Freitag, 10. November 2017

Unverhofft (3)

Obwohl es schon so spät war, war es fast noch taghell in Suses Schlafzimmer. Der Grund dafür war der Mond. Heute war Vollmond und der ließ sie oft nicht schlafen. In dieser Nacht könnte es allerdings einen anderen Grund für ihre Schlaflosigkeit geben und der hieß: Benjamin.
Nicht im Traum wäre ihr heute Morgen in den Sinn gekommen, am Abend der festen Überzeugung zu sein, den Mann fürs Leben getroffen zu haben.
Schon so lange sehnte sie sich nach einem Mann an ihrer Seite. Jetzt, wo sie den Gedanken beiseite geschoben hatte, einen passenden Partner zu finden, servierte ihr das Leben ihn auf einem Silbertablett. ‚Du musst deine Wünsche los lassen, wenn sie sich erfüllen sollen’, hatte ihre Oma immer gesagt. Leider ließ sich das nicht so einfach umsetzen, wie es sich anhörte.
In Gedanken ließ Suse ihren Tag Revue passieren. Diese fast unerträgliche Hitze, die sie zum Brunnen geführt hatte, wo der Zufall ihr dann Benjamin schickte. Sie sah förmlich den kleinen Engel, der seine Pfeile genau in dem Moment auf sie Beide abgeschossen hatte, als sie sich erneut begegneten. Sie waren ineinander verliebt. Hals über Kopf war es passiert und es hatte sie beide getroffen. Wie eine Grippewelle wurden sie von der Liebe überrollt. Man war ihr einfach machtlos ausgeliefert, konnte nichts dagegen tun.
Sie hatten sich noch lange unterhalten und am liebsten wäre sie die ganze Nacht bei ihm geblieben, um einfach nur zu reden und ihm nahe zu sein. Doch das schickte sich nicht, zumindest war dies die Meinung ihrer Oma, die ihr außerdem den guten Rat mit auf den Weg gegeben hatte, ihren Liebsten nicht gleich am ersten Abend zu küssen. Diesem Wunsch hatte sie allerdings nicht widerstehen können. Aber Oma würde ja nichts davon erfahren. Bereits nach diesen wenigen Stunden konnte sie sich vorstellen, mit Benjamin das Wagnis einer Ehe einzugehen.
Die Liebe, sie war mächtig und etwas ganz Besonderes. Dieses Gefühl, einen anderen Menschen zu lieben, war mit nichts anderem vergleichbar. Die meisten Kinder waren aus dieser Liebe heraus entstanden. Die Liebe war der Beginn von allem – der Anfang und das Ende. Alpha und Omega. Das war ein wunderbarer Gedanke.
Besonders verführerisch hatte sie bei ihrer ersten Begegnung wahrlich nicht ausgesehen, dennoch hatte sich Benjamin in sie verliebt. Der Liebe war es egal, wie der andere gekleidet war. Die Liebe sah das Herz an.
Suse schaute auf die Uhr. Es wurde allerhöchste Zeit, zu Bett zu gehen. Der Wecker und ihr Arbeitsalltag würden keine Rücksicht auf sie nehmen und sie erbarmungslos daran erinnern, dass es noch etwas anderes als Benjamin und ihre junge Liebe in ihrem Leben gab.
Mitten in der Nacht schnellte Suse hoch. Sie war schweißgebadet und musste sich zunächst einmal klar darüber werden, dass sie nur geträumt hatte. Ihre Oma hatte mit erhobenem Zeigefinger vor ihr gestanden. ‚Was habe ich dir geraten, Kind? Du sollst dir Zeit lassen und die Männer prüfen, bevor du sie küsst. Was ist, wenn Benjamin ein Heiratsschwindler ist, der es nur auf deine Erbschaft abgesehen hat.’ Ein wahrer Alptraum war das, der einen kleinen Stachel hinterließ. Was, wenn es wirklich so war? Wenn der Traum sie warnen wollte. Nein, schalt sie sich, so ist er nicht. Er ist so warmherzig und gutmütig und sicher hat er es nicht auf mein Geld abgesehen. Suse schlief erneut ein.
Mit einem Koffer voller Geld stand sie am Meer. Majestätisch zog ein Segelschiff vorüber. Plötzlich drehte der Wind und das Boot kam direkt auf sie zu. Sie nahm ihre Hand und legte sie schützend über ihre Augen. Sie erkannte den Mann, der das Segelboot steuerte. Es war Benjamin, der ihr zuwinkte und ihr etwas zurief, was sie jedoch nicht hören konnte. Je näher er ihr kam, umso mehr schien sie sich von ihm zu entfernen. Sie wollte zu ihm rennen, doch es gelang ihr nicht. Sie wünschte sich, bei ihm zu sein, doch die Distanz zwischen ihnen wurde immer größer. Wieder schrak sie hoch. Was hatten diese Alpträume nur zu bedeuten?

Der Traum war lange vergessen, als sie mit ihrem Liebsten auf Kreuzfahrt ging. Es war ihre erste Reise mit dem Schiff und es würde sicher nicht ihre letzte sein.
An diesem strahlend schönen Tag standen sie an Deck des Schiffes und freuten sich darauf, die Blumeninsel Madeira zu erkunden. Auf diesen Ausflug freute sich Suse ganz besonders und sie fühlte sich an diesem Morgen wie die berühmte österreichische Kaiserin Sissi, die ebenfalls die Schönheit dieser portugiesischen Insel zu schätzen gewusst hatte. Auch wenn das Essen auf dem Schiff fantastisch war und sie bestimmt schon zwei Kilo zugenommen hatte, würden sie über den bekannten Bauernmarkt schlendern und frische Mangos und Feigen kosten. Ein besonderes Erlebnis würde sicher die Fahrt mit dem Holzschlitten. Durch den Reiseführer wusste Suse, dass man während dieser zwei Kilometer langen Strecke eine herrliche Aussicht über die Insel genießen konnte.
„Ich glaube, im Garten Eden kann es nicht viel schöner sein, als hier“, stellte Suse beim Anblick dieser einzigartigen Insel mit ihrer vielfältigen Fauna und dem angenehmen Klima fest.
Als sie später durch einen tropischen Garten spazierten, fühlte sie sich wirklich wie im Paradies. Glücklicher war sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gewesen, wie in diesen Tagen und in diesem Augenblick.
Genau auf diese Stimmung und diesen Moment schien Benjamin gewartet zu haben: „Suse, ich wollte dich die ganze Zeit über schon etwas fragen.“
Wenn er ihr jetzt einen Heiratsantrag machte, würde sie ihn ohne weiter darüber nachzudenken, annehmen.
„Es ist mir ein klein wenig unangenehm“, fuhr er fort und wirkte dabei etwas bedrückt, „aber weißt du, die Kosten für diesen Urlaub sind sehr hoch und belasten mich finanziell doch arg. Mein Konto ist dadurch ziemlich in die roten Zahlen geraten. Deshalb wollte ich dich fragen, ob es dir etwas ausmachen würde, die Kosten für unsere Reise zu tragen.“
Und damit endete ihre Beziehung zu Benjamin genau so unerwartet, wie diese Geschichte für den Leser J!!!

© Martina Pfannenschmidt, 2015