Freitag, 10. November 2017

Der Wind - ein starker Geselle

Heute war es sehr windig und Maren spielte lieber in ihrem Zimmer. ‚Ka-wumm!’ Was war das denn für ein Krach da draußen?
Maren wischte ihre kleinen Stofftiere mit einer Handbewegung von der Fensterbank, zog sich ihren Kinderstuhl heran und schaute aus dem Fenster. Der Wind hatte die Mülltonne von Nachbar Manfred umgestoßen. Er kam schimpfend aus seinem Haus gerannt und versuchte, seinen Müll, der durch die Straße flog, wieder einzusammeln. Das war lustig.
Maren stützte ihren Kopf auf ihre Hände und sah weiterhin aus dem Fenster. Links waren 5 Häuser zu sehen. Sie kannte alle, die dort wohnten, denn es waren ja ihre Nachbarn. Wenn sie nach rechts schaute, dann sah sie Felder und Wiesen und den Wald.
‚Hui, Hui’, machte der Wind. „Ich glaube“, dachte Maren, „der Wind macht sich einen Spaß mit Manfred.“
Da kam Tobi auf seinem Fahrrad. Er musste mächtig in die Pedalen treten, um gegen den Wind anzukommen. „Ganz schön stark kann er sein, der Wind“, ging Maren durch den Kopf.
‚Plopp, plopp’. Zwei Äpfel, die noch hoch oben im Baum gehangen hatten, fielen herunter und gesellten sich zu den anderen, die schon im Gras lagen.
Maren dachte an das Lied, das sie in den letzten Tagen im Kindergarten geübt hatten. Wie ging das noch?
Eine kleine Strophe fiel ihr wieder ein: „Hui, Hui, ich bin der Wind! Hui, Hui! Das himmlische Kind!“
In ihrem Gute-Nacht-Buch gab es eine Geschichte über den Wind. Da sah man eine weiße Wolke, die ganz tief Luft holte und dann pustete. Ob der Wind wirklich von den Wolken gemacht wurde? Sie wollte später ihren Vater danach fragen. Er wusste auf alle ihre Fragen immer eine Antwort. Und Maren hatte viele Fragen. ‚Hui, Hui’. Der Wind tanzte mit den Blättern. Sie drehten sich wild im Kreis.
Tante Emma kam aus dem Haus. Sie trug eine dicke Jacke und ein Kopftuch. Ein Hut wäre ihr auch sicher vom Kopf geweht. Sie hatte einen Korb im Arm und wollte einkaufen gehen.
Jemand schloss die Wohnungstür auf. Das konnte doch nur Papa sein. War es denn schon wieder so spät? Maren sprang vom Stuhl, rannte in den Hausflur und lief ihrem Vater entgegen.
„Hallo, meine kleine Maus“, sagte Papa, „du bist ja stürmischer, als draußen der Wind.“
„Du Papa, woher kommt eigentlich der Wind?“, fragte Maren.
„Nun lass mich zuerst einmal meine Jacke ausziehen, dann gehen wir in die Küche und dann erklär ich dir den Wind“, meinte Papa.
Eine Weile später saßen alle drei am Küchentisch: Mama, Papa und Maren.
„Der Wind ist eigentlich nichts anderes als Luft in Bewegung“, sagte Papa. „Und Luft ist das, was wir einatmen. Im Sommer, wenn sich die Luft nur sehr wenig bewegt, dann ist der Wind nur sehr schwach zu spüren. Und dann freuen wir uns über ihn, denn es ist warme Luft, fast so wie aus einem Fön und wir empfinden den Wind als angenehm. Doch im Herbst wird die Luft stärker bewegt und dann macht sie uns auch eher kalt. Deshalb sagt Mama im Herbst auch immer: ‚Maren, zieh dich warm an, draußen ist es windig!’“
Papa stand auf und holte die leere Küchenpapierrolle, die auf dem Küchenschrank lag.
 „Schau“, sagte er, „wir können auch Wind machen.“ Er legte die Rolle auf den Küchentisch und alle drei pusteten sie vom Tisch. „Siehst du, Maren, jetzt haben wir drei die Luft in Bewegung gebracht. Luft kann man nicht sehen, doch Wind kann man spüren. Er hat ganz viel Kraft.“
„Ja“, sagte Maren, „ich weiß. Er hat vorhin die Mülltonne von Manfred umgeworfen.“
„Genau“, sagte Papa „und dazu braucht man Kraft. Manchmal kann der Wind sogar einen Baum umschmeißen. Aber der Wind heute, der schafft das nicht. Dazu ist er nicht stark genug.“
Am nächsten Tag hatte sich der Sturm gelegt. Nachbar Manfred trieb mit seinem Laubbläser die Blätter vor sich her, wie es gestern der Wind gemacht hatte. Papa, Mama und Maren hatten einen Rechen in der Hand. Papa hatte extra für Maren einen kleinen Kinderrechen gekauft. Die drei trugen die Blätter im Herbst immer in eine Ecke des Gartens, wo der Wind sie nicht wegwehen konnte. Dort blieben die Blätter den ganzen Winter über liegen, damit kleine Tiere dort einen Unterschlupf vor dem kalten Winter fanden. Im letzten Jahr wohnte dort eine Igelfamilie.
Mama war inzwischen ins Haus gegangen. Sie hatte Kaffee gekocht und einen Kakao für Maren. Sie rief die beiden zu sich in die Küche. Auf dem Tisch stand Gebäck und …
„Was ist das denn?“, fragte Maren.
„Das sind Windbeutel“, sagte Mama.
„Windbeutel?“, fragte Maren weiter. „Wie kommt denn der Wind in die Beutel?“

© Martina Pfannenschmidt, 2014