Ira
und Björn standen dicht beieinander und hielten sich verborgen vor den Augen
der anderen an den Händen. In ein paar Wochen wären sie nicht die Gäste, sondern
die Hauptpersonen, denn sie würden in dieser schmucken kleinen Kirche, in der
in diesem Moment Iras Neffe getauft wurde, heiraten.
Hingebungsvoll hatte ihre Schwägerin die
alte, ehrwürdige Kirche geschmückt. Genau so schön sollte sie bei ihrer Hochzeit
auch ausschauen. Ira hatte schon ein Gespräch mit einer Floristin geführt.
Alles würde perfekt aufeinander abgestimmt sein. Sie wollte nichts dem Zufall
überlassen.
„So
taufe ich dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“,
verkündete der Pfarrer. Johannes, ihr Neffe, fand es nicht so schön, Wasser
über den Kopf zu bekommen und deshalb protestierte er lautstark dagegen. Ihrer
Schwägerin gelang es jedoch schnell, den kleinen Schreihals wieder zu
beruhigen.
Nachdem
der Pfarrer die Gemeinde gebeten hatte, sich wieder zu setzen, sangen alle gemeinsam das Lied ‚Nun schreib ins Buch des
Lebens, Herr, ihre Namen ein …’.
Ira
musste sich eingestehen, dass sie mit ihren Gedanken nicht ganz bei der Sache
war. Immer wieder dachte sie an ihre bevorstehende Hochzeit und ob es richtig
war, jetzt schon zu heiraten. Sie kannten sich erst seit gut einem Jahr. Doch als
Björn ihr vor ein paar Wochen ganz spontan einen Heiratsantrag gemacht hatte,
da konnte sie gar nicht anders, als ‚Ja’ zu sagen. Eigentlich war sie sich
sicher, mit ihm den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Ihn wünschte sie sich
bis zu ihrem Lebensende an ihrer Seite. Doch ganz sicher konnte man sich da
wohl nie sein, dass die Ehe hielt, bis der Tod sie scheiden würde.
Die
Frage, ob sie auch einmal Kinder haben würden, bräuchte sie sich nicht mehr zu
stellen. Ihr Gynäkologe hatte ihre Vermutung bestätigt: Sie war schwanger. Sie
bekamen ein Kind. Das war jedoch nicht der Grund für die Eheschließung, denn
Björn ahnte noch gar nichts davon. Sie wollte erst diese Familienfeier hinter
sich bringen und ihm dann davon erzählen. Wie er wohl reagieren würde? Geplant
war ein Kind zu diesem Zeitpunkt noch nicht, doch sie hatten schon ziemlich zu
Beginn ihrer Partnerschaft von Heirat und Kindern gesprochen.
Es
war schön, in einer großen und intakten Familie aufzuwachsen. Ira hatte eine
wirklich schöne Kindheit gehabt hier auf dem Lande. Vor einem halben Jahr hatte
sie alles aufgegeben und war zu Björn in die Stadt gezogen. Er würde sich
niemals auf dem Land wohl fühlen, vermutete sie. Er war ein Stadtkind und der
einzige Sohn der Familie von Stöber. Seine Kindheit war ganz anders verlaufen,
als ihre. Nun würden ihre Kinder wohl auch in der Stadt aufwachsen. An diesen
Gedanken musste Ira sich zunächst gewöhnen. In der schicken Eigentumswohnung,
in der sie jetzt gemeinsam lebten, wäre ein Kind irgendwie fehl am Platz.
Vielleicht könnte sie ihren Verlobten ja auch überzeugen, am Standrand ein
kleines Häuschen mit Garten zu kaufen. Doch passte das? Björn hatte niemals im
Garten gewerkelt oder Rasen gemäht. Die von Stöbers besaßen ein Haus mit
Garten, doch es gab einen Gärtner, der sich um alles kümmerte. Sie war in
einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Hoffentlich gab es da keine
Reibungspunkte. Wenn ihr Bruder ihre Gedanken lesen könnte, würde er bestimmt
sagen: ‚Ira, das ist ganz normal. Jedem kommen vor der Hochzeit Zweifel. Dir
geht einfach nur die ‚Muffe’! Ira schmunzelte. Würde schon alles schief gehen,
genau wie ihr erster Besuch bei ihrer zukünftigen Schwiegermutter.
„Wie
du siehst, kann man bei uns vom Fußboden essen“, hatte Marlotte von Stöber nicht
ohne Stolz in der Stimme verkündet. Ira war daraufhin ein blöder Satz entwichen:
„Wir brauchen nicht vom Fußboden zu essen, wir haben Teller!“ Was eigentlich
als Scherz gedacht war, kam bei Frau von Stöber gar nicht gut an. Nun ja, sie
würden sich noch zusammen raufen müssen, aber sie heiratete ja Björn und nicht
seine Mutter. Hoffentlich war es wirklich so.
Björn
stupste sie an und flüsterte mit einem Blick zum Kirchenfenster: „Schau mal,
ihr Leben hängt am seidenen Faden!“
Eine
kleine Spinne saß dort und webte an
ihrem Netz. Ein wahres Kunstwerk entstand.
Die
meisten Menschen ekelten sich vor Spinnen. Doch Ira nicht. Sie war quasi mit
ihnen aufgewachsen und es machte ihr bis heute nichts aus, sie über ihre Hand
laufen zu lassen. Und genau das war der Grund, weshalb sie und Björn damals auf
der Geburtstagsparty ins Gespräch gekommen waren. Damals hatte eine junge Frau
geschrieen, weil sich eine kleine Spinne vor ihr abseilte und fast in ihr Glas
geplumpst wäre. Ira hatte beherzt zugefasst und der Spinne damit das Leben
gerettet. Das hatte Björn mächtig beeindruckt und so waren sie ins Gespräch
gekommen. Sie hatte ihm erklärt, dass Menschen, die Angst vor Spinnen hätten,
unter einem Mutterkonflikt litten. Er wiederum wusste, dass in anderen Kulturen
Spinnen nicht so negativ betrachtet würden, wie im europäischen Raum und sie
hatten darüber debattiert, warum Intrigen gesponnen werden.
Als
sie sich spät in der Nacht voneinander verabschiedet hatten, hatte Björn
lachend gesagt: „Wir hätten uns vielleicht nicht so viel über Spinnen
unterhalten sollen. Ich werde nämlich das Gefühl nicht los, dass ich dir ins
Netz gegangen bin.“
Das
war der Beginn ihrer Liebe, die nun bald mit einer Ehe und einem Kind gesegnet
sein würde.
©
Martina Pfannenschmidt, 2015