Ira
stand auf einem Stuhl und putzte das große Wohnzimmerfenster. Björn betrat den
Raum und hielt für einen Augenblick den Atem an.
„Ira,
was machst du da? Und das in deinem Zustand! Komm sofort von diesem Stuhl
herunter!“
„Ich
bin schwanger, nicht gebrechlich. Mir geht es wirklich gut. Ich mache nur das,
was alle anderen Frauen in meinem Zustand auch machen: Weiterleben!“
„Egal.
Komm da herunter. Du gefährdest das Leben unseres Kindes.“
„Du übertreibst. Aber gut, wenn es dein Wunsch
ist. Aber dann darfst du hier weiter
machen.“
Ira
stieg von ihrem Stuhl herunter und gab Björn das Tuch in die Hand.
„Kannst
du mir mal sagen, was dieser ganze Zirkus
hier überhaupt soll? Gestern hast du wie eine Verrückte alle Gläser und das
Besteck poliert, die Schränke ausgewischt, die Vitrinen geputzt. Warum machst
du das? Setz dich lieber aufs Sofa und ruh dich aus.“ Gott sei Dank konnte er
die Worte ‚in deinem Zustand’ noch früh genug herunter schlucken.
„Darf
ich dich an die Tatsache erinnern“, erwiderte Ira ein wenig ungehalten, „dass
deine Eltern uns am Samstag beehren. Meinst du, ich möchte mir von deiner
Mutter anhören, dass es hier nicht sauber ist. Sie soll sehen, dass man auch
bei uns vom Fußboden essen könnte, wenn man denn wollte.“
„Ach
du liebe Güte. Daher weht der Wind. Komm her, lass uns nicht streiten“,
entgegnete Björn, legte den Putzlappen kurz aus der Hand, um Ira in seine Arme
zu nehmen. „Weißt du, so schlimm wie du denkst ist meine Mutter nicht. Ehrlich!
Ich gebe zu, sie hat so eine unnahbare Art, aber im Grunde ihres Herzens ist
sie ein liebenswerter Mensch.“
Ira
ließ das mal so im Raum stehen, obwohl ihr die Worte: ‚Das versteht sie aber
wirklich grandios zu verstecken’, auf der Zunge lagen.
Samstag.
Ira wurde schon sehr zeitig wach. Sie war so unruhig. Dieser Besuch lag ihr
wirklich auf dem Magen. Gut, dass Björn seinen Eltern schon von ihrer
Schwangerschaft erzählt hatte. Ira war nicht mitgegangen, um sich die Kommentare
nicht mit anhören zu müssen, die Marlotte von Stöber unter Garantie losgelassen
hatte. Nach Björns Aussage hatten sie die freudige Nachricht allerdings sehr
wohlwollend aufgenommen. ‚Wer’s glaubt!’, dachte Ira.
Sie
stand auf, um einen Obstboden zu backen. Er sollte möglichst frisch sein, damit
ihre Schwiegermutter in spe daran nichts auszusetzen fand. Sie wollte auch noch
auf den Wochenmarkt, um Erdbeeren zu kaufen.
Als
sie später in der Küche stand, um den Boden zu belegen, fragte Björn: „Sag mal,
willst du eine ganze Kompanie damit abfüttern? Wie viele Kilo Erdbeeren hast du
gekauft?“
Mit
spitzen Fingern nahm Ira jede einzelne Beere und prüfte ihre Größe, bevor sie
diese auf den Obstboden legte.
„Ich
habe so viele Erdbeeren gekauft, damit ich genügend von einer Größe habe.
Schau“, sagte sie und zeigte auf den halb belegten Boden, „siehst du was?“
„Ja,
Erdbeeren!“
„Schau
genauer hin. Siehst du, sie haben alle eine Größe und deshalb musste ich so
viele kaufen. Es sieht doch irgendwie schöner aus.“
Wortlos
drehte Björn sich um und verließ die Küche. Erstaunlich, was Hormone mit den
Frauen machten.
Etwas
nervös öffnete Ira die Haustür. Sie hatte alles aufs Allerbeste vorbereitet. Es
konnte einfach nichts schief gehen.
„Hallo“,
wurde sie freundlich von Adalbert von Stöber begrüßt, „da ist ja meine
zukünftige Schwiegertochter, die mir einen Enkel schenken wird. Geht es dir gut,
meine Liebe?“
„Ja,
danke der Nachfrage“, antwortete Ira.
„Adalbert,
nun geh mal bitte weiter. Es muss ja nicht die ganze Nachbarschaft von der
Schwangerschaft erfahren. Womöglich hängt es noch einer an die große Glocke, dass hier schon vor der Eheschließung
ein Kind unterwegs ist!“, herrschte Marlotte ihren Mann an.
Adalbert
drehte sich zu seiner Frau um: „Sag mal, meine Liebe, in welchem Jahrhundert
lebst du?“, fragte er und schüttelte über sie den Kopf, kam ihrer Bitte aber
dennoch nach.
Na,
das fing ja gut an. Ein Glück, dass ihr Schwiegervater bei den Machenschaften
seiner Frau nicht mitmachen würde.
Das war ein wahrer Lichtstreif am Horizont.
Ira
ging Richtung Küche, um die Torte aus dem Kühlschrank zu nehmen und sie
anzuschneiden. Marlotte folgte ihr.
„Kann
ich dir zur Hand gehen?“, fragte diese obligatorisch. Andererseits hatte es den
Anschein, als wolle sie sich nur hinterhältig in die Küche schleichen, um sich ausgiebig
umsehen zu können. Wahrscheinlich würde sie gleich ihren weißen Handschuh
herausholen und mit dem Finger über die Schränke fahren. Ira nahm einen Becher
Sahne aus dem Kühlschrank, um den Inhalt zu schlagen. Mit der anderen Hand
wollte sie gerade nach ihrer Schürze fischen, als ihr einfiel, dass das keine
gute Idee war, diese zu tragen. Ihr waren am Morgen einige dieser durch den
Zucker glitschigen Erdbeeren aus den
Fingern geglitten und auf die Schürze geplumpst. So sah sie nun auch aus.
Es
schien so, als habe Björn die prekäre Situation erahnt. Plötzlich stand er in
der Tür und lotste seine Mutter zurück ins Wohnzimmer. Dankeschön formte Ira
mit ihren Lippen – Björn lächelte. Wenigstens stand er hinter ihr. Das war ein
gutes Gefühl.
Als
Ira die Tür hinter ihren Gästen schließen konnte, ließ sie sich in einen Sessel
plumpsen. Geschafft! Der Kaffee war Marlotte natürlich zu stark gewesen und die
Erdbeeren zu süß, doch Ira hatte den Besuch alles in allem recht gut überstanden.
Jetzt konnte ein gemütlicher Abend beginnen.
„Du“,
begann Björn das Gespräch, „hast du eigentlich mal darüber nachgedacht, ob wir
mit dem Kind weiterhin hier wohnen bleiben sollten?“
Iras
Herz machte einen Freudensprung. Sie hatte dieses Thema noch gar nicht
angesprochen.
„Ich
habe sogar schon ausgiebig darüber nachgedacht“, antwortete sie. „Wenn ich
ehrlich bin, fände ich es richtig toll, wenn unser Kind in einem Haus im Grünen
aufwachsen könnte. Mit einem Sandkasten und einer Schaukel im Garten“.
„Genau
das möchte ich auch und ich kann dir sagen, ich habe eine riesengroße
Überraschung für dich.“
Ira
konnte es kaum erwarten: „Eine Überraschung? Sag schnell welche?“
„Meine
Eltern haben uns angeboten, dass wir zu ihnen ins Haus ziehen können. Es ist
genug Platz vorhanden. Einige Räume stehen völlig leer. So würden sie wieder
sinnvoll genutzt.“
Björn
sah Ira voller Erwartung an und fragte im selben Moment erschocken: „Ira, geht
es dir nicht gut, du siehst geradezu erbärmlich
aus“.
Daraufhin
sprang sie vom Sofa und rannte Richtung Bad. Ihr wurde plötzlich speiübel.
©
Martina Pfannenschmidt, 2015