Es
war ein nebliger Novembertag. Manuela mochte diesen grauen Monat nicht und
heute zeigte er sich besonders garstig.
Auf dem Weg ins Rathaus schlug sie ihren Mantelkragen hoch, denn sie hatte das
Gefühl, dass ihr die Kälte in ihren Nacken kroch. Und dann begann es auch noch
zu schneien – ganz abgesehen von dem schneidenden Wind.
Manuela
fand es furchtbar, wenn sie den ganzen Tag über bei künstlichem Licht arbeiten
musste, doch heute war so ein Tag. Im Büro gegenüber saß ihr Bettina. Sie war
eine neue Kollegin und Manuela konnte sie charakterlich noch nicht einschätzen.
Zwar war sie sehr nett und bemühte sich auch um privaten Kontakt zu ihr, doch
irgendetwas ließ Manuela skeptisch sein. Bettina erzählte sehr viel von sich.
Sogar ihr Liebesleben breitete sie vor ihr aus. Vielleicht war es dass, was ihr
nicht behagte.
Manuela
hatte sich vor kurzem von ihrem Freund getrennt, doch das vertraute sie ihrer
neuen Kollegin nicht an. In dieser Hinsicht schien ihr Vorsicht geboten.
Als
Manuela das Büro betrat, roch es schon verführerisch nach frisch gebrühtem
Kaffee. Bettina war schon da und hatte als Allererstes die Kaffeemaschine
bedient.
„Guten
Morgen“, begrüßte Manuela ihre Kollegin. „Das war die beste Idee, die du haben
konntest, uns einen Kaffee zu kochen.“
„Ich
bin total durchgefroren“, erklärte diese „und brauche erst einmal etwas
Warmes.“
Stefan
Kuhn, der jüngste Dozent dieser Behörde, in dessen Vorzimmer die beiden saßen,
betrat in diesem Moment den Raum und freute sich ebenso über den Kaffeeduft.
Dann verschwand er in seinem Zimmer, hatte jedoch den Wunsch geäußert, auch
einen Kaffee zu bekommen, den Manuela ihm etwas später servierte. Sie schmunzelte
über diese Tätigkeit, die wohl allen Sekretärinnen bekannt war.
Auf
ihrem Schreibtisch lagen einige Diktierbänder. Sie mussten durch sie noch als
Buchstaben ihren Weg aufs Papier finden. Insofern wurde Manuela von dem
schlechten Wetter abgelenkt und bemerkte gar nicht, dass sich der starke Wind
immer mehr zu einem Sturm ausweitete.
Es
war kurz vor Feierabend, als ein Strommast aus der Verankerung riss und die
gesamte kleine Stadt in Dunkelheit versetzte. Manuela befand sich zu diesem
Zeitpunkt im Büro ihres Vorgesetzten, denn sie brauchte seine Unterschrift. Von
einer Minute auf die andere wurde es dunkel im Büroraum und in Manuela breitete
sich eine leichte Panik aus.
„Was
ist denn jetzt passiert?“, rief sie entsetzt aus.
„Meine
liebe Frau Schmidt“, erwiderte Stefan Kuhn gelassen „ich würde meinen, es
handelt sich um einen Stromausfall.“
„Was
machen wir denn jetzt?“, fragte sie angsterfüllt. „Haben Sie ein Feuerzeug oder
ein Streichholz, mit dem wir etwas Licht machen könnten?“
„Nein,
leider nicht“, antwortete ihr Vorgesetzter verschmitzt „und eine Kerze habe ich
auch nicht in der Hosentasche.“
Natürlich
bemerkte sie, dass er sich über sie lustig machte und seine ‚liebe Frau
Schmidt’ war sie schon gar nicht.
Manuela
versuchte, sich in der Dunkelheit zu orientieren und den Weg ins Vorzimmer zu
finden, denn sie hatte beides in ihrer Handtasche: Ein Teelicht und ein
Feuerzeug - man wusste ja nie. Auch Stefan Kuhn begab sich auf den Weg ins
Vorzimmer, um bei Bettina, von der er wusste, dass sie Raucherin war, ein
Feuerzeug zu erbitten.
Eine
kurze Zeit später schrak Manuela zusammen, denn sie war ihrem Vorgesetzten direkt in die Arme gelaufen.
Genau in diesem Moment stand Bettina mit einem Feuerzeug in der Hand vor ihnen.
"Oh“,
war ihr einziger Kommentar.
Manuela
verspürte für einen Moment den Wunsch, die Situation erklären zu wollen, doch
dann entschied sie sich, kein Aufheben davon zu machen. Es war ja auch gar
nichts passiert.
„Wir
waren gerade auf dem Weg zu Ihnen“, kam Stefan Kuhn ihr dann sowieso zuvor.
„Wir wussten ja, dass sie Raucherin sind und deshalb ein Feuerzeug bei sich
tragen.“
Also,
diese Aussage, rettete die Situation definitiv nicht.
„Ich
würde meinen, wir machen dann für heute Schluss“, kündigte Stefan nach geraumer
Zeit an. „Wahrscheinlich dauert es noch ewig, bis wir wieder Strom haben
werden.“
So
packten sie, wie alle anderen Kollegen auch, ihre sieben Sachen und machten
sich auf den Weg nach Hause. Bei Stromausfall ging in heutiger Zeit halt gar
nichts mehr.
Gott
sei Dank fuhren noch die Busse und Manuela betrat etwas später ihre gemütliche
kleine Wohnung, die sie erst vor kurzem, nach der Trennung von ihrem Freund,
bezogen hatte. Da es ihr weder möglich war, sich etwas zu kochen, noch
fernzusehen oder nach E-Mails zu schauen, entschied sie sich, sich mit einem
Buch und einer Taschenlampe ins Bett zu verkriechen,
denn es wurde richtig kalt in der Wohnung. Klar, auch die Heizung funktionierte
nicht.
Es
war etwa zwei Wochen später, als Stefan Kuhn seine Sekretärin zu sich in sein
Büro bat.
„Vielleicht
ist es auch Ihnen nicht entgangen“, begann er das Gespräch „dass über uns beide
getuschelt wird.“
Manuela
sah ihn mit großen Augen und offenem Mund an und das Einzige, was sie hervor
brachte war „Wie bitte?“.
Im
selben Moment wurde ihr klar, weshalb in letzter Zeit alle Gespräche
verstummten, wenn sie einen Raum betrat.
„Leider
hat unsere Kollegin im ganzen Haus verbreitet, wir hätten ein Verhältnis
miteinander“, fuhr er sachlich fort.
„Waaaaas?“,
rief Manuela entsetzt aus. „Welche Kollegin sagt das?“
„Bettina
Möller“, entgegnete er „die junge Frau, die Ihnen gegenüber sitzt.“
„Aber
wie kommt sie denn dazu?“
„Ich
fürchte, sie hat die Situation am Tag des Stromausfalls völlig falsch interpretiert.
Und ich möchte jetzt mit Ihnen besprechen, wie wir vorgehen wollen“.
„Na,
wir sprechen sie sofort darauf an und stellen klar, dass es nicht so ist und dass
sie mit dieser Lügerei aufhören muss“, stand für Manuela fest.
„Wenn
ich ehrlich bin“, sagte Stefan verschmitzt „hab ich dass eigentlich nicht vor.
Wissen Sie, so ein Gerücht hält man
nicht auf. Man muss die Leute einfach reden lassen und was mir am meisten
Freude bereiten würde, wäre, wenn wir ihnen noch mehr Zündstoff lieferten.“
Manuela
verstand nicht, worauf Stefan Kuhn hinaus wollte.
„Wollen
wir heute Abend Essen gehen?“, fragte er gerade heraus. „Am besten in die
Ratsstuben direkt nach Feierabend, damit es viele Kollegen sehen? Was halten Sie
davon, oder werden Sie zu Hause von Ihrem Partner erwartet?“
„Nein,
wir haben uns vor kurzem getrennt“, erzählte Manuela bereitwillig.
„Na,
dann steht einem Rendezvous ja nichts mehr im Wege, denn bekanntlich bin ich auch
Single.“
Zwar
war Manuela ein bisschen mulmig bei der Sache, doch sie sagte zu.
Dass
es der Beginn einer Liebe war, die zwei Jahre später vom Standesbeamten besiegelt wurde, ahnten beide in diesem
Moment noch nicht.
©
Martina Pfannenschmidt, 2014