Donnerstag, 9. November 2017

Wenn es in der Gerüchteküche brodelt!

Es war ein nebliger Novembertag. Manuela mochte diesen grauen Monat nicht und heute zeigte er sich besonders garstig. Auf dem Weg ins Rathaus schlug sie ihren Mantelkragen hoch, denn sie hatte das Gefühl, dass ihr die Kälte in ihren Nacken kroch. Und dann begann es auch noch zu schneien – ganz abgesehen von dem schneidenden Wind.
Manuela fand es furchtbar, wenn sie den ganzen Tag über bei künstlichem Licht arbeiten musste, doch heute war so ein Tag. Im Büro gegenüber saß ihr Bettina. Sie war eine neue Kollegin und Manuela konnte sie charakterlich noch nicht einschätzen. Zwar war sie sehr nett und bemühte sich auch um privaten Kontakt zu ihr, doch irgendetwas ließ Manuela skeptisch sein. Bettina erzählte sehr viel von sich. Sogar ihr Liebesleben breitete sie vor ihr aus. Vielleicht war es dass, was ihr nicht behagte.
Manuela hatte sich vor kurzem von ihrem Freund getrennt, doch das vertraute sie ihrer neuen Kollegin nicht an. In dieser Hinsicht schien ihr Vorsicht geboten.
Als Manuela das Büro betrat, roch es schon verführerisch nach frisch gebrühtem Kaffee. Bettina war schon da und hatte als Allererstes die Kaffeemaschine bedient.
„Guten Morgen“, begrüßte Manuela ihre Kollegin. „Das war die beste Idee, die du haben konntest, uns einen Kaffee zu kochen.“
„Ich bin total durchgefroren“, erklärte diese „und brauche erst einmal etwas Warmes.“
Stefan Kuhn, der jüngste Dozent dieser Behörde, in dessen Vorzimmer die beiden saßen, betrat in diesem Moment den Raum und freute sich ebenso über den Kaffeeduft. Dann verschwand er in seinem Zimmer, hatte jedoch den Wunsch geäußert, auch einen Kaffee zu bekommen, den Manuela ihm etwas später servierte. Sie schmunzelte über diese Tätigkeit, die wohl allen Sekretärinnen bekannt war.
Auf ihrem Schreibtisch lagen einige Diktierbänder. Sie mussten durch sie noch als Buchstaben ihren Weg aufs Papier finden. Insofern wurde Manuela von dem schlechten Wetter abgelenkt und bemerkte gar nicht, dass sich der starke Wind immer mehr zu einem Sturm ausweitete.
Es war kurz vor Feierabend, als ein Strommast aus der Verankerung riss und die gesamte kleine Stadt in Dunkelheit versetzte. Manuela befand sich zu diesem Zeitpunkt im Büro ihres Vorgesetzten, denn sie brauchte seine Unterschrift. Von einer Minute auf die andere wurde es dunkel im Büroraum und in Manuela breitete sich eine leichte Panik aus.
„Was ist denn jetzt passiert?“, rief sie entsetzt aus.
„Meine liebe Frau Schmidt“, erwiderte Stefan Kuhn gelassen „ich würde meinen, es handelt sich um einen Stromausfall.“
„Was machen wir denn jetzt?“, fragte sie angsterfüllt. „Haben Sie ein Feuerzeug oder ein Streichholz, mit dem wir etwas Licht machen könnten?“
„Nein, leider nicht“, antwortete ihr Vorgesetzter verschmitzt „und eine Kerze habe ich auch nicht in der Hosentasche.“
Natürlich bemerkte sie, dass er sich über sie lustig machte und seine ‚liebe Frau Schmidt’ war sie schon gar nicht.
Manuela versuchte, sich in der Dunkelheit zu orientieren und den Weg ins Vorzimmer zu finden, denn sie hatte beides in ihrer Handtasche: Ein Teelicht und ein Feuerzeug - man wusste ja nie. Auch Stefan Kuhn begab sich auf den Weg ins Vorzimmer, um bei Bettina, von der er wusste, dass sie Raucherin war, ein Feuerzeug zu erbitten.
Eine kurze Zeit später schrak Manuela zusammen, denn sie war  ihrem Vorgesetzten direkt in die Arme gelaufen. Genau in diesem Moment stand Bettina mit einem Feuerzeug in der Hand vor ihnen.
"Oh“, war ihr einziger Kommentar.
Manuela verspürte für einen Moment den Wunsch, die Situation erklären zu wollen, doch dann entschied sie sich, kein Aufheben davon zu machen. Es war ja auch gar nichts passiert.
„Wir waren gerade auf dem Weg zu Ihnen“, kam Stefan Kuhn ihr dann sowieso zuvor. „Wir wussten ja, dass sie Raucherin sind und deshalb ein Feuerzeug bei sich tragen.“
Also, diese Aussage, rettete die Situation definitiv nicht.
„Ich würde meinen, wir machen dann für heute Schluss“, kündigte Stefan nach geraumer Zeit an. „Wahrscheinlich dauert es noch ewig, bis wir wieder Strom haben werden.“
So packten sie, wie alle anderen Kollegen auch, ihre sieben Sachen und machten sich auf den Weg nach Hause. Bei Stromausfall ging in heutiger Zeit halt gar nichts mehr.
Gott sei Dank fuhren noch die Busse und Manuela betrat etwas später ihre gemütliche kleine Wohnung, die sie erst vor kurzem, nach der Trennung von ihrem Freund, bezogen hatte. Da es ihr weder möglich war, sich etwas zu kochen, noch fernzusehen oder nach E-Mails zu schauen, entschied sie sich, sich mit einem Buch und einer Taschenlampe ins Bett zu verkriechen, denn es wurde richtig kalt in der Wohnung. Klar, auch die Heizung funktionierte nicht.
 Es war etwa zwei Wochen später, als Stefan Kuhn seine Sekretärin zu sich in sein Büro bat.
„Vielleicht ist es auch Ihnen nicht entgangen“, begann er das Gespräch „dass über uns beide getuschelt wird.“
Manuela sah ihn mit großen Augen und offenem Mund an und das Einzige, was sie hervor brachte war „Wie bitte?“.
Im selben Moment wurde ihr klar, weshalb in letzter Zeit alle Gespräche verstummten, wenn sie einen Raum betrat.
„Leider hat unsere Kollegin im ganzen Haus verbreitet, wir hätten ein Verhältnis miteinander“, fuhr er sachlich fort.
„Waaaaas?“, rief Manuela entsetzt aus. „Welche Kollegin sagt das?“
„Bettina Möller“, entgegnete er „die junge Frau, die Ihnen gegenüber sitzt.“
„Aber wie kommt sie denn dazu?“
„Ich fürchte, sie hat die Situation am Tag des Stromausfalls völlig falsch interpretiert. Und ich möchte jetzt mit Ihnen besprechen, wie wir vorgehen wollen“.
„Na, wir sprechen sie sofort darauf an und stellen klar, dass es nicht so ist und dass sie mit dieser Lügerei aufhören muss“, stand für Manuela fest.
„Wenn ich ehrlich bin“, sagte Stefan verschmitzt „hab ich dass eigentlich nicht vor. Wissen Sie, so ein Gerücht hält man nicht auf. Man muss die Leute einfach reden lassen und was mir am meisten Freude bereiten würde, wäre, wenn wir ihnen noch mehr Zündstoff lieferten.“
Manuela verstand nicht, worauf Stefan Kuhn hinaus wollte.
„Wollen wir heute Abend Essen gehen?“, fragte er gerade heraus. „Am besten in die Ratsstuben direkt nach Feierabend, damit es viele Kollegen sehen? Was halten Sie davon, oder werden Sie zu Hause von Ihrem Partner erwartet?“
„Nein, wir haben uns vor kurzem getrennt“, erzählte Manuela bereitwillig.
„Na, dann steht einem Rendezvous ja nichts mehr im Wege, denn bekanntlich bin ich auch Single.“
Zwar war Manuela ein bisschen mulmig bei der Sache, doch sie sagte zu.
Dass es der Beginn einer Liebe war, die zwei Jahre später vom Standesbeamten besiegelt wurde, ahnten beide in diesem Moment noch nicht.



© Martina Pfannenschmidt, 2014