
Anna schmunzelte bei der Erinnerung. „Ja, das stimmt! Damals war
ich noch ein Kind und habe mit großen Augen zugesehen, wie das flüssige Blei
ins kalte Wasser tropfte. Einmal entstand daraus eine kleine Figur, die aussah
wie ein Schiff. Ich habe mir damals gewünscht, dass wir im Sommer ans Meer
fahren – und tatsächlich, ein paar Monate später standen wir gemeinsam am
Strand und haben Muscheln gesammelt. Seitdem glaube ich ein bisschen daran,
dass die Raunächte und ihre Zeichen einen eigenen Zauber haben.“
„Und weißt du noch, wie wir in den Raunächten immer kleine
Wünsche aufgeschrieben und verbrannt haben, damit sie mit dem Rauch in den
Himmel steigen?“
„Ja, ich erinnere mich. Heute mag ich es, in diesen Tagen das alte
Jahr Revue passieren zu lassen,“ meinte Anna „und unser Ritual, zwischen den
Jahren die Schränke aufzuräumen, Briefe und Fotos zu sortieren und einen
kleinen Jahresrückblick
zu schreiben, hilft mir dabei, das Jahr würdig abzuschließen.“
„Und du backst immer noch einmal einen Kuchen“, ergänzte Karl
augenzwinkernd, „so, als möchtest du den süßen Geschmack des alten Jahres
festhalten.“
„Ich mag auch die Spaziergänge, die wir in dieser Zeit
unternehmen“, sagte Anna, „egal, wie das Wetter ist. Wenn die Luft klar ist und
es nach Holz und Rauch riecht, steigt ein heimeliges Gefühl in mir auf. Und ich
mag es, dass der Trubel vorbei ist, und die Menschen zuhause sind und eine
kleine Pause vom normalen Alltag genießen können.“
Inzwischen war es Abend geworden und Anna und Karl schrieben, so
wie sie es in jedem Jahr zu dieser Zeit handhabten, ihre Wünsche für das
kommende Jahr auf kleine Zettel, aber nicht, um sie zu verbrennen, sondern um
sie in eine Kiste zu legen und am Silvesterabend des kommenden Jahres zu
schauen, welche Wünsche tatsächlich in Erfüllung gegangen waren.
„Ich glaube, diese Tage sind ein Geschenk“, meinte Anna leise.
„Man darf einfach da sein, ohne Eile, ohne Erwartungen. Für mich ist es die
Zeit der Besinnung, des Innehaltens und der Dankbarkeit. Und die Raunächte
erinnern mich daran, dass jeder Neubeginn auch ein bisschen Zauber in sich
trägt.“
Karl stimmte nickend zu. „Es ist wie ein langer, ruhiger Atemzug,
bevor das Leben wieder schneller wird.“
Als sie später im Bett lagen, legte Anna liebevoll ihre Hand auf
die von Karl. Draußen schneite es leise und es war unglaublich still.
Die Zeit zwischen den Jahren – sie hatte ihre eigene Magie, und
Anna und Karl wussten, dass sie sie jedes Jahr aufs Neue genießen würden, solange es ihnen möglich war.
© Martina
Pfannenschmidt, 2025
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