Samstag, 30. Januar 2021

Das Kind von damals

Wie angekündigt, gibt es bei mir, aber auch bei Lore und Regina, nicht nur am 15., sondern ab sofort auch am 30. eines Monats eine neue Geschichte - oder Erzählung -, die wir nach vorgegebenen Reizwörtern geschrieben haben. - Viel Freude beim Lesen!


Reizwörter: Konfekt, Sensation, übertrieben, stricken, bunt

In den Siebzigern habe ich viel gestrickt, doch dann geriet es irgendwie in Vergessenheit. Vielleicht lag es auch daran, dass mir persönlich die Zeit dafür zu fehlen schien. Ja, und jetzt habe ich sie wiedergefunden, diese Zeit, um zu stricken.

Außerdem war es so, dass nicht nur mir, sondern auch meiner Waage in der letzten Zeit auffiel, dass ich aus lauter Langeweile viel zu oft zum Konfekt gegriffen haben musste, das ich mir hübsch angerichtet in einer Schale auf den Wohnzimmertisch gestellt hatte.

Dort steht es nun nicht mehr und das ist gut so. Wer kann schon widerstehen, wenn sich die Verführung ständig vor der Nase befindet - und jetzt sind meine Hände ja auch anderweitig beschäftigt.

Es war so, dass ich mir dieses fantastische Strumpfgarn gekauft habe, von dem ich finde, dass es eine echte Sensation ist. Da entsteht nämlich ohne Aufwand und wie von Zauberhand ein hübsches buntes Muster. Das gab es früher so noch nicht.

Nun, während meine Hände mit dieser sinnvollen Tätigkeit beschäftigt sind, können meine Gedanken in alle möglichen Richtungen reisen.

Jetzt gerade denke ich über eine Frage nach, die ich letztens gelesen habe und die mir seither immer mal wieder durch den Kopf schwirrt: ‚Was würde das Kind von damals über den Menschen sagen, der du heute bist?‘

Eine kleine Frage, die es in sich hat. – Ja, was würde das Kind sagen?

Da bin ich gedanklich zunächst einmal mittendrin in meiner Kindheit und beim Spielen mit meinen damaligen Nachbarkindern. Wir waren nicht sehr anspruchsvoll und wir konnten noch unbekümmert auf der Straße spielen. So war das halt in den sechziger Jahren.

Ich war eher ein stilles Kind. Zurückhaltend, abwartend, ängstlich. Aber immer draußen und niemals alleine.

Meine Gedanken gehen zu den Kindern, die in dieser schwierigen Zeit in einer Zweizimmerwohnung ohne Balkon eingepfercht sind und kaum das Sonnenlicht sehen. Da lobe ich mir meine Kindheit, auch wenn sie bescheiden war.

Doch zurück zur eigentlichen Frage: was würde das Kind sagen?

Ich muss schmunzeln, als ich denke, dass es kaum glauben könnte, was aus mir geworden ist. Das schüchterne kleine Mädchen von damals ist schon lange eine selbstbewusste Frau. Nicht übertrieben selbstbewusst, aber mit einem gesunden Selbstbewusstsein.

Früher fiel es mir schwer, mit fremden Personen ins Gespräch zu kommen. Aber ich hatte das Glück, nette Arbeitskollegen zu haben, die mir während der Zeit meiner Ausbildung zur Seite standen und mich liebevoll forderten. In dieser Beziehung wäre das Kind von damals bestimmt stolz auf mich.

Ich denke aber auch an Mitschüler. Was wohl aus ihnen geworden ist? Ob ihr Kind über den eingeschlagenen Lebensweg froh ist? Wie ist es wohl Rolf ergangen? Er wurde schon damals von anderen gemobbt. Nur dieses Wort dafür war uns noch nicht geläufig. Es muss schlimm für ihn gewesen sein, dass er wegen seiner schlechten Deutschnoten und oft auch wegen seiner zerschlissenen Kleidung gehänselt wurde. Er lebte wirklich in ärmlichen Verhältnissen. Ob er seinen Lebensweg heute als gelungen ansieht? Ich habe ihn niemals wieder gesehen, würde es ihm aber von Herzen wünschen.

Mein eigenes Kind von damals würde mich sicher dafür loben, dass ich entgegen den Erwartungen einiger anderer meine Ausbildung mit Auszeichnung absolviert habe. Aber vielleicht wäre es andererseits traurig, dass aus mir und dem Mädchenschwarm der Klasse kein Paar geworden ist. J

Meine Kindheit war unbekümmert, doch wenn ich heute zurückblicke, denke ich, es war nicht immer einfach, das liebe und brave Mädchen zu sein. Es war durchaus anstrengend, diesen Wunsch der Eltern zu bedienen und es hat der Heranwachsenden schon einiges abverlangt, um diese alten und falschen Glaubenssätze, als Mädchen immer lieb sein zu müssen und keine eigene Meinung haben zu dürfen, abzulegen. Es ist mir aber gelungen, so dass ich heute behaupten kann, dass ich durchaus eine eigene Meinung habe und auch, dass ich als Frau meinen Mann gestanden habe. Ich glaube, auch darüber wäre das kleine Mädchen von damals froh.

Die Vorstellungen des Kindes, später einmal zu heiraten und selbst Kinder zu bekommen, haben sich erfüllt. Ich habe geheiratet und meine Kinder zu selbstbewussten und selbstbestimmten Menschen erzogen.

Dass das kleine Mädchen eines Tages sogar eine Oma sein würde, das konnte es sich zu der Zeit noch gar nicht vorstellen. Wie schön, dass es dennoch so gekommen ist. Es ist ein großes Geschenk und ich kann sagen: das alles macht mich zu einer zufriedenen Person.

Wenn ich es mir recht überlege, gab es keine kindlichen Träume, die sich nicht erfüllt hätten. Ich bin zwar nicht um die halbe Welt gereist, aber das war auch niemals mein Ziel. Ich wollte eine kleine glückliche Familie und ein Haus mit Garten. Das habe ich geschafft und das macht mich glücklich.

Ich glaube, das kleine Mädchen von damals wäre einverstanden mit dem Lebensweg und auch mit den Entscheidungen, die es zu treffen galt.

Ich kann ihm also durchaus gelassen entgegen treten, dem Kind von damals, denn ich bin überzeugt, dass ich das Beste aus seinem Leben gemacht habe.

 © Martina Pfannenschmidt, 2021

 

Diese Geschichte nimmt an Elkes 'froher und kreativer Linkparty' teil.

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14 Kommentare:

  1. Liebe Martina,
    das Kind von damals wäre sicherlich sehr einverstanden mit der Frau von heute, davon bin ich überzeugt.
    In deiner Geschichte kann man/frau sich an einigen Stellen wiederfinden. Ich finde auch den Gedanken sehr interessant, sich selbst mal mit den Augen des Kindes von damals zu betrachten. Klasse!
    Herzliche Grüße
    Regina

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    1. Liebe Regina, ja es ist spannend, sich selbst mal aus den Augen eines Kindes oder des eigenen Kindes zu betrachten. - Danke für deinen Kommentar und liebe Grüße! Martina

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  2. liebe Martina da hast du aber noch ganz viel eigene eRinnerungen an deine Kinder Schulundjugendzeit im Gegensatz zu mir.
    Die " Reizwörter sind toll untergebracht, ich hätte da etwas länger in meinen gedanken dazu suchen müssen...
    ich denke auch das Kind von damals würde der FRau von heute gratulieren dass sie es geschafft hat sich ihr Leben so einzurichten wie sie /es sich damals gewünscht hatte/noch ohne es richtig zu wissen...
    Kein Wunsch mehr offen...?nicht ein klitzekleiner=?.
    wenn man das von sich sagen kann war man damals ein zufriedenes Kind und ist heute eine zufriedene Frau...
    hübsch erzählt...
    herzlichste Grüße angelface

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    1. Liebe Angel, ich freue mich sehr über deinen Besuch und den Kommentar - und musste ein kleines bisschen schmunzeln. - Auch wenn ein klein wenig von mir in dieser Geschichte steckt, so ist sie doch frei erfunden. - EINE Erzählung. Aber nicht die Erzählung meines Lebens. - Ein klitzekleiner Wunsch? Na klar - mehrere ... :-))) LG Martina

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  3. Eine sehr schöne inspirierende Geschichte, Martina. Sofort dachte ich, wie ich als Kind mich heute sehen würde. Habe ich geschafft, was ich mir vorgenommen hatte?
    Die Frau die Du beschrieben hast, hat ihren Weg gefunden und kann stolz und zufrieden sein. Sie hat gelernt, sich selber zu lieben und die Stärke in sich erkannt. Habe wieder gern gelesen bei Dir und bin nachdenklich geworden.
    Liebste Grüsse und bleibe gesund, Klärchen

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    1. Dann, liebes Klärchen, habe ich vielleicht einiges richtig gemacht (was diese Geschichte betrifft :-) ). - Danke dir für deinen Besuch und den liebenswerten Kommentar. Hab einen schönen Sonntag! - Die Sonne scheint und es ist knackig kalt. - LG Martina

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  4. Ja wir hatten eine schöne Kindheit, wenn auch streng , trotzdem haben wir uns zu selbstbewussten Frauen und guten Müttern entwickelt, die die Werte von damals weitergegeben haben
    Ich war auch schüchtern und entsetzlich brav. ein junges Mädchen fragte mich einmal, was ich in meinem Leben bereuen würde.
    Die Dummheiten, die nicht gemacht habe!!
    Wünsche dir einen schönen Sonntag. LGLore

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    1. Ich traute mich auch nicht, Dummheiten zu machen. - Aber ich glaube, so richtig bereuen tue ich es auch wieder nicht. :-)
      LG und Danke für deinen Besuch und den lieben Kommentar! Martina

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  5. Eine schöne Geschichte und es ist doch toll, wenn man mit dem zufrieden ist, was man erreicht hat. Danke für den Link!
    LG Elke

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    1. Ja, das stimmt. - Deshalb denke ich mir gerne Geschichten aus, in denen alles perfekt ist - oder am Ende wird. Lach! LG Martina

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  6. Liebe Martina,
    wow, das Mädchen in deiner Geschichte war aber brav.
    Im Gegensatz zu mir als Kind, ich war eher wie ein abenteuerlicher,wilder Junge. Auf Bäume geklettert, Fußball mit Jungen gespielt und auf den Pferden ohne Sattel und ohne Zaumzeug geritten....
    Das Kind in mir schüttelt heute noch den Kopf, wie es als alte Oma so ruhig,brav und friedvoll werden konnte. :)
    Eine schöne Zeit wünscht dir
    Helga

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    1. Danke für deinen Besuch. Bin etwas gehandicapt. deshalb nur ein kurzes Danke. lG

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  7. Da wünsche ich dir baldige Heilung liebe Martina.

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